»Iwo, jetzt ist doch erst die richtige Stimmung, und ein Gutes hat es auch, weil um dreiundzwanzig Uhr Schluß ist. Und wenn es Ihnen gefällt, können wir morgen ja noch länger hingehen.«
»Eigentlich möchte ich mir auch noch einige Sehenswürdigkeiten anschauen«, sagte Vanessa. »Die Pinakothek und das Deutsche Museum, Nymphenburg und den Botanischen Garten.«
»Da müßten Sie aber schon länger bleiben, Vanessa. Aber vielleicht ergibt es sich, daß wir uns öfter mal hier treffen.«
»Das kostet Zeit und Geld«, sagte sie. »Ich bin kein reiches Mädchen. Ich lebe allein mit meiner Mutter und habe keinen Vater. Meine Mutter hat einen Friseursalon.«
Sie sagte es hastig herunter, wie um ihn darauf aufmerksam zu machen, daß sie nicht in seine Kreise passen könnte.
»Das gefällt mir«, sagte er. »Ich kann diese versnobten reichen Töchter nicht ausstehen. Ich gehe auch nicht gern auf Partys, nur, wenn es nicht zu vermeiden ist. Und ich bin auch kein Snob, mein Vater erst recht nicht. Sie sind ein ganz besonders sympathisches Mädchen, Vanessa.«
Sie waren wieder beim Hotel angelangt. Er fuhr den Wagen in die Tiefgarage. Vanessa wartete draußen, und da sah sie wieder jenen Mann aus dem Teeraum. Er kam jetzt auf sie zu.
»So allein«, sagte er, und diese plumpe Tour stieß sie sofort ab.
Sie maß ihn nur mit einem abweisenden Blick und entfernte sich. Und da kam zum Glück auch schon Jörg.
»Der Mann aus dem Teeraum hat mich angequatscht«, sagte sie. »Aber jetzt hat er sich aus dem Staub gemacht.«
»Ich werde Sie nicht einen Augenblick mehr aus den Augen lassen«, sagte Jörg und legte den Arm um ihre Schultern. So gingen sie zum Taxistand.
Es war ein schöner milder Abend. Sie bummelten durch die Budenstraßen und fanden Platz in einem Zelt. Sie aßen Hähnchen und tranken zusammen eine Maß Bier, und ihre Stimmung ließ nichts zu wünschen übrig.
Viel zu schnell verging die Zeit. Auf dem Rückweg kauften sie noch gebrannte Mandeln und Magenbrot, und dann beschlossen sie, zu Fuß zum Hotel zurückzugehen.
Es war noch viel Betrieb in den nächtlichen Straßen, wie man es zu normalen Zeiten in München gar nicht gewohnt war.
»Zur Feier des Tages könnten wir in der Hotelbar eigentlich noch ein Glas Champagner trinken«, sagte Jörg.
»Was gibt es denn zu feiern?« fragte Vanessa.
»Daß ich dich kennengelernt habe«, erwiderte er dicht an ihrem Ohr, und ein Kribbeln lief durch ihren Körper.
*
In Hannover, in Dr. Jankovskis Wohnung, saßen Herbert Jankovski und Jonas Holbruck vor dem Kamin, in dem ein lustiges Feuer flackerte.
»Ich bin gespannt, wie sich unsere beiden jungen Leute verstehen«, sagte Herbert Jankovski verschmitzt.
»Ich fürchte, daß Jörg schon dahintergekommen ist, daß es sich um ein Ablenkungsmanöver handelt. Aber für uns wäre es ein schlechter Zeitpunkt gewesen, uns in München zu treffen.«
»Obgleich ich gern mal wieder auf die Wiesen gegangen wäre«, sagte Herbert. »Es war eine schöne Zeit, als ich in München studierte.«
»Ich bin nicht mehr unternehmungslustig«, sagte Jonas. »Aber wenn diese Vanessa so nett ist, wie du sagst, Herbert, gönne ich meinem Jungen ein fröhliches Wochenende.«
»Sie ist ganz besonders reizend und auch mein ganz besonderer Schützling.«
»Aber ist es auch nicht ein bißchen mehr?«
»Ich könnte ihr Vater sein, und ich wünschte, sie wäre meine Tochter, denn ihr Vater war ein Bruder Leichtfuß. Aber sie und auch ihre Mutter wissen nicht, daß ich ihn kannte.«
»Du bist ein richtiger Heimlichtuer. Weißt du, was sich in dem Päckchen befindet, das Kestner dir mitgab?«
»Nein, das hat er mir auch nicht gesagt. Aber ich frage mich immer wieder, ob er ahnte, daß er bald sterben würde.«
»Einen Unfall kann man doch nicht voraussehen.«
»War es wirklich ein Unfall? Es passiert öfter, daß jemand überfahren wird und der Fahrer Unfallflucht begeht«, sagte Jonas nachdenklich, »er hatte doch keine Feinde. Er lebte so zurückgezogen.«
»Mit all seinen Kostbarkeiten und Heiligtümern. Er trieb doch einen richtigen Kult damit. Ich bin dabei, seine Aufzeichnungen zu verwerten, die er mir sozusagen vermacht hat.«
»Und ich bin dabei, seinen Nachlaß so zu verteilen, daß kein Museum zuviel bekommt.Was hat er nun davon gehabt. Ob er es jeden Tag angesehen hat, was er alles angesammelt hat?«
»Das traue ich ihm schon zu, und du müßtest es doch am besten verstehen, wie fixiert man auf solche Hobbys sein kann.«
»Ja, bei Kestner war es mehr eine fixe Idee. Ihm konnte man auch gute Fälschungen andrehen. Er war ein Eigenbrötler mit viel Geld, und leider ließ er sich mit Händlern ein, die nicht besonders seriös waren. Er war gutgläubig und hielt sich für einen Kenner. Ich weiß, wie schwer es manchmal ist, ein Original von einer Fälschung zu unterscheiden. Jörg ist gerade einem Fälscherring auf der Spur, der sich über ganz Europa verteilt.«
»Das kann sehr gefährlich sein«, sagte Herbert Jankovski. »Und wenn er mit Vanessa darüber spricht, könnte sie gleich Feuer und Flamme sein. Sie sucht nach einer abenteuerlichen Story. Sie ist sehr ehrgeizig. Aber ich will nicht, daß sie in Gefahr gerät.«
»Das würde Jörg auch nicht zulassen. Dein Schützling wird auch von ihm beschützt werden, da bin ich sicher.«
*
Jörg und Vanessa hatten freilich keine Ahnung, was da geredet wurde. Jörg wußte gar nicht, daß sein Vater nach Hannover gefahren war. Er machte sich auch keine Gedanken mehr, daß sein Treffen mit Vanessa ein Ablenkungsmanöver sein könnte. Er war einfach glücklich, mit ihr zusammenzusein, und sie war es auch.
Nach ihrem Wiesenbummel hatten sie noch zwei Gläser Champagner getrunken. Dann hatte Vanessa einen zärtlichen und recht langen Gutenachtkuß bekommen, der sie wie über dem Boden schweben ließ. Sie war genauso bis über beide Ohren verliebt wie Jörg, und sie träumte dann auch von ihm. Aber es war ein aufregender Traum, wechselnd zwischen Freude und Traurigkeit, zwischen Lachen und Weinen, aber als sie erwachte, konnte sie keine Zusammenhänge mehr finden. Sie hatte plötzlich nur ein Angstgefühl, daß das Glück mit Jörg auch so schnell vorbei sein könnte.
Sie trafen sich zum Frühstück. Ein verlockendes Büfett war aufgebaut, an dem sie sich laben konnten. Sie hatten keine Eile und genossen ihr Beisammensein. Sie stellten fest, daß sie auch ungefähr den gleichen Geschmack hatten, abgesehen davon, daß Jörg Wurst bevorzugte und Vanessa Käse, aber beim Müsli und den Konfitüren stimmten sie völlig überein.
Plötzlich fiel ihr etwas von dem Traum ein. Sie erzählte es Jörg.
»Wir waren in einer Menschenmenge, und plötzlich warst du verschwunden. Ich habe dich gesucht, aber nicht gefunden. Dann wurde ich verfolgt. Ich lief und lief, und der Verfolger kam immer näher, und dann fiel ich. Hast du schon mal im Traum das Gefühl gehabt, daß du fällst?«
»Ich kann mich nie erinnern, wenn ich träume. Ich träume nicht so intensiv«, sagte er. »Denk dir nichts, es war ja nur ein Traum, und ich laufe dir nicht weg, Vanessa.«
»Morgen muß ich schon wieder zurück«, sagte sie nachdenklich.
»Hannover liegt nicht aus der Welt, und außerdem gibt es Telefon. Aber heute und morgen sind wir zusammen und alles andere wird sich finden.«
Er wurde jetzt zum Telefon gerufen. »Bin gleich zurück«, sagte er und streichelte schnell ihre Wange.
Er war wirklich schnell zurück, aber er war nachdenklich.
»Es war Dr. Norden. Er hat mich gebeten,