Männermaladien. Michael Bahnherth. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Michael Bahnherth
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783905896381
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dass da draussen ein Schatz auf mich warten würde und dass mir etwas zufiele, das auf einen Schlag den Traum zum Leben und im selben Atemzug das Leben zum Traum macht.

      Natürlich hätte ich es besser wissen müssen. Dass nicht der Schatz der Schatz ist, sondern dass die Schätze das sind, was man am Rand des Weges zu ihm findet. Die Menschen, die einem begegnen, der Mensch, den man in sich selbst antrifft. Das Mühsame an diesem Weg ist, dass da oft auch nichts ist oder Dinge aus dem Reich der Düsternis und dass man dann wieder Träume braucht, um ein wenig Licht zu haben.

      Ich bin nie ernsthaft aufgebrochen, einen Schatz zu finden. Ich fing an zu schreiben, diese Schatzsuche mit ungewissem Ausgang und wie das zweitbeste aller Leben, das mir zur Verfügung gestanden hat. Schreiben, das ist Leben und Träumen zugleich. Wenn’s gut läuft. Wenn nicht, ist es wie ein Schatz, der nicht dort ist, wo man ihn vermutet hat.

      Am Samstag hatte ich einen Rückfall und träumte mich wieder als Schatzsucher. Sah mich schon in Nordgriechenland bei diesem frisch entdeckten Hügel, auf dem zwei Frauen mit gelocktem Haar als ewige Wächterinnen ein Grab bewachen. Jenes von Alexander dem Grossen, das meistgesuchte der Welt. Unter Schatzsuchern die Nummer 3, gleich hinter der Bundeslade und dem Heiligen Gral. Unermesslich viel Gold würde man finden und Schmuck, Skulpturen, ein paar Knochen und Unsterblichkeit auch, der grösste Schatz für einen Sterblichen. Für die Kürze einer Ewigkeit träumte ich mich am Ziel. Anfangs dieser Woche verdichtete sich allerdings, dass es sich wohl nicht um Alexanders Grab handelt. Und genau so ist das Leben vielleicht. Wirklich wahr wird es nur in Träumen.

      Leben als Schatzsucher (II)

      Ein Grossteil der Existenz eines jungen Mannes spielt sich in Tagträumen ab. Hauptsächlich sind es zwei. Er träumt von den Frauen, die er nicht bekommt, und er träumt sich selbst so, wie er nie wird werden können. Wenn der junge Mann kein Glück hat, träumt er auch noch, wenn er ein älterer Mann ist, und er wird nie einen Baum pflanzen, ein Haus bauen oder Kinder haben, mit denen er aufwächst. Von allen Träumen, die nichts wurden, auch nicht tot, ist mir einer geblieben: Schatzsucher. Zuerst ging es mir nur um den Schatz, den Reichtum und das Abenteuer. Natürlich wäre mein Schatz in den Gewässern der Karibik gewesen, angenehmes Klima, sympathische Landschaft und so weiter. Mit dem letzten Geld ein Boot chartern, am letzten Tag der Suche, erschöpft schon vom drohenden Scheitern, den Schatz finden, Sonnenuntergang und Bierchen, und dann reich für immer, Ferraris, Bräute und nie mehr verzweifelt, der übliche Schatzsucher-Filmkitsch eben. Ich ahnte damals noch nicht, dass in einem drin ein ganzer Kontinent schlummert, für den ein ganzes Leben gar nicht ausreicht, um ihn zu bereisen. Ein Kontinent, in dessen Tiefen, vielleicht, ich bin mir nicht ganz sicher, ein paar Schätze verborgen liegen, die darauf warten, von mir entdeckt zu werden, und die mich reich machen, menschlich. Und so sind wir alle Schatzsucher und werden es immer sein, und alle leben wir mit dieser Ungewissheit, ob dort, wo wir tauchen oder graben, auch tatsächlich etwas zu finden ist. Natürlich sind wir enttäuscht, wenn wir nichts finden, aber darum geht es nicht. Es geht um das Suchen und dass wir nur so lange lebendig sind, wie wir weiter suchen und nicht müde werden, auch wenn wir wühlen müssen in den Kubikmetern von Ballast, der über den Schätzen unseres Daseins drückt, und ein Happy End noch weiter weg scheint als der blasseste Stern am Himmel.

      Und manchmal sitze ich zu Hause auf einem Sessel und denke, was für eine verdammte Scheisse das ist, dass die inneren Schätze noch schwerer zu heben sind als die weltlichen, und ich hadere ein wenig mit dem Leben und seinem Sinn und frage mich, was geworden wäre, wenn ich als junger Mann einen Schatz gefunden hätte. Wahrscheinlich würde ich auf einem Sessel sitzen und mir dieselben Gedanken machen.

      Leben mit Therapie (II)

      Ich sitze jetzt mit dem Rücken zum Fenster bei meinem Therapeuten. Ich vermute, das liegt daran, dass mich während der letzten Sitzung zwei kopulierende Tauben mehr interessiert haben als das Paradox der Leichtigkeit im menschlichen Sein, das so geht: Weil die Aufrechterhaltung der Leichtigkeit mit zunehmender Dauer immer mehr Verdrängung bedarf, wird das Verdrängte zu einer Last, die die Leichtigkeit erdrückt. Das ist natürlich eine traurige Unzulänglichkeit am Seinsmodell des Menschen.

      «Michael, haben Sie Ihr individuelles Leichtigkeitsprinzip hinterfragt?», fragt mein Therapeut.

      «Nein.»

      «Michael, es wäre hilfreich, wenn Sie sich auf die Therapie einlassen würden.»

      «Schon. Aber es ist doch so: Wenn der Weg der Leichtigkeit nur über die tägliche Auseinandersetzung mit der Schwierigkeit möglich ist, dann bleibt Leichtigkeit doch immer etwas, das in der Zukunft liegt.»

      «Entschuldigen Sie, Michael, langsam habe ich den Eindruck, dass Sie in Klugscheisserei flüchten, um Ihre eigentlichen Probleme zu verdrängen.»

      «Sie meinen meine Fähigkeit des Verdrängens, meine Weigerung, mich mit Dingen auseinanderzusetzen, wenn sie unangenehm sind?»

      «Genau, Ihre Weigerung, erwachsen zu werden. Michael, Sie sind bald 50.»

      «Gibt es einen vernünftigen Grund, erwachsen zu werden?»

      «Das Finden von innerer Harmonie, Michael, das Anpassen der Träume an die äussere Wirklichkeit.»

      «Meinen Sie, das ist der Pfad hin zum glücklichen Leben?»

      «Es gibt natürlich keine Garantien, Michael.»

      «Eben.»

      «Michael, ich frage mich gerade, ob Sie untherapierbar sind.»

      «Wieso?»

      Leben mit Schweizer Zeit

      Ich war unlängst auf Mallorca, Puerto Portals, Hotel Punta Negra, Zimmer 311, traumhafte Terrasse, ein paar durchlässige Pinien, zwischen denen das Meer hindurchdrängte, Meeresrauschen bei offener Balkontür, Sonnenaufgänge, die das Meer vergoldeten, grosses Kino, 10 Billion Dollar View und so weiter. Ich sass da, erlöst vom Diktum der Zeit, und verlor mich ein klein wenig, leider nur, im ewigen Kontinuum, dann spuckte es mich wieder aus in die Vergänglichkeit, und ich dachte, welch unrühmlichen Umgang die Schweiz mit ihrer Zeit pflegt und wie wenig «tranquillo» sie ist. Dass wir kein Savoir-vivre haben und dass für das Menschsein so elementaren Daseinsformen wie Musse und Müssiggang der Geruch von Arbeitsscheue und Asozialität anhaftet, in diesem dummen Land, das sich abstrampelt pünktlich von morgens um sieben bis abends um fünf, ein Land voller Stempeluhrleben, ein Land, das sich zugrunde arbeitet und sich nichts dabei denkt. Das malocht ohne Ende, um das bisschen finanziellen Reichtum nicht zu verlieren, ein Land, das Angst hat, seiner Privilegien verlustig zu gehen, wenn es nicht funktioniert wie ein Fliessband. Ein Land, das die Lebenszeit verloren hat und stur wie eine ferngesteuerte Armee funktioniert.

      Ein Land, das so kämpft mit der Zeit, dass es, wenn der Tag verblasst, abends so geschlagen ist, dass es sich nur noch betäuben möchte auf gepolsterten Krankenbetten und dann in einen traumlosen Schlaf fallen, damit es am nächsten und am übernächsten und am überübernächsten Tag weiter und wieder marschieren kann. Ein Land manchmal, so kommt es mir vor, das Angst hat vor dem Leben und es deshalb unterdrückt. Es reglementiert und konditioniert und portioniert auf ein bisschen Wochenende und ein paar Tage all-inclusive in einem Liegestuhl am Hotelpool.

      Zuallererst wünschte ich mir für dieses Land eine gepflegte Kultur des eleganten Tagediebstahles. Menschen, die ihre Arbeit unterbrechen, die Bude verlassen und mal einen Espresso trinken, übers Sein und Nichtsein plaudern oder über Bierpreise, es ist egal. Die sich entschleunigen, wie man das heute so sagt, die sich ausklinken und fallen lassen dorthin, wo das wirkliche Leben zu Hause ist, wo das Bewusstsein auf ein Sein trifft, das die eigentliche Arbeit ist. Ich wünschte mir für dieses Land weniger Sicherheit und mehr Gelassenheit, mehr Provisorisches als Perfektes, und ich fordere die gesetzliche Verankerung einer Siesta zwischen 14 und 16 Uhr, eigentlich lieber 17 Uhr, aber ich will da mal nicht übertreiben, «tranquillo». Zwischen 14 und 16 Uhr also döst das Land dann vor sich hin oder geht ausgiebig Mittagessen oder macht Liebe, schliesst seine Geschäfte,