»Vielleicht sollte ich euch besser trennen«, überlegte Julie, »bevor ihr euch noch gegenseitig an die Gurgel geht. Was meint ihr?« Die Welpen reagierten nicht auf ihren Vorschlag, machten aber auch nicht den Eindruck, als wären sie ein Herz und eine Seele. Bei den Hunden war es ähnlich wie bei den Menschen. Selbst Geschwister kamen manchmal nicht miteinander aus. »Wir versuchen es noch mal«, schlug sie vor, »okay? Und wenn sich bis heute Abend nichts geändert hat, und ihr streitet immer noch, bekommt ihr Einzelzimmer.«
Julie brachte den Eimer mit dem Trockenfutter in den Schuppen zurück und verriegelte die Tür. Was streitende Huskys betraf, war sie ein gebranntes Kind. Beim Wurf einer ihrer Hündinnen waren auch mal zwei Welpen dabei gewesen, die einander nicht leiden konnten. Sie hatten als Welpen gestritten und wären auch als ausgewachsene Hunde nicht miteinander ausgekommen, wenn sie einen der Streithähne nicht an einen Bekannten verschenkt hätte.
Sie kehrte zu den Hunden zurück und sah Carol mit dem fünfzehnjährigen Johnny Steele zu den Zwingern herunterkommen. Ihr schwante Böses. Ihr Bedarf an jungen Männern, die sich danebenbenahmen, war nach der letzten Nacht eigentlich gedeckt. »Soll ich deine Hunde füttern?«, fragte sie.
»Das hab ich schon erledigt«, erwiderte Carol, die natürlich ahnte, dass Julie das Unvermeidliche nur hinausschieben wollte. »Sonst wären sie bestimmt nicht so ruhig. Aber um Johnny könntest du dich kümmern.« Sie legte dem Schüler, der genauso wenig Lust auf einen Arbeitstag mit den Hunden zu haben schien wie Julie auf einen Tag mit ihm, einen Arm um die Schultern. »Du weißt doch, dass er ein zweiwöchiges Praktikum bei uns absolviert, und wenn sein Referat ein bisschen Pfeffer haben soll, muss er natürlich einen Tag bei den Huskys verbringen. Wie wär’s, wenn du ihm alles erklärst und auf Tour mit ihm gehst?«
Julie machte gute Miene zum bösen Spiel. »Klar. Zur Fütterung kommst du leider zu spät, aber ich nehme an, du willst sowieso lieber den Schlitten steuern. Stimmt’s, Johnny? Du wirst sehen, das ist gar nicht so einfach.«
Johnny sagte gar nichts und blickte gelangweilt in die Gegend. Anscheinend bereute er längst, sein Praktikum im Nationalpark absolvieren zu müssen. Nicht einmal der Anblick der Schlittenhunde konnte ihn aufheitern. Genauso gut hätten sie vor den leeren Zwingern stehen können.
Er schmollte auch noch, als Carol längst gegangen war und Julie den Schlitten aus dem Schuppen holte. Sofort wurden ihre Huskys unruhig. Sie merkten, dass eine Tour bevorstand, und freuten sich darauf, durch den Schnee zu sprinten. An einem kalten, aber klaren Morgen wie diesem machte es besonderen Spaß. Die wenigen Wolken waren weitergezogen, und obwohl kaum noch Sterne zu sehen waren, leuchtete der Schnee in einem verführerischen Weiß. Der Wind hielt sich in Grenzen, strich beinahe sanft über den Schnee.
»Okay«, begann sie ihren Unterricht, »ich nehme an, du siehst so einen Hundeschlitten nicht zum ersten Mal. Es gibt sie in mehreren Formen und Größen. Für den Transport großer Lasten müssen sie vor allem stabil sein und eine große Ladefläche haben, bei einem Rennschlitten kommt es vor allem auf das geringe Gewicht an.« Sie sah, dass Johnny kaum Interesse zeigte, fragte aber dennoch: »Was meinst du? Wollen wir einen Ausflug machen?«
»Meinetwegen«, erwiderte der Junge gelangweilt. »Immer noch besser, als in der Bibliothek rumzuhängen oder auf Schneeschuhen rumzuwandern. Aber mit dem Snowmobil zu fahren, wäre noch cooler. Huskys sind mir zu langsam.«
»Dann warst du noch nie mit ihnen unterwegs.«
Julie breitete die Führungsleine auf dem Boden aus und zeigte dem Jungen, wie man den Huskys die Geschirre anlegte. Er schien nur mäßig interessiert und fuhr ängstlich zurück, als er ihr dabei helfen sollte und ihn der launische Curly kräftig ankläffte. Julie verband die Hunde mit der Führungsleine.
»So, jetzt kann’s losgehen«, sagte sie. Die Hunde zerrten bereits ungeduldig an den Leinen, doch sie erklärte dem Jungen erst, was man beim Steuern eines Hundeschlittens beachten musste. »Wenn du willst, dass es losgehen soll, rufst du ›Heya!‹ oder ›Vorwärts!‹ oder etwas in der Art. Wenn sie anhalten sollen, hören sie auf ›Whoaa!‹. ›Haw!‹ bedeutet ›Nach links!‹ und ›Gee!‹ ist der Befehl für ›Nach rechts!‹ Aber meist merken die Hunde sowieso, wo es langgeht. Wichtig ist, dass du locker bleibst, wenn du auf den Kufen stehst und jede Erschütterung mit den Knien abfederst. In eine Kurve geht man, indem man sein Gewicht verlagert. Soweit alles klar, Johnny?«
»Ist ja keine Wissenschaft«, meinte er gelangweilt.
»Schwierig wird es, wenn man den Trail verlassen und sich durch den Tiefschnee quälen muss. Oder wenn eine Steigung zu steil ist. Dann musst du runter von den Kufen und den Huskys helfen. Wenn’s gar nicht anders geht, auch auf Schneeschuhen. Am wichtigsten ist es, entweder vor dem Schlitten zu bleiben oder die Haltestange niemals loszulassen. Schlittenhunde bleiben nicht stehen, wenn du loslässt. Die laufen weiter, bis sie nicht mehr können. Es sei denn, du hast Glück, und sie bleiben irgendwo hängen. Falls du einem Elch begegnest, halte sofort an und ramme den Anker in den Schnee.«
»Klingt cooler, als ich dachte«, gab er zu.
»Okay, dann mach’s dir auf der Ladefläche bequem. Wickel dich in die Decken und halte dich gut fest, dann zeige ich dir, wie schnell man mit einem Hundeschlitten fahren kann. Beeil dich, die Huskys werden schon unruhig.«
Julie wartete, bis Johnny auf der Ladefläche saß, und fuhr los. »Heya! Heya! Vorwärts, meine Lieben! Johnny glaubt, dass ihr zu langsam seid. Wie wär’s, wenn ihr ihm mal zeigt, was ihr so draufhabt? Schneller, schneller!«
Ranger Erhart, der gerade aus dem Krankenrevier getreten war und auf einer kalten Zigarre kaute, blieb erstaunt stehen, als sie mit dem Hundeschlitten an ihm vorbeiraste und über die Park Road nach Westen fuhr. Auf der geräumten Straße war das Fahren ein reines Vergnügen, und man musste nicht mal sonderlich aufpassen, weil sie breit genug war und der Schlitten schon mal ins Schlingern geraten konnte, ohne dass man gleich über die Böschung fuhr. Inzwischen zeigte sich ein heller Lichtstreifen am Horizont, und sie brauchte nicht mal die Stirnlampe, um sich im arktischen Zwielicht zurechtzufinden. »Du hast dir einen guten Tag ausgesucht«, rief sie dem Jungen zu.
Vergnügt beobachtete sie, wie sich Johnny mit verkrampften Händen am Schlitten festhielt. Er sollte ruhig ein wenig leiden für seine widerspenstige Art. Einmal drehte er sich sogar um und warf einen ängstlichen Blick zurück.
»Zu schnell?«, fragte sie so laut, dass er sie verstehen konnte.
»Nein … nein, das ist schon okay.«
»Schneller, Chuck! Was ist los mit euch? Habt ihr keine Lust heute?« Sie ging in die Knie und federte eine Bodenwelle ab. »Oder wollt ihr Johnny schonen? Johnny hat keine Angst, er fährt gern schnell. Stimmt’s, Johnny?«
»Ja … ja klar.«
Julie ließ ihn ein paar Minuten leiden, dann bremste sie den Schlitten und brachte die Hunde mit einem lauten »Whoaa!« zum Stehen. Johnny saß wie versteinert auf der Ladefläche und hielt sich noch mit beiden Händen fest.
»Alles okay? War das schnell genug?«
Er war etwas blass um die Nase und brauchte einen Moment, bis er wieder klar denken konnte. »Sicher. Die Hunde gehen ganz schön ab, das stimmt.«
»Normalerweise lassen wir’s etwas gemütlicher angehen«, beruhigte sie ihn. »Wir fahren schließlich keine Rennen hier. Obwohl …« Sie stieg von den Kufen und schob ihre Kapuze zurück. »Ranger Schneider hat schon mal beim Iditarod mitgemacht. Vom Iditarod hast du doch sicher schon gehört, oder?«
»Das große Rennen … klar. Ist sie denn in Nome angekommen?«
»Sie ist Fünfte geworden.«
»Fünfte … wow!«
»Willst du mal