»Der Krankenwagen ist schon unterwegs«, sagte Lydia und erzählte Danny, welche Verletzungen sie bei Korbinian festgestellt hatte.
»Wie ist das denn nur passiert?«, fragte Valentina aufgeregt. Sie ging neben ihrem Mann in die Hocke und nahm seine Hand.
»Mir war nur ein bisschen schwindlig, und dann bin ich wohl ausgerutscht.«
»Der Kreislauf scheint in Ordnung«, sagte Danny, der neben Korbinian kniete, seinen Blutdruck überprüfte und ihn mit dem Stethoskop abhörte.
»Aber sie werden ihn doch im Krankenhaus noch einmal gründlich untersuchen?«, fragte Valentina.
»Mit Sicherheit, aber ich denke nicht, dass Sie sich Sorgen machen müssen. Ihr Mann war doch erst vor ein paar Wochen zur Vorsorgeuntersuchung bei mir. Da war alles in Ordnung«, versicherte Danny ihr.
»Ich zeige ihnen, wo wir sind«, sagte Lydia, als sie die Sirene des Krankenwagens hörte. Sie wollte den Sanitätern die Suche nach dem Verletzten ersparen. Sie hatte es schon einige Male erlebt, dass der Rettungswagen der Feuerwehr gerufen wurde, jemand die falsche Adresse angegeben hatte und sie kostbare Zeit mit der Suche nach dem Opfer vergeuden mussten.
»Was haben Sie denn gemacht, bevor Ihnen schwindlig wurde?«, wollte Danny von Korbinian wissen.
»Ich hatte vor, ein paar Teichpflanzen einzusetzen, und bin am Rand des Teiches entlanggegangen, um mir das Gelände noch einmal anzusehen. Ich habe in den letzten Tagen viel im Garten gearbeitet. Vielleicht habe ich mir einen Nerv im Nacken eingeklemmt und mir wurde deshalb schwindlig. Könnte das sein?«, wollte Korbinian von Danny wissen.
»Möglich wäre es. Wir lassen das im Krankenhaus überprüfen«, sagte Danny. Als die Sanitäter kurz darauf mit der Trage in den Garten kamen, machte Danny ihnen Platz, damit sie Korbinian bergen konnten. Bevor sie Korbinian zum Krankenwagen trugen, teilte er ihnen noch mit, welche Untersuchungen im Krankenhaus unbedingt gemacht werden sollten.
Valentina, die Korbinian ins Krankenhaus begleitete, hörte genau zu, damit sie darauf achten konnte, dass auch alle Untersuchungen durchgeführt wurden, um die Danny gebeten hatte.
»Falls ich etwas von dem, was sie uns sagen werden, nicht verstehe, rufe ich Sie dann an, Herr Doktor. Das wär Ihnen doch recht?«, fragte Valentina.
»Sie können mich jederzeit anrufen«, versicherte ihr Danny. »Und bitte nehmen Sie sich die nächsten Tage frei, damit Sie Zeit für Ihren Mann haben«, sagte Danny. Er und Lydia hatten sie zum Krankenwagen begleitet und sahen zu, wie die Trage, auf der Korbinian lag, in den Wagen geschoben wurde.
»Vielen Dank, Herr Doktor.«
»Sehr gern, Valentina. Alles Gute für Sie und Ihren Mann«, verabschiedete Danny sich von ihr, als sie zu Korbinian in den Rettungswagen stieg.
»Herr Merzinger hat Glück gehabt, das hätte auch anders ausgehen können«, stellte Lydia nachdenklich fest, als sie mit Danny zu seinem Auto ging, nachdem der Rettungswagen losgefahren war.
»Glücklicherweise sind die Menschen in Herrn Merzingers Alter mittlerweile noch ausgesprochen fit. Das hilft, schwere Verletzungen zu vermeiden.«
»Sie haben recht, das ist mir gerade neulich erst wieder aufgefallen. Wir mussten zwei Ehepaare, sie waren so um die siebzig, aus einem brennenden Dachstuhl retten. Ich habe gestaunt, wie schnell und geschickt die vier die Drehleiter hinuntergeklettert sind«, erzählte Lydia.
»Dann sollten wir uns wohl auch weiterhin fit halten, um das in diesem Alter noch hinzubekommen.«
»Das sollten wir auf jeden Fall tun«, antwortete Lydia lächelnd.
*
Danny hatte angenommen, dass seine Patienten inzwischen ungeduldig auf seine Rückkehr warteten und Sophia damit beschäftigt sein würde, die Leute zu beruhigen. Er hatte sich geirrt, wie er von Sophia erfuhr. Es hatte sich schnell herumgesprochen, dass Korbinian Merzinger verletzt in seinem Garten aufgefunden wurde und auf dem Weg ins Krankenhaus war. Da die meisten Patienten, die im Wartezimmer saßen, in der Nachbarschaft wohnten, kannten sie Korbinian und sorgten sich deshalb um ihn.
»Die Leute sollten erfahren, dass es Herrn Merzinger bald wieder gut gehen wird, sonst werden Sie sicher gleich von allen Seiten mit Fragen bestürmt. Oder verletzen wir die Schweigepflicht, wenn wir eine Stellungnahme abgeben?«, fragte Lydia, als sie und Danny bei Sophia am Empfangstresen standen und sich alle Blicke auf sie richteten.
»Ich kümmere mich darum«, entgegnete Danny. Als er gleich darauf die Tür zum Wartebereich aufzog, verstummte auf der Stelle jede Unterhaltung.
»Was ist mit Korbinian?«, fragte eine hellblonde Mittsechzigerin im rosafarbenen Kostüm.
»Herr Merzinger ist jetzt im Krankenhaus und wird dort untersucht, aber Sie müssen sich keine Sorgen um ihn machen«, versicherte Danny seinen Patienten. Diese Auskunft musste fürs Erste genügen. Wer mehr wissen wollte, würde ohnehin Valentina anrufen. Sie konnte dann entscheiden, wem sie was sagte und wer ihren Korbinian besuchen durfte.
»Herr Doktor, ein Doktor Anthes hat angerufen. Er sagte, dass er in der Stadt sei und gegen Ende der Sprechstunde vorbeikommen würde«, teilte ihm Sophia mit, als er wieder aus dem Wartezimmer kam.
»Danke, sagen Sie mir bitte Bescheid, sobald er da ist«, bat Danny Sophia und ging in sein Sprechzimmer. Viktor Anthes und er hatten zusammen studiert und waren eng befreundet gewesen. Nach dem Studium hatten sie sich allerdings aus den Augen verloren. Vor einiger Zeit hatte er gehört, dass Viktor an einer Privatklinik in der Nähe von Innsbruck als Chirurg arbeitete.
Offensichtlich hat er sich wieder an mich erinnert, dachte Danny. Warum er aber die Praxis als den Ort ihres Wiedersehens ausgewählt hatte, wunderte ihn. Er hätte erwartet, dass Viktor sich mit ihm in der Stadt in einem Restaurant oder einer Bar verabreden würde, aber vielleicht wollte er einfach nur wissen, wie seine Praxis aussah, was für Viktor, der ein mondänes Ambiente mit reichlich Privatpatienten bevorzugte, dann wohl eher ein enttäuschendes Erlebnis sein würde.
Mein Leben, meine Entscheidungen, ich muss mich mit niemandem vergleichen, dachte Danny, zumal sein Leben auch außerhalb der Praxis mittlerweile wieder ganz angenehm war. Sehr angenehm sogar, dachte er, als er aus dem Fenster schaute und Olivia Mai auf der anderen Seite der Hecke sah, die ihre beiden Grundstücke voneinander trennte. Sie trug ein hellrotes Kleid und ihr Haar flatterte im Wind, als eine Böe über ihren Hof hinwegfegte, als sie zur Haustür ging.
Olivia hatte das gleiche rote Haar wie ihre Tochter und die gleichen hellen blauen Augen, die er aus der Entfernung natürlich nicht sehen konnte, aber er stellte sie sich in seiner Fantasie vor. Vor einiger Zeit hätte er noch mit absoluter Sicherheit behauptet, dass er sich niemals in eine Psychologin verlieben könnte, weil die Psychologinnen und Psychologen, die er vor Olivia kannte, immerzu damit beschäftigt waren, ihre Mitmenschen zu analysieren. Mit Olivia dagegen konnte er Spaß haben, ohne das Gefühl zu haben, dass sie ihn beobachtete, um daraus auf seinen geistigen Zustand zu schließen.
Als Olivia plötzlich in seine Richtung schaute, zuckte er wie ertappt zusammen, auch wenn sie ihn vermutlich gar nicht sehen konnte. Im nächsten Augenblick musste er über sich selbst lachen. Er wandte sich vom Fenster ab, um die Sprechstunde fortzusetzen.
An diesem Vormittag fragten ihn alle Patienten nach dem neuen Grippevirus, das gerade grassierte. Glücklicherweise konnte er Entwarnung geben, da das Virus weniger gefährlich war, als die Leute sich von der Presse hatten einreden lassen. Auch nach Korbinian wurde er immer wieder gefragt, aber mehr als das, was er bereits im Wartezimmer gesagt hatte, gab er nicht preis.
Zwei Stunden nachdem Korbinian in die Klinik eingeliefert wurde, rief Danny dort an, um sich nach ihm zu erkundigen. Korbinian hatte eine Gehirnerschütterung, einen gebrochenen Arm und eine Bänderdehnung am Knie. So wie es aussah, würde er das Krankenhaus in ein paar Tagen wieder verlassen können. Das waren gute Nachrichten, die er auch gleich Lydia und Sophia mitteilte, die mit Valentina und ihrem Mann mitgelitten hatten. Die Vorbereitungen für die