»Okay«, erwiderte er.
»Bis zur nächsten Kurve. Nicht weiter.«
Sie trat zur Seite und wandte sich an ihre Huskys. »Hast du gehört, Chuck? Jetzt will es Johnny mal versuchen. Macht ihm das Leben nicht zu schwer.«
Johnny zögerte ein wenig, fühlte sich anscheinend nicht allzu wohl auf den Kufen, wollte sich vor Julie aber keine Blöße geben. »Heya! Vorwärts!«, trieb er die Hunde an. Es klang ein wenig zaghaft. »Zeig, was du kannst, Chuck.«
Die Huskys zogen so heftig an, dass Johnny schon beim Start beinahe von den Kufen fiel. Er ruderte mit einem Arm, schaffte es kaum, das Gleichgewicht zu halten, fuhr ein paar Schritte und konnte nicht verhindern, dass der Schlitten nach links driftete und wuchtig gegen die Böschung stieß. Er verlor den Halt, klammerte sich mit einer Hand an den Schlitten und rief so lange »Whoaa! Whoaa!«, bis die Hunde stehen blieben. Sie drehten sich verwundert nach ihm um, waren es nicht gewohnt, dass ein Musher so einfach vom Schlitten fiel.
Johnny blieb fluchend im Schnee liegen und wischte sich wütend eine Träne weg. »Was soll der Scheiß? Ich hab nichts mit den Kötern im Sinn. Ich will wieder nach Hause.«
»Aber das war doch gar nicht schlecht«, erwiderte Julie.
»Wie kommen Sie denn darauf?«
»Jeder andere Anfänger hätte den Schlitten losgelassen, und die Huskys wären wahrscheinlich auf Nimmerwiedersehen damit verschwunden. Du hast ihn festgehalten. So instinktiv handeln nur echte Naturtalente.«
»Ehrlich?«
»Ganz ehrlich«, versicherte sie ihm.
6
Jenseits des Savage River ließ Julie den Jungen noch einmal fahren. »Wir machen das wie in der Fahrschule«, sagte sie. »Du lenkst den Schlitten, und ich mache mir’s auf der Ladefläche bequem und helfe dir. Einverstanden?«
Johnny ließ sich von ihrem freundlichen Lächeln besänftigen und sparte sich zumindest eine unflätige Bemerkung. »Ich weiß nicht. Die Fahrerei mit den Hunden ist nicht so mein Ding. Die Huskys mögen mich anscheinend nicht.«
»Oh, da wär ich mir nicht so sicher. Wenn sie dich nicht mögen würden, wärst du vorhin im Tiefschnee gelandet. Chuck ist nicht gerade zimperlich, wenn er einen nicht leiden kann. Dich mag er.« Sie blickte auf den Leithund, der ungeduldig darauf wartete, dass es weiterging. »Stimmt doch, Chuck?«
Chuck ließ sich nicht lumpen und bellte erwartungsvoll.
»Siehst du?« Julie zeigte ein sanftes Lächeln. »Er sagt, dass er dich gut leiden kann und sich freuen würde, dich auf den Kufen zu sehen. Also?«
»Verstehen Sie etwa die Hundesprache?«
»Nicht wirklich, aber vieles kann man sich denken, wenn man lange mit Hunden zu tun hat und sie genau beobachtet. Hunde verständigen sich auch durch Körpersprache und bestimmte Bewegungen. Die lernt man bald, wenn man ständig mit ihnen zu tun hat. Sieh dir Chuck an, wie entspannt er auf uns wartet. Das bedeutet, wir brauchen uns keine Sorgen zu machen. Es ist niemand in der Nähe, der uns schaden kann. Weder ein Elch noch ein wütender Grizzly, den jemand aus seinem Winterschlaf geholt hat. Oder Apache, der hinter Chuck läuft. Siehst du, wie nervös er sich bewegt? Er will so schnell wie möglich weiter. Zu viele Pausen mag er nicht. Er ist glücklich, wenn er laufen kann.«
»Also gut … ich versuch’s noch mal«, gab Johnny nach.
Julie setzte sich mit dem Gesicht nach hinten auf die Ladefläche, damit sie den Jungen besser beobachten konnte, und wartete, bis er auf die Kufen gestiegen war. »Okay, wie vorhin«, sagte sie, »aber halt dich beim Start besser fest und gehe leicht in die Knie, um den Ruck abzufedern. Los geht’s!«
Johnny trieb die Hunde mit einem lauten »Heya!« an und ging so vor, wie Julie es ihm empfohlen hatte. Wahrscheinlich gegen seinen Willen lächelte er stolz, als er durch den kräftigen Ruck, der durch den Schlitten ging, nicht von den Kufen geworfen wurde. »Heya! Heya! Vorwärts!«, tönte er übermütig.
»Du bist noch zu verkrampft«, rief Julie, »sei etwas lockerer und pass auf die Bodenwellen auf. Immer schön in die Knie gehen, wenn es holprig wird.« Er fuhr durch eine Schneedüne, die der Wind über die Straße getrieben hatte, und ging tief in die Hocke, beinahe zu tief. »Nicht übertreiben, Johnny!«
Die nächsten zwei Meilen lief alles glatt. Die Straße führte in sanften Windungen durch lichten Wald, und der Junge brauchte sich nicht einmal anzustrengen, um den Schlitten in der Spur zu halten. Chuck merkte wohl, dass ein Anfänger auf den Kufen stand, und sorgte selbst für das richtige Tempo. Solange Julie auf der Ladefläche saß, musste er sich benehmen, auch wenn sie ihm den Rücken zugewandt hatte und ihn nicht zu beachten schien. Aber der Zweibeiner auf den Kufen war anscheinend ihr Freund, und sie würde wahrscheinlich ziemlich wütend werden, wenn er noch einmal in den Schnee stürzte.
Wenige Meilen westlich des Sanctuary River ließ Julie den Jungen anhalten und deutete nach Norden. Hinter den Schwarzfichten, die sich dunkel gegen das arktische Zwielicht abhoben, ragte der Mount Wright empor, im Vergleich zum Mount McKinley eher eine sanfte Erhebung, aber besonders schwieriges Terrain mit zahlreichen steilen Hängen und schroffen Canyons.
»Der Mount Wright«, erklärte sie, »dort oben gibt’s keine Bäume mehr. Nur noch Tundra. Im Sommer ein einziges Blumenmeer und jetzt im Winter eine besondere Herausforderung für jeden Musher. Wollen wir’s versuchen?«
Johnny fühlte sich anscheinend herausgefordert. »Logisch.«
»Okay. Ich übernehme die erste Etappe, dann kommst du dran.« Sie stieg vom Schlitten und ging zu den Hunden. »Aber bevor du einen schwierigen Trail angehst, sprichst du besser mit deinen Hunden. Sie sind sehr sensibel, weißt du, und hätten es wahrscheinlich gerne, wenn man sie den ganzen Tag lobt. Am besten hilfst du mir, Johnny. Du willst doch wissen, mit wem du es zu tun hast.«
Johnny kam zu ihr und ging ohne eine abfällige Bemerkung neben ihr in die Hocke. Er grinste nicht mal. »Das ist Chuck, unser Leithund«, sagte sie und kraulte ihn ausgiebig zwischen den Ohren. »Zu ihm musst du besonders freundlich sein, denn er hat im Gespann das Sagen.« Sie wandte sich an den Husky. »Na, was sagst du, Chuck? Hat Johnny das nicht gut gemacht? Jetzt wollen wir mal sehen, wie er im Tiefschnee zurechtkommt. Bist du bereit?«
Natürlich war er bereit, und auch die anderen Hunde bewegten sich bereits unruhig. Sie strengten sich gerne an, nicht nur auf ebenen und geräumten Straßen. Kein anderes Tier tollte so gern im tiefen Schnee herum wie sie.
Julie wartete, bis der Junge auf der Ladefläche saß, und lenkte ihr Gespann über die Böschung. Der Trail zum Mount Wright lag zwischen verfilztem Gestrüpp versteckt und war im Halbdunkel kaum zu erkennen. Selbst die Huskys taten sich schwer, ließen aber nicht locker und zogen den Schlitten ruckweise durch das dichte Unterholz. »Heya! Heya! Gleich haben wir es geschafft!«, trieb Julie sie an. »Lass den Kopf unten, Johnny. Es ist nicht mehr weit.«
Doch es dauerte noch über eine Viertelstunde, bis sie den Waldrand erreichten und ihnen kein wucherndes Gestrüpp mehr den Weg versperrte. Erst im späten Frühjahr, wenn die Saison begann, würden die Ranger den Trail für die Wanderer räumen. Julie atmete erleichtert auf und folgte dem Trail, der über mehrere Hügelkämme verlief und sich weiter nördlich zwischen den Felsen verlor. Auf einem der Hügelkämme ließ sie das Gespann anhalten.
»Bin ich jetzt dran?«, fragte Johnny. Er konnte es anscheinend gar nicht erwarten, wieder auf die Kufen zu steigen. »Ich glaub, hier macht es mehr Spaß als auf der Park Road. Ziemlich coole Gegend hier oben … richtig wild.«
»Klar«, war Julie einverstanden, »aber zuerst sehen wir uns das da an.«
Sie hatten einen dieser seltenen Tage erwischt, an denen sich der Mount McKinley von seiner besten Seite zeigte. Noch waren sie