Familie Dr. Norden 729 – Arztroman. Patricia Vandenberg. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Patricia Vandenberg
Издательство: Bookwire
Серия: Familie Dr. Norden
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783740963446
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ich heilfroh. Welcher Mann hätte auf Dauer schon Verständnis für meine Arbeit?«

      »Immerhin wäre es einen Versuch wert. Du bist eine tolle Frau, Lea«, gestand Christian offen.

      »Was soll das sein? Ein Annäherungsversuch?« Sie lachte spöttisch.

      »Keine Angst, da würde mir schon was Besseres einfallen«, gab er zurück. »Ich dachte, wir sind Freunde und können offen über alles reden.«

      »Entschuldige, Chris, ich wollte dir nicht weh tun. Ach, kannst du mir mal mein Handy geben, es liegt im Handschuhfach und klingelt wie verrückt.« Sie machte ihn auf das penetrante Geräusch aufmerksam, das er standhaft ignoriert hatte.

      »Natürlich.« Er reichte ihr den Apparat und verbrachte den Rest der Fahrt schweigsam. Lea war in ihr geschäftliches Telefonat vertieft, während sie versuchte, im abendlichen Verkehr die Übersicht zu behalten. Erstaunlicherweise passierte ihr kein Malheur, sie nahm keinem Wagen die Vorfahrt und überfuhr keine rote Ampel, worüber Christian sich nur wundern konnte. Endlich, als sie vor dem Café ›Schöne Aussichten‹ angelangt waren, beendete Leana das Gespräch.

      »Tut mir leid, daß es so lange gedauert hat, Chris. Geh schon mal rein und sage Sasa Bescheid, daß wir da sind. Ich komme gleich nach. Nur ein einziger Anruf noch«, fügte sie mit treuherzigem Blick hinzu.

      Seufzend tat er, was sie vorgeschlagen hatte. Im Café empfing ihn ein Dunstschleier aus Zigarettenrauch, Möbelpolitur und Essendüften, die sich auf geheimnisvolle Weise zu einer interessanten Mischung verbanden. Er blieb kurz stehen und schnupperte, sein Magen knurrte laut und vernehmlich, doch es gelang ihm nicht, das Gericht zu identifizieren, dessen Duft so verführerisch war. So drängte er sich weiter nach vorn an die Bar, wo Sasa in ihrer unbekümmerten Art schaltete und waltete. Es dauerte eine Weile, ehe sie ihn entdeckte. So blieb ihm genügend Zeit, sie unbehelligt zu beobachten. Auch heute trug sie wieder eine ausgeflippte Bluse, für seinen Geschmack ein wenig zu grell und ausgefallen. An ihren Ohren baumelten riesige Kreolen, die sich ständig in ihren Locken verfingen, doch das schien ihr nichts auszumachen. Christian konnte den Blick nicht lösen von diesem Ausbund an Temperament.

      Plötzlich hob Saskia den Blick und schaute direkt in sein Gesicht, als hätte sie seinen Blick auf sich ruhen gespürt. Für Sekunden versanken sie ineinander, bis Sasa den Zauber löste, indem sie laut auflachte.

      »Na endlich!« rief sie ihm über den Tresen zu, so daß sich die Gäste an der Bar neugierig zu ihm umdrehten. »Ich warte schon eine halbe Ewigkeit auf euch. Wo ist Lea?«

      »Draußen im Wagen. Sie telefoniert noch«, gab er zurück und hielt die Hand ans Ohr, als hielte er einen Hörer, um seine Worte durch den Lärm hindurch zu verdeutlichen.

      »Typisch!« Saskia schnitt eine Grimasse. »Geh schon mal vor, ich komme gleich.«

      Christian blieb nichts anderes übrig, als den Rückzug anzutreten, doch noch ehe er den Ausgang erreicht hatte, drängte sich Saskia dicht neben ihn. In der Hand hielt sie eine große Aluschale, aus der es verführerisch duftete.

      »Hier, ich habe uns zur Stärkung einen kleinen Imbiß mitgebracht. Du magst doch Chicken Wings?«

      »Kannst du Gedanken lesen? Ich stehe kurz vor dem Hungertod«, gestand er erleichtert und nahm ihr die Schale ab.

      »Das habe ich dir gleich angesehen. Diese hungrigen Augen…« Sie wollte sich gerade an ihm vorbei zur Tür hinausdrängeln, doch in diesem Moment hielt er sie mit der freien Hand an der Schulter fest.

      »Der Hunger in meinen Augen hat einen anderen Grund«, erklärte er heiser und spürte ihren Herzschlag, so nah standen sie beieinander.

      »Wirklich?«

      »Saskia, tu doch nicht so. Du spürst es doch auch, ich weiß es.«

      »Also gut, Chris, du hast recht.« Sanft schob sie seine Hand von ihrer Schulter und trat vor ihm aus der Tür. »Wir hatten in den letzten Wochen wirklich viel Spaß miteinander. Ich habe schon lange nicht mehr soviel mit einem Mann gelacht wie mit dir.« Langsam gingen sie nebeneinander her auf Leas Wagen zu. Die telefonierte immer noch, so daß Sasa leise weitersprechen konnte. »Aber du gehst in ein paar Wochen wieder zurück nach Konstanz, und ich bleibe hier in München. Verstehst du, daß ich mir aus diesem Grund eine Liebesgeschichte mit dir ersparen möchte? Herzschmerz ist das letzte, was ich jetzt brauchen kann.«

      »Das muß gar nicht sein. Wir sind uns beide klar darüber, daß wir nicht zusammenpassen. Du bist der wilde Feger und ich der konservative Arzt. Trotzdem könnten wir uns eine schöne Zeit machen, findest du nicht?«

      »Einfach so, ohne jede Verpflichtung?« Saskia sah skeptisch drein.

      »Ja, einfach so. Hältst du das für möglich?«

      »Ich weiß es nicht. Ich werde mal darüber nachdenken«, versprach sie mit einem belustigten Seitenblick. So ein Angebot hatte sie von ihrem ein wenig altmodischen Freund nicht erwartet. In diesem Moment beendete Lea ihr Telefonat und winkte ihren Freunden übermütig zu.

      »He, was gibt’s da zu tuscheln?«

      »Nichts weiter, wir wollten dich nur nicht stören«, wich Chris verlegen aus.

      »Ich warte schon eine halbe Ewigkeit auf euch. Deshalb habe ich die Zeit für ein paar wichtige Gespräche genutzt«, erwiderte Leana mit leichtem Vorwurf.

      »Das sieht dir wieder ähnlich. Immer eine Ausrede parat«, lachte Saskia unbekümmert und schlüpfte auf die Rückbank des Wagens. »Aber es ist eine Ehre für uns, daß du deine kostbare Zeit opferst. Wohin soll es denn gehen?«

      »Kennt ihr Wasserburg am Inn? Das ist eine wunderschöne, mittelalterliche Stadt mit italienischem Flair. Dort findet alljährlich ein Nachtflohmarkt statt, und auch die Lokale haben die ganze Nacht durch geöffnet. Ich war selbst noch nie da, aber es soll ein einzigartiges Erlebnis sein.«

      »Klingt sehr vielversprechend«, lobte Chris und nahm sich einen Chicken Wing aus Saskias Aluschale. »Hier, hast du Hunger? Sasa hat für den Reiseproviant gesorgt.« Während er Lea die Schale hinhielt, drehte er sich um und lachte Saskia an.

      »Nein, vielen Dank.« Ungeduldig schob Lea seine Hand weg. Wieder fühlte sie den leichten, eifersüchtigen Stich in der Herzgegend. Sie hatte Christians Blick bemerkt, und obwohl sie nicht in ihn verliebt war, war sie eigentümlich verletzt. In den vergangenen Wochen hatten sie einiges zu dritt unternommen, für Leas Verhältnisse geradezu viel Zeit miteinander verbracht. Trotzdem verfügten Saskia und Chris über mehr Freizeit als sie und waren sich in den Stunden, in denen sie zu zweit durch die Stadt streiften, offenbar sehr vertraut miteinander geworden.

      Die ganze Fahrt über blieb Lea einsilbig und schweigsam, bis sie in Wasserburg angelangt waren. Dort vergaß sie ihre Verstimmung jedoch schnell. Es herrschte ein lustiges Jahrmarkttreiben, die Leute waren ausgelassen und fröhlich, feilschten und handelten, was das Zeug hielt. Aus den Kneipen und Bars hallte Musik durch die Straßen und Gassen und sorgte für eine südländische Atmosphäre, wie man sie im kühlen Deutschland gewöhnlich nicht kannte. Wie verzaubert schlenderten die drei Freunde über den Flohmarkt. An einem der Stände entdeckten Saskia und Lea ein altertümliches Operationsbesteck, das sie für Christian erstanden und ihm lachend überreichten. Die Vertrautheit der drei jungen Leute war wiederhergestellt. Sie genossen das Gefühl, den unerbittlichen Lauf der Zeit überlistet und die Lebensuhr um Jahre zurückgedreht zu haben.

      *

      Unruhig wälzte sich Waltraud Wollrab in ihrem Bett. Sie war früh schlafen gegangen, weil sie sich in der unheilvollen Stille ihres leeren Hauses nicht wohl fühlte, doch auch im Schlaf fand sie keine Ruhe. Bilderfetzen aus der Vergangenheit gaukelten durch ihre Träume, längst vergessene Landschaften und Orte. Immer wieder durchzuckte ein Gesicht die rasche Bilderfolge, das Gesicht eines dunkelhaarigen jungen Mannes mit dunklen, schwermütigen Augen. Sie wollte ihn rufen, streckte sehnsuchtsvoll die Hand nach ihm aus, doch noch ehe sie ihn erreichen konnte, verschwamm das Bild vor ihren Augen und löste sich in Luft auf. Warum nur verließ er sie immer wieder? War die eine wirkliche Trennung nicht schmerzhaft genug gewesen?

      Erschöpft