4 1/2. Arna Aley. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Arna Aley
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783961190027
Скачать книгу
Wohnung schien eine verzauberte Geliebte zu sein. Alles, was da rumstand, hatte keine Funktion, alles schaute mir zu, wie ich durch die Wohnung schlich.

      Joe war weg. Seine Geliebten passten auf mich auf.

      Ich überlegte, in welchen Gegenstand er mich verwandeln würde. Es war dunkel. Die Fenster wurden mit Bettlaken zugedeckt. Der Herd war noch warm, das Geschirr nicht abgewaschen.

      Oben übte jemand Klavier.

      Ich war sehr schlecht auf dem Klavier. Ich erzählte gerne überall von meiner großen Pianistinnenkarriere und wusste ganz genau, dass daraus nichts werden würde. Das einzig Traurige für mich daran war, dass ich mich nie in einem langen dunkelblauen Samtkleid vor dem tobenden Publikum des vollgefüllten Philharmoniesaals, mit einem zurückhaltenden Lächeln im Gesicht, bescheiden verbeugen würde. Das oben offene Kleid sollte mit seidenen Spagettiträgern gehalten werden, damit es nicht zu eng an der Brust geschnitten werden muss, wegen des freien Atmens während des Spiels. An dem zugespitzten Brustteil des Kleides, an dem der linke Spagettiträger befestigt wird, sollte eine dunkelviolette Stoffblume angebracht werden. Die Blume hatte ich schon, die lag auf meinem Schreibtisch aufbewahrt, in einer durchsichtigen Plastikschale von französischen Bonbons, eine dunkelviolette Lilie. Die Bonbons habe ich im Klavier versteckt. Unten im Klavier ist ein kleiner Raum, in dem ich auf Empfehlung des Klavierstimmers zwei mit Wasser gefüllte Gläser aufstellte, wegen der Feuchtigkeit, den übrigen Platz habe ich als Versteck genützt. Für Bonbons, für Schmuck, für Schminke, später für Zigaretten, Alkohol, Geld.

      TOTEAU Wo war ich stehen geblieben?

      BOIch weiß es nicht, ich habe dir nicht zugehört.

      TOTEAU Meine Mutter hört mir auch nie zu. Du hast mich etwas gefragt und ich fing an, zu erzählen.

      BOEs ist egal, es war bestimmt nicht so wichtig, was ich gefragt habe.

      TOTEAU Du hast mich nach meinen Klavierschülern gefragt.

      BOWas gehen mich deine Klavierschüler an.

      TOTEAU Nur so viel, dass ich dir für deren Geld Zigaretten kaufe.

      BOWie du zu deinem Geld kommst, ist mir völlig egal. Mir ist es generell egal, wo Leute ihr Geld hernehmen. Geld ist Geld. Wie es an seinen Besitzer gelangt, das ist die Sache des Besitzers, niemanden sonst geht das was an. Niemanden geht es was an, dass ich mein Geld mit gestohlenen Autos verdiene. Job ist Job. Nicht mal den Besitzer des gestohlenen Autos geht es was an. Er macht seinen Job, ich mache meinen Job. Er verdient mit irgendetwas Geld und kauft sich ein Auto, ich verkaufe sein Auto und verdiene damit Geld. Ein Kreis, der sich schließt, ganz nach den Naturgesetzen. Alles was den Naturgesetzen gemäß ist, ist automatisch richtig.

      TOTEAU Ist es auch den Naturgesetzen gemäß, dass wir so miteinander sitzen und uns überhaupt nicht im Klaren sind, was wir voneinander wollen.

      BODu hast mir nicht genug Zigaretten mitgebracht.

      TOTEAU Ist das alles, was du von mir willst?

      BOVon dir will ich gar nichts. Zigaretten kann mir auch meine Schwester besorgen.

      TOTEAU Hast du eine Schwester? Du hast mir von ihr noch nichts erzählt. Wie alt ist sie?

      BOUngefähr so alt wie du, sieht aber viel besser aus. Sie sieht viel frischer aus als du, viel weniger verbraucht, verstehst du, was ich meine. Wenn man einen Vergleich machen würde, würde ich sagen, sie ist eine Edelnutte und du bist eine Autobahnnutte. Eine polnische Autobahnnutte. Eine weißrussische Autobahnnutte. Eine tschechische Straßenrandnutte rumänischer Abstammung. Die sind die billigsten.

      TOTEAU Ich gehe jetzt.

      BOWirst du das für mich tun?

      TOTEAU Was?

      BODu weißt schon.

      TOTEAU Was?

      BOGehst du zu dem Staatsanwalt und sagst ihm, dass du falsch ausgesagt hast?

      TOTEAU (schüttelt entschlossen den Kopf) Nh-h.

      BOGleich morgen früh, ja?

      TOTEAU (lächelt ihn frech an) Ich habe nicht falsch ausgesagt.

      BOEs war keine sexuelle Nötigung! Du hast mich eingeladen. Du hast mir deine Visitenkarte zugesteckt.

      TOTEAU Du hast sie gleich zerrissen.

      BODas war ein grober Fehler von mir, jetzt hätte ich Beweismaterial gegen dich.

       TOTEAU

      Für die Fehler muss man zahlen.

      BOWie viel willst du?

      TOTEAU Ich will gar nichts. Doch. Ich will meine Mutter sprechen, ich will, dass sie mir zuhört.

      BODenk an meine Jungs, sie glauben, sie hätten mich als Autodieb geschnappt. Es ist nicht gut für die Jungs, wenn sie denken, ihr Vater wäre in seinem Beruf kein Profi. Ich bin aber ein Profi. Sie kriegen mich nicht.

      TOTEAU Erzähl ihnen die Wahrheit.

      BOWas für eine Wahrheit? Dass ich der Wahnsinnigen, die mir ihre Visitenkarte zugesteckt hat, nachgelaufen bin? Dass ich ihr in ihre Wohnung gefolgt bin?

      TOTEAU (stolz) Mir bist du gefolgt.

      BOWir wollten aber alle zusammen ins Kino. Wir waren noch nie zusammen im Kino: ich, meine Frau und die Jungs.

      TOTEAU Was ist mit dem Hund?

      BOIch habe den Jungs gesagt, ihr geht mit Mama ins Kino, Papi muss arbeiten.

      TOTEAU Arbeiten.

      BOJa, arbeiten. In vier Sekunden knacke ich ein Autoschloss. Das ist das Beste, was es gibt. Eins, zwei, drei, vier, knack! Ich muss hier raus!

      TOTEAU Das Gefühl habe ich auch. Ich muss hier raus.

      BODas wirst du für mich tun. Toteau.

      TOTEAU Toteau? Woher kennst du den Namen?

      BOStand auf deiner Visitenkarte. Du gehst gleich morgen früh dahin.

      TOTEAU (schüttelt den Kopf) Morgen früh gehe ich zu meiner Mutter. Ich kaufe eine ganze Schoko-Trüffel-Torte und besuche sie. Danach kann sie in Ruhe das Porzellangeschirr abwaschen. Ich werde sie dabei nicht mehr stören.

      BOWenn ich hier raus bin, bringe ich dich um.

      TOTEAU Das schaffe ich allein, Bo. (geht)

       Wer ist Bo? Ich habe dir von ihm schon erzählt, Mam! Bo, der Autodieb, der Familienvater.

      BOToteau!

      TOTEAU Ja, Toteau.

       Der weiße Salon.Die Einrichtung des Salons entspricht dem, was als „modern“ und „intelligent“ gilt: freie Räume mit wenigen, exklusiven Gegenständen.Die Türklingel läutet.Almaz geht durch den Salon Richtung Eingangsbereich. Sie öffnet die Tür.

      ALMAZ(aus dem Off) Rafael, begleitest du bitte die Dame in den Salon. Ich bereite den Tee zu.

      Toteau in Begleitung des zwölfjährigen Sohns von Almaz, Rafael, erscheint im weißen Salon. Rafael führt Toteau stumm zu dem weißen, ledernen Sofaeck, bietet ihr den Platz an, wartet,