Viel wichtiger als die Kücheneinrichtung war Julie jedoch ihre neue Uniform, die über einem der Küchenstühle hing, dunkelgrün wie bei allen Rangern und mit dem flachen Hut, auf den die meisten Ranger besonders stolz waren. Dazu gab es einen winterfesten Anorak in der gleichen Farbe und eine Wollmütze. »Wow!«, staunte Julie, während sie mit der flachen Hand über die Uniform strich, »davon habe ich ein Leben lang geträumt. Wenn ich es jetzt noch schaffe, eine feste Anstellung zu bekommen … das wäre das Größte.« Sie trug die Uniform in ihr Schlafzimmer.
»Das schaffst du bestimmt«, ermutigte Carol sie. »Ich werde schon dafür sorgen, dass aus dir eine anständige Rangerin wird. Am besten richtest du dich erst mal häuslich ein. Ich erledige inzwischen einigen Papierkram. In einer Stunde hole ich dich ab, dann gehen wir zusammen auf Patrouille, okay?«
»Heute schon?« Sie strahlte. »Das ist ja riesig. Ich beeile mich.«
Julie holte ihren Pick-up und parkte ihn direkt vor dem Blockhaus. Sie brauchte keine halbe Stunde, um ihr Gepäck in die Hütte zu tragen. Sie hatte sich die Ausrüstung besorgt, die den neuen Praktikanten in einer Info-Broschüre empfohlen wurde. Einige persönliche Dinge verstaute sie sofort in ihrem Nachttisch, darunter auch ein Foto ihrer Eltern, als sie noch verheiratet gewesen waren. Sie sehnte sich oft nach dieser Zeit, vor allem, weil sie kaum noch Kontakt zu ihrer Mutter hatte, die beinahe viertausend Meilen von ihr entfernt in San Diego wohnte und sich nur alle paar Wochen meldete, meist per E-Mail. »Viel Glück«, hatte ihre Mutter gemailt, als sie ihr von der Anstellung als Rangerin berichtet hatte, »ich hoffe, du bringst es bis zum Superintendent.« Ihrer Mutter war ihre Karriere immer wichtig gewesen, und auch sie sah ihren Beruf im Augenblick an erster Stelle. Das nächste halbe Jahr würde entscheidend für ihre berufliche Entwicklung sein, und sie hatte geschworen, sich ganz auf ihren Job zu konzentrieren. Für Beziehungskisten, wie sie Abenteuer dieser Art spöttisch nannte, blieb da wenig Zeit. Von oberflächlichen Lovern und One-Night-Stands, die nur einen bitteren Geschmack hinterließen, hielt sie sowieso nichts. Wenn irgendwann ein Mann in ihr Leben trat, sollte er auch ernste Absichten haben. Vorausgesetzt, sie liebte ihn.
Julie seufzte und machte sich wieder ans Auspacken. Ebenfalls auf ihren Nachttisch kam ein Plüschfrosch, den sie Mr. Green nannte. »Think Green« hatte er auf seinem Bauch stehen. Ihre Lebensmittel brachte sie im Vorratsschrank, dem Kühlschrank und dem Gefrierschrank unter. Sie würden für mindestens zwei Wochen reichen. In der näheren Umgebung des Parks gab es lediglich einige überteuerte kleine Läden.
Nachdem sie mit dem Einräumen fertig war, tauschte sie ihren Anorak und ihre Mütze gegen die neuen Kleidungsstücke des Nationalparks aus und sah sich das Shower House und den Recreation Room an, bevor sie zu ihrem Blockhaus zurückkehrte. Sie betrachtete sich noch einmal im Spiegel, lächelte zufrieden und wartete vor der Tür auf Carol. Das Schneetreiben hatte nachgelassen, und es war nicht mehr so kalt wie am frühen Morgen, vielleicht lag das aber auch an ihrem neuen Anorak oder daran, dass die Blockhütten des C-Camps alle windgeschützt zwischen hohen Fichten lagen. Der Wind rauschte leise in den Baumkronen und trieb dünne Schneeschleier von den Dächern.
»Der Anorak steht dir gut«, sagte Carol, als sie zurückkam. Sie war in Begleitung eines stämmigen Mannes, der das goldene Abzeichen eines Polizisten an seinem Anorak trug und die natürliche Autorität ausstrahlte, die man bei vielen Polizisten fand. Er musste um die fünfzig sein. Sein Gesicht war wettergegerbt, die Augen stahlblau, der dichte Schnurrbart grau, und das Einzige, was ihn von einem Sheriff, wie ihn Julie aus Westernfilmen kannte, unterschied, waren die etwas zu dicken Backen und der leichte Bauchansatz, der allerdings unter seinem Anorak fast vollkommen verschwand. »Das ist Greg Erhart, unser Polizeichef. Er möchte, dass wir ihm bei der Suche nach zwei Jugendlichen helfen. Zwei Halbwüchsige, die anscheinend ein Snowmobil-Rennen veranstalten und den Park mit einer Rennpiste verwechseln. Sie treiben sich am Igloo Creek rum, da kommt man nicht mal mit dem Geländewagen hin.«
Julie stellte sich vor und unterdrückte mühsam einen Schrei, als der Polizeichef sie mit einem festen Händedruck begrüßte. »Und wir sollen sie festnehmen?«, fragte sie verwundert. »Ich dachte, das dürfen nur Polizisten.«
»Normalerweise schon«, stimmte ihr Greg zu, »aber wir haben es mit zwei jungen Kerlen zu tun, die weder gemeingefährlich noch bewaffnet sind.« Sein Schnurrbart war eisverkrustet und zitterte nicht mal. »Ich habe nicht zum ersten Mal mit den beiden zu tun. Der Super würde mir ordentlich einheizen, wenn ich ihretwegen einen Hubschrauber klarmachen würde. Schon mal von einem Aufgebot gehört? Das waren erfahrene Bürger, die ein Sheriff im alten Westen als Helfer verpflichtete, wenn er auf Verbrecherjagd ging.« Er rieb sich über den Schnurrbart. »So streng, wie es in der Broschüre steht, die man Ihnen gegeben hat, sind unsere Abteilungen nicht getrennt. Man hat mir gesagt, Sie können gut mit einem Hundeschlitten umgehen?«
»Ich denke schon«, erwiderte Julie mutig. »Zum Iditarod hat es bisher noch nicht gereicht, aber ich komme zurecht.« Sie holte tief Luft. »Ich bin bereit.«
»Worauf warten wir dann noch?«, fragte Carol.
4
»Heya! Lauft, ihr Lieben!« Julie hielt ihr Gesicht in den eisigen Fahrtwind und genoss die rasante Fahrt über die feste Schneedecke der Park Road. »Hier könnt ihr euch mal richtig austoben! Bleib an Carol dran, Chuck! Lass dich nicht abhängen! So gut wie Skipper bist du schon lange! Vorwärts, Chuck!«
Julie fuhr im Windschatten von Carol, die Knie leicht angewinkelt, um Schneeverwehungen oder Bodenwellen besser abfedern zu können. Auf dem festen Schnee und in der Gewissheit, keinen Gegenverkehr zu haben, machte das Fahren besonders großen Spaß. Ihre Hunde freuten sich, nach der unbequemen Fahrt auf dem Pick-up wieder laufen zu können, und hetzten in weiten Sprüngen über den Schnee, legten es manchmal sogar darauf an, das andere Gespann zu überholen und ließen sich nur widerwillig wieder zurückfallen.
Von Carol konnte sich Julie einiges abschauen. Die Rangerin fuhr noch ruhiger und gleichmäßiger als sie und stand so locker auf den Kufen , als steuerte sie den Schlitten über festes Eis. Scheinbar ohne Anstrengung meisterte sie jedes Hindernis, und ihre Befehle waren so kurz und knapp, dass sich Julie jedes Mal wunderte, wie schnell ihre Huskys reagierten. Besonders Skipper, ihr Leithund, war ein intelligenter Bursche, der auch Chuck noch einiges an Kraft und Schnelligkeit vorauszuhaben schien. Rowdy benahm sich öfter mal daneben, bellte wütend nach vorn oder drehte sich vorwurfsvoll zu den anderen Huskys um, gehorchte aber schnell, wenn Carol mahnend seinen Namen rief. So routiniert und gelassen verhielt sich nur eine erfahrene Musherin, die mehrmals an großen Hundeschlittenrennen teilgenommen hatte.
Wie fast jede junge Musherin hatte auch Julie schon darüber nachgedacht, am Iditarod teilzunehmen, den Gedanken aber gleich wieder verworfen. Nicht, weil ihre Huskys den Anforderungen dieses harten Rennens nicht gewachsen wären. Chuck war ein erfahrener Leithund, der sich selten aus der Ruhe bringen ließ. Bronco lief neben ihm und war so kräftig, dass er den Schlitten auch allein gezogen hätte. Curly benahm sich manchmal wie ein ungezogener Junge, schaffte es aber auch, die anderen Huskys aufzumuntern, wenn es mal nicht so lief. Apache war trotz seiner Jugend schon sehr erfahren und würde Chuck einmal als Leithund ablösen. Blacky und Nanuk, die beide direkt vor dem Schlitten liefen, brachten Kraft, Ruhe und Ausdauer mit. Ein erfahrenes Gespann, auf das man sich verlassen konnte und das auch den hohen Anforderungen der Park Ranger in einem Nationalpark gewachsen war.
An einem Aussichtspunkt am östlichen Ufer des Jenny Creek hielt Carol ihr Gespann an. Julie lenkte ihren Schlitten neben sie. Inzwischen war die Sonne aufgegangen, und der helle Streifen am östlichen Horizont überzog das verschneite Land mit rötlichem Licht, das selbst die eisigen Hänge im Norden einladend aussehen ließ. Feiner Nebel hing über den zugefrorenen Flüssen und stieg bis in die Ausläufer des mächtigen Mount McKinley empor, der wie ein gewaltiges Monument aus dem Land ragte und alle anderen Berge der Alaska Range um ein Vielfaches überragte. Majestätisch thronte er über den verschneiten Tälern. Sein Gipfel, nur für Sekunden sichtbar, verschwand sofort wieder hinter den dichten Wolken, die sich im Norden zusammengeballt hatten, doch selbst jetzt ahnte man noch seine majestätische Größe. Ein Berg, wie es ihn nicht einmal im Himalaya gab, rauer und abweisender, für