Allein am Stony Creek / Schutzlos am Red Mountain. Christopher Ross. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christopher Ross
Издательство: Bookwire
Серия: Alaska Wilderness
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783764191665
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Cantwell auf seinem Snowmobil über den Campground am Savage River gerast und hatte Ranger Short wütend beschimpft, als der ihn zurechtgewiesen und aus dem Park vertrieben hatte.

      Auch in dem lichten Wald lag der Schnee nur knöcheltief, und sie kam schnell voran. Auf Kommandos konnte sie ganz verzichten. Chuck fand beinahe instinktiv durch das natürliche Labyrinth, und der Schnee reflektierte genug Helligkeit, um ihnen den Weg zu weisen. Sie erinnerte sich noch an ein Märchen, das sie als kleines Mädchen gehört hatte. In der Geschichte hatte die Sonne während des farbenprächtigen Indianersommers einige ihrer Strahlen verloren, genug Helligkeit, um den Menschen im Winter den Weg zu zeigen und das flackernde Nordlicht an den Himmel zu zaubern.

      Sie blieb in dem Wald, der sich über zahlreiche Hügel erstreckte und ihr auf den Steigungen alles abverlangte. »Nicht nachlassen, Chuck!«, rief sie ihrem Leithund zu. »Curly! Sieh zu, dass du nicht zurückfällst! Blacky, Nanuk, so ist es recht, immer schön gleichmäßig!« Sie selbst stieg auf den Steigungen von den Kufen und schob den Schlitten an, half den Hunden, den Hügelkamm zu erklimmen, und legte oben jedes Mal eine kurze Pause ein, um wieder zu Kräften zu kommen. »Da haben wir uns wieder was eingebrockt«, stöhnte sie.

      Nach ungefähr zwei Meilen stieß sie auf einen Jagdtrail, den die Indianer schon vor einigen Hundert Jahren benutzt hatten. Er zog sich in zahlreichen Windungen in ein schmales Tal hinab, das durch einen Nebenfluss des Sanctuary River gebildet wurde. Sie fuhr in die Nebelschwaden, die über dem Eis hingen, und bremste mit einem lauten »Whoaa!« ihr Gespann, als sie die Abdrücke am Flussufer bemerkte. Eine breite Spur, die in den Jagdtrail mündete und ihm weiter nach Südwesten folgte. Ein Snowmobil, das ungefähr vor einer Stunde auf den Trail gefahren sein musste, so frisch sahen die Abdrücke aus.

      »Weiter«, rief Julie und folgte dem Snowmobil. Mit seinem breiten Antriebsband hatte das Gefährt den Schnee platt gedrückt und den Trail so präpariert, dass sie wesentlich zügiger vorankam. Die Spur führte durch den lichten Wald am Flussufer, bog dann mit dem Trail nach Süden ab und erklomm eine Anhöhe, von der aus man die Ausläufer des Double Mountain sehen konnte, eines fast zweitausend Meter hohen Bergriesen, dessen Gipfel in den tief hängenden Wolken kaum zu sehen war. Das Wetter hatte sich verschlechtert, die Luft roch nach Schnee, und dunkle Schatten lagen in den Tälern.

      Julie hatte ein schlechtes Gefühl. Übermütige Jugendliche wie der Junge, der Shorty beschimpft hatte, wagten sich selten so weit in den Park hinein. Im Hinterland war die Gefahr, bei einem Unfall ganz auf sich allein gestellt zu sein, viel zu groß; dort gab es keine Sendemasten, und man bekam selbst mit einem sehr guten Handy keinen Empfang mehr. In diesen Regionen hielten sich eher erfahrene Männer auf, und wenn sie ein Snowmobil benutzten, dann nur, um so schnell wie möglich das Weite zu suchen und keinem Ranger zu begegnen. Rücksichtslose Wilderer, die gegen das Gesetz verstießen und innerhalb der Grenzen des Nationalparks auf die Jagd gingen, weil dort leichter an Beute zu kommen war. Die Tiere dort waren es nicht gewohnt, gejagt zu werden.

      Sie war sich der großen Gefahr, in die sie sich begab, sehr bewusst und schwor sich, sofort Ranger Erhart zu alarmieren, falls sich ihr Verdacht bestätigte. Einen Wilderer in die Enge zu treiben und zu verhaften, war viel zu gefährlich, auch wenn in ihrem Schlittensack ein Revolver steckte. Ein Smith & Wesson, der eigentlich nur dafür gedacht war, sich bei einem Überraschungsangriff gegen einen aufgebrachten Grizzly oder einen Elch zu wehren. Sie wäre nie in der Lage gewesen, auf einen Menschen zu schießen, und hatte sich deshalb auch nicht für die Polizeitruppe gemeldet. Law Enforcement war nichts für sie. Sie wollte sich auch als feste Rangerin um die Huskys kümmern, auf Patrouille gehen und an wissenschaftlichen Projekten mitarbeiten.

      Sie lenkte die Huskys den Hang hinab und hielt überrascht den Schlitten an, als sie die plötzliche Unruhe ihres Gespanns bemerkte. Die Hunde witterten etwas, wirkten verstört und wären wohl sofort umgekehrt, wenn Julie nicht den Schlitten verankert hätte. Auch sie musste sich zwingen, nicht den Schlitten zu wenden und auf den Hügelkamm zurückzufahren. Die Gefahr, in die sie sich begeben hatte, war beinahe körperlich zu spüren. Hier stimmte etwas nicht. Der Schnee war aufgewühlt, als hätte der Fremde so plötzlich die Bremse betätigt, dass sich sein Snowmobil im Kreis gedreht hatte, und zwischen den Bäumen waren noch seine Fußspuren zu sehen. »Ganz ruhig«, beschwichtigte sie die Hunde, »er ist weg, sonst wäre sein Snowmobil noch hier.«

      Sie folgte den Fußspuren durch den Wald und blieb abrupt am Rand einer Lichtung stehen, als sie einen toten Elch im Schnee liegen sah. Unter dem Kadaver war literweise Blut in den Schnee gesickert. Sie näherte sich dem toten Tier und fand keine Schusswunde, brauchte eine ganze Weile, um die Einschusslöcher von drei Pfeilen zu finden. Der Wilderer hatte den Elch mit Pfeil und Bogen gejagt, um sich nicht mit einem Schuss zu verraten, und war außerdem noch so schlau gewesen, die Pfeile mitzunehmen. Viele Jäger konnten mit Pfeil und Bogen umgehen, jagten während der Saison auch deshalb wie früher, um die Chancengleichheit zu erhöhen und die Jagd sportlicher zu gestalten. Nur hatten sich die Waffen in der Zwischenzeit weiterentwickelt und moderne Ausrüstung und Carbonpfeile erleichterten den Jägern die traditionelle Bogenjagd. Dieser Wilderer hatte aber aus purer Berechnung gehandelt und mit dem Bogen gejagt, um unentdeckt zu bleiben. Er hatte nur die besten Fleischstücke herausgeschnitten und war sicher längst über alle Berge.

      Sie starrte eine Weile auf die blutigen Überreste des Elchs und griff nach dem Funkgerät. »Ranger Erhart? Ranger Wilson hier. Es war ein Wilderer.«

      2

      Während der Rückfahrt begann es zu schneien. Die dunklen Wolken stauten sich an den Berghängen, und dicke Flocken trieben mit dem Wind über den Trail. Sie hatte die Kapuze ihres Anoraks über den Kopf gezogen und kniff die Augen gegen das Schneetreiben zusammen. Weder ihr noch den Huskys machte der Schnee etwas aus, sie waren dieses Wetter seit Langem gewohnt.

      Ranger Erhart hatte ihr befohlen, so schnell wie möglich zu den Park Headquarters zurückzukommen. Seine Polizeitruppe würde sich um den Wilderer kümmern. Solange es sich nicht um Gewaltverbrechen wie Mord und Entführung handelte, besaß er die gleiche Entscheidungsgewalt wie die Alaska State Trooper und war nicht auf deren Hilfe angewiesen. Erst wenn sie den Wilderer festgenommen hatten, würden sie ihn den Troopern übergeben, und er würde sich vor einem ordentlichen Gericht verantworten müssen.

      Die Huskys waren froh, von dem blutigen Tierkadaver fortzukommen, und liefen schneller, ohne dass Julie sie antreiben musste. Selbst im Tiefschnee kamen sie jetzt besser voran, und auf der Park Road legten sie ein solches Tempo vor, dass der Schlitten in den Kurven gefährlich zu schlingern begann. »Nicht so hitzig, Chuck«, rief Julie ihrem Leithund zu, »oder wollt ihr, dass ich mir den Hals breche? Ihr seht doch, wie glatt es hier ist. Auf der Geraden könnt ihr wieder laufen. Ja, so ist es besser. Bleib in der Spur, Curly, sonst verhedderst du dich in den Leinen.«

      Sie erreichten die Park Headquarters am frühen Nachmittag. »Whoaa! Whoaa!«, befahl Julie ihrem Gespann, als sie zu den Hundezwingern abbogen. Die Huskys, die sie zurückgelassen hatten, bellten aufgeregt und schienen froh zu sein, ihre Artgenossen wiederzusehen. Skipper und die anderen Huskys des Denali-Teams hatten sich während der letzten Monate an die Neuankömmlinge gewöhnt, betrachteten sie aber noch als Eindringlinge und Konkurrenz und knurrten, vor allem Rowdy, der allerdings auch nach den Hunden seines eigenen Gespanns schnappte, wenn er schlechter Laune war.

      Julie verspürte riesigen Hunger, kümmerte sich aber wie jede gute Musherin zuerst um ihre Huskys. Alles andere hätten ihr die Hunde auch niemals verziehen. Sie fütterte zuerst ihren Leithund und dann die anderen mit einem Eintopf aus Lachs und Reis, den sie mit etwas Wasser verdünnte, damit sie genug Flüssigkeit aufnahmen. Für jeden Hund hatte sie ein freundliches Wort und einen liebevollen Klaps übrig. »Ruht euch ein wenig aus«, empfahl sie ihnen, »wir haben eine anstrengende Fahrt hinter uns.« Sie hörte Rowdy wütend bellen. »Und lasst euch nicht von diesem Rüpel provozieren, okay?«

      Sie grüßte einen Ranger, der gerade aus dem Verwaltungsgebäude kam, und kehrte zu ihrem Blockhaus zurück. Carol hatte gerade ihre Mittagspause beendet und war bereits in ihren Anorak geschlüpft. Sie war eine sportliche Frau mit wettergebräuntem Gesicht und trug ihre dunklen Haare zu einem Knoten gebunden. »Julie, da bist du ja endlich«, rief