4 1/2. Arna Aley. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Arna Aley
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783961190027
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wir nicht ausgemacht, dass du mir zwei Stangen mitbringst?

      TOTEAU Ich habe diese Woche wenig verdient.

      BOHast du einen Liebhaber, mit dem du schläfst?

      TOTEAU

      (schweigt)

      BOKaufst du ihm auch Zigaretten?

      TOTEAU

      (schweigt)

      BOIch kann dir im Moment nicht mehr anbieten, als dass du meinen Schlitz aufmachst und deine Hand durchschiebst. Machst du das für mich?

      TOTEAU Weißt du, ich glaube, dass das Kind mit der Muttermilch auch den seelischen Zustand der Mutter in sich einsaugt. Meine Unsicherheit würde dem Kind nicht gut tun.

      BOBist du schwanger?

      TOTEAU Nein, aber falls ich einmal schwanger wäre.

      BO(nimmt ihre Hand) Davon wirst du nicht schwanger, komm. Was machst du?

      TOTEAU Nichts.

      BOWomit verdienst du dein Geld, meine ich.

      TOTEAU Ich unterrichte Klavier. Fünf Stunden in der Woche zu zwanzig Euro.

      BODas sind hundert Euro.

      TOTEAU Ich muss aber meine Wohnung bezahlen und auch andere Sachen, die ich brauche. Den ganzen alltäglichen Mist: Wattepads, Gesichtsreinigungslotion,Toilettenpapier. Gestern habe ich mir mit kochendem Wasser den Rücken verbrannt, siehst du die Blase? Die wird noch aufgehen, hat die Apothekerin gesagt. Dafür habe ich sechs Euro fünfundzwanzig bezahlt.

      BOWas ist das?

      TOTEAU Das sind Kompressen, Brandgel und Heftpflaster für die Wunde. Damit es zu keinen Entzündungen kommt.

      BOWo siehst du die Wunde?

      TOTEAU Habe ich dir doch gezeigt. Auf dem Rücken.

      BOEine Blase ist doch keine Wunde. Die Blase kann sich doch nicht entzünden. Eine Blase ist eine hermetisch verschlossene Angelegenheit. Da kommt keine Luft rein. Wie soll sich eine Blase entzünden?

      TOTEAU Die Apothekerin hat gesagt, ich darf die Blase keinesfalls aufmachen, weil darunter eine offene Wunde ist. Wenn sich darunter eine neue Haut gebildet hat, wird die Blase von selbst aufgehen.

      BOAbsolut. Deswegen braucht man auch kein Brandgel.

      TOTEAU Aber das ist auch Wundgel zugleich. Es wirkt kühlend, desinfizierend und schmerzlindernd.

      BOHast du Schmerzen?

      TOTEAU Heute tut es nicht mehr weh, aber gestern hat die Stelle ganz schön wehgetan.

      BOWeißt du was? Du bringst diese Tüte zurück in die Apotheke und verlangst, dass sie dir die sechs Euro fünfundzwanzig zurückgeben. Dafür kaufst du mir Zigaretten.

      Samuel sagte, ich hätte Angst vor einer ernsten Beziehung. Ich würde mich immer für eine Beziehung entscheiden, die nach einer Rennstrecke mit möglichst vielen Hindernissen aussieht, um nach einer Fahrrunde sagen zu können, ich hätte es versucht, es hat aber nicht geklappt.

      Samuel wollte ein Buch über Don Juan schreiben. Einen Roman. Er hat sich in seinem Zimmer eingeschlossen und ich habe an der Tür des Zimmers geklebt. Das war wohl das Falscheste, was ich hätte tun können, ich konnte aber nicht anders. Ich wollte alles mit ihm zusammen machen. Mit ihm zusammen aufstehen, mit ihm zusammen frühstücken, mit ihm zusammen den Tag verbringen, mit ihm zusammen ins Bett gehen, mit ihm zusammen schlafen. Die gleichen Bücher lesen wie er, die gleiche Musik hören wie er, am liebsten hätte ich ihm beim Schreiben über die Schulter geschaut, auf den Bildschirm und mich über jedes Wort gefreut, das er geschrieben hat.

      Ich wollte seine Muse, seine erste Leserin sein. Ich wollte, dass er alle seine Romane mir widmet.

      „An Toteau.“ Oder „Toteau gewidmet.“ Er hätte es auch getan, aber wir sind in einen Teufelskreis geraten. Wenn ich ihm nicht ständig nachgelaufen wäre, hätte er den Roman längst geschrieben und mir gewidmet. Ich würde aber immer dazwischen stehen, zwischen ihm und seinem Buch, sagte er. Deswegen würde er nichts schaffen.

      Es ist sehr frustrierend, wenn man merkt, dass die Zeit vergeht und man nichts schafft.

      BODas ist kein Mehlsack, drück nicht so doll.

      TOTEAU Entschuldigung.

      BOHast dich ein wenig reingesteigert, was? Macht nichts.

      TOTEAU Weißt du, was ich als Kind sehr sehr mochte?

      BOWeiß ich nicht.

      TOTEAU Eine Plastiktüte gefüllt mit Kartoffelstärke in der Hand zu zerdrücken. So ein komisches Gefühl zwischen den Fingern. Es fühlt sich an wie das Knistern des Schnees untern den Füßen oder wie wenn man eine Hand voll Schnee zu einem Schneeball knetet.

      BOMusst du schon gehen?

      TOTEAU Wie spät ist es?

      BOKeine Ahnung.

      TOTEAU Ist heute Sonntag?

      BO(schaut hoch) Es scheint so.

      TOTEAU Sonntags unterrichte ich nicht. Ich habe den ganzen Abend frei. Möchtest du, dass ich gehe?

      BOMir ist es egal. Was sind das für Leute, die bei dir Klavier lernen wollen? Gibt es auch Männer dabei?

      TOTEAU Zwei.

      BOWie alt?

      TOTEAU Mitte zwanzig, schätze ich.

      BOBeide?

      TOTEAU Der eine könnte auch Ende zwanzig sein.

      BOSind die gut?

      TOTEAU Meinst du musikalisch?

      BOJa, musikalisch.

      TOTEAU Darauf achte ich nicht. Ich brauche nur das Geld, das sie mir zahlen. Ich denke nur an die zwanzig Euro, die ich nach der Stunde in mein Portemonnaie stecke.

      BOEs ist gut so.

      Samuel sagte, wenn ich eine sozial intakte Familie gehabt hätte, wäre ich ein Genie geworden, egal in welchem Fach. Samuel hielt sehr viel von mir. Ich hielt auch sehr viel von ihm. Er meinte nur, ich bin viel zu früh fallen gelassen worden.

      Ray kam nach Samuel. Genauer gesagt, ich habe nur die Zimmertür gewechselt. Sie waren WG-Freunde, Ray und Samuel. Ich habe mir nicht mal einen Bademantel übergezogen, ich bin, so wie ich war, im Nachthemd, einfach rüber gegangen. In Rays Zimmer.

      Ich habe mich auf den Gipssockel gesetzt und ihm den fleckenlosen Engel vorgespielt. Er hat mir die Rolle voll abgenommen. Ich habe mir selbst manchmal die Rolle abgenommen. Ich ließ mich anbeten, ich ließ mich mit der Tiefe der Bruckner Sinfonien vergleichen. Ray bestand nur aus einer Fassade, er war das Cover einer billig produzierten Bruckner-CD.

      Ich habe Ray verlassen, genauso wie ich gekommen bin: in einem Nachthemd. Ich habe ihn verlassen, weil ich mich nach einem Sturz gesehnt habe und nach einem Inhalt, auch wenn er Dreck ist. Ich bin auf die Straße hinaus, der Erste, der mich angesprochen hat, war Joe.

      Joe, der Tätowierte, der Orang-Utan, der Vielfraß.

      Joe hat mich direkt in sein Bett mitgenommen. Da war noch eine Monsterkatze in der Wohnung. Mein erster Gedanke war, die Katze wäre seine verzauberte Geliebte. Nach dem Aufwachen