Dorthe machte sich genauso viel Gedanken wie Dr. Norden, denn Pamela Borg hatte auf sie beide einen sehr verwirrten Eindruck gemacht.
Pamela war gleich von der Praxis aus zum Flughafen gefahren. Sie hatte nicht viel Gepäck. Ihre Reisetasche konnte sie gleich ins Flugzeug mitnehmen, so würde sie auch Zeit sparen bei der Zollabfertigung nach der Landung.
Sie bemerkte in der Wartehalle einen Mann, der ab und zu verstohlen zu ihr herüberschaute. Er mochte Mitte Dreißig sein, und obgleich er ziemlich groß war, konnte man nichts Auffälliges an ihm feststellen, wenn man nicht eine so gute Beobachterin und Menschenkennerin war wie Pamela.
Der Mann war in ihren Augen ein typischer, weltfremder Intellektueller, ein Professorentyp, der mit seinen Gedanken nicht bei der Sache war, sondern über die Menschen hinwegschaute. Um so mehr irritierte es sie, als sein Blick dann voll den ihren traf und ihre vorgefaßte Meinung ganz schnell ins Wanken gebracht wurde, denn dieser Mann war ganz da und schien durch sie hindurchzuschauen.
Und dann saß er im Flugzeug auch noch neben ihr. Das konnte zwar nur Zufall sein, ihrer Meinung nach, aber er sagte gleich mit einer Selbstverständlichkeit, die sie noch mehr verwirrte: »Nett, daß wir uns einmal kennenlernen. Mein Name ist Kai Wallner.«
Pamela starrte ihn an. Er schien eine Reaktion von ihr zu erwarten und war sichtlich verunsichert, als sie nichts sagte.
»Mein Name sagt Ihnen nichts?« fragte er stockend.
»Bedauere, sollte ich ihn kennen?« fragte sie kühl.
Er wurde sehr verlegen. »Ich mußte annehmen, daß Sie informiert sind, Miß Borg.«
»Worüber sollte ich informiert sein?«
»Daß ich in der gleichen Angelegenheit wie Sie nach Rom fliege.«
»In welcher Angelegenheit meinen Sie?« fragte Pamela kühl.
Er war irritiert. War sie wirklich nicht informiert, oder war sie so mißtrauisch, daß sie sich hinter schweigende Abwehr verschanzte?
Aber auch er hegte jetzt Zweifel, daß er falsch informiert sein könnte.
»Ich möchte nicht aufdringlich sein, aber haben Sie Zimmer im Palace reserviert?«
Sie sah ihn jetzt nachdenklich an. Er war sympathisch und wirkte durchaus nicht wie ein Abenteurer, der es raffiniert anfing, Bekanntschaften zu machen.
»Und wenn es so wäre?« fragte sie ironisch.
»Vielleicht hat jemand die Reservierung für uns beide übernommen.«
»Conradi, mein Chef«, sagte sie beiläufig.
In seinen Augen blitzte es auf. »Hamburg – München – Paris – Zürich«, murmelte er.
»Wir werden wohl später noch Gelegenheit zu einer Unterhaltung haben«, sagte sie, als nun die Lunchwagen angerollt kamen.
Es gefiel ihr nicht, daß die hübsche Stewardeß diesen Kai Wallner gleich zweimal mit einem langen Blick bedachte, weil sofort ein neues Mißtrauen in ihr aufkam, aber dann regte sich auch schon ihr bereits berühmter Spürsinn, und sie nahm sich vor, an diese Bekanntschaft mit Wallner mit aller ihr zur Verfügung stehenden Raffinesse heranzugehen.
Sie schaute ziemlich lange zum Fenster hinaus, aber dann zuckte sie zusammen, als er sagte: »Janet ist auch in Rom.«
Ihr Kopf fuhr herum, sie sah ihn mit staunenden Augen an. »Sie kennen meine Schwester?«
»Ganz flüchtig, aber ich weiß, daß sie mit Reno Castello liiert ist.«
»Das ist nicht wahr«, widersprach Pamela heftig. »Sie ist seine Sekretärin.«
Er blieb ruhig. »Mich würde es freuen, wenn Sie recht hätten«, erwiderte er. »Meine Informationen lauten anders.«
»Kommen die alle von Conradi?«
»Nein, er tappt doch selbst im dunkeln. Wann haben Sie ihn gesprochen?«
»Gestern«, erwiderte sie zögernd.
»Er hat Sie heute morgen nicht mehr angerufen?«
»Ich war heute morgen anderweitig engagiert. Er konnte mich nicht erreichen.«
»Das erklärt manches. Er wird bestimmt mit Ihnen telefonieren, wenn wir in Rom sind.«
»Im Palace«, sagte sie spöttisch, »Sie und ich. Ich habe von Ihnen noch nie etwas gehört.«
»Ich habe von Ihnen um so mehr gelesen«, erwiderte er.
Pamela wurde tatsächlich verlegen, als er nun aufzuzählen begann, was er für Reportagen von ihr gelesen hatte.
»Und jetzt hängen Sie an einer ganz heißen Sache«, sagte er heiser, »genauer gesagt, wir beide. Aber Sie sollten besonders vorsichtig sein und auch auf Ihre Schwester achten.«
Pamelas Augenbrauen schoben sich zusammen. »Sagen Sie mir, was Sie wissen.«
»Sie sind sehr scharfsinnig, und vielleicht bin ich nicht richtig informiert.«
»Aber Sie vertrauen Conradi?«
»So ganz sicher bin ich mir da auch nicht. Sie kennen ihn sicher länger als ich. Und auch besser.«
»Jetzt fehlt nur noch, daß ich mit ihm auch intim sein soll«, platzte sie unwillig heraus. »Er übertreibt gern und oft, und ich verlasse mich lieber auf mich selbst, wenn ich eine interessante Spur habe.«
»Jedenfalls sind Sie auf einer ganz heißen, und Sie sollten ein Hilfsangebot zu gegebener Zeit nicht ablehnen.«
Sie versank wieder in Schweigen. Ihr Beruf brachte es mit sich, daß sie sich auf sich selbst verließ, denn eine gute Story wurde von anderen sofort aufgegriffen. Sie war nicht nur Männern gegenüber mißtrauisch, sondern auch Frauen, aber ihre Schwester Janet war in ihren Augen ein ganz unschuldiges Lämmchen. Reno Castello galt als seriöser Geschäftsmann, und es bestand anscheinend keine Beziehung zu seinem zwielichtigen Bruder Raimondo, aber insgeheim hoffte Pamela doch, über Janet mehr über die angeblich feindlichen Castello-Brüder zu erfahren.
Nachdem sie eine Weile überlegt hatte, gestand sie sich ein, daß Kai Wallner sie bereits verunsichert hatte, und das gefiel ihr gar nicht.
Als sie zu ihm hinüberblickte, hatte er die Augen geschlossen, aber sein Gesicht hatte einen grüblerischen Ausdruck. Kann man ihm trauen, kann man sich auf ihn verlassen, fragte sie sich. Ihr Gefühl sagte ja, ihr Verstand warnte sie, da es ihr jetzt ganz bewußt war, daß sie sich da in eine brisante Sache verstrickt hatte.
Aber wer konnte denn davon schon wissen? Conradi mochte etwas ahnen, weil er ja ein Fuchs war, aber worauf sie hinauswollte, hatte sie ihm auch nicht gesagt. Es war ihr durchaus bewußt, daß ein paar Leute sie gern mundtot machen wollten, wenn sie ihr auf die Schliche kamen.
*
Als Dr. Norden seine Sprechstunde beendet hatte, gab er Dorthe den Zettel, auf den er die Namen notiert hatte, die ihm Pamela genannt hatte.
»Bewahren Sie die so auf, daß wir nicht lange suchen müßten, falls Frau Borg irgendwie Hilfe brauchen sollte«, sagte er, »aber sonst wird Stillschweigen über sie bewahrt.«
»Ist doch selbstverständlich«, erwiderte Dorthe. »Ich gebe am Telefon niemals Auskünfte.«
»Es könnte ja auch jemand hier erscheinen und sich als guter Freund ausgeben. Ich habe ein dummes Gefühl, wenn ich auch keine Erklärung dafür habe.«
»Pamela Borg lebt gefährlich, das ist bekannt. Sie haben schon viele auf dem Kieker. Manchmal sind ihre Unternehmungen auch geradezu tollkühn. Wenn ich an den Entführungsfall Dörmer denke, bei dem sie ja schneller Hinweise auf die Täter fand als die Polizei, und dann auch die Reportage über die Autoschieberbande, sie fürchtet sich vor nichts.«
»Eine erstaunliche Frau, und wer würde es ihr schon zutrauen,