Das Ende des Laufstegs. Martin Willi. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Martin Willi
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783905896275
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das eine Frage oder eine Feststellung?»

      «Hm, ich würde sagen, eine feststellende Frage, oder doch eher eine fragende Feststellung?»

      «Werde jetzt bloss nicht philosophisch, Erwin. Und sonst?» Petra blickte ihren Kollegen forschend an. Sie wollte, sie musste mehr erfahren.

      «Nun, der starke Regen macht die Spurensuche nicht ganz einfach, das kannst du dir ja wohl selbst vorstellen. Wir können aber davon ausgehen, dass die Frau mit einem Auto bis zu dem Waldhaus geschafft wurde. Trotz des Regens konnten wir deutliche Reifenspuren erkennen. Ebenso gibt es Fussspuren, die vom Waldhaus zum Fundort der Leiche führen. Beim Weg zum Fundort sind diese tiefer als beim Weg zurück zum Waldhaus. Daher scheint es als sicher, dass die Leiche bis zum Fundort getragen wurde.»

      «Verfluchte Scheisse!» Mit einem schnellen Ruck stand Kommissarin Petra Neuhaus auf.

      «Was?»

      «Es entbehrt jeder Logik, verstehst du? Es muss einen Grund geben, warum die Frau in den Wald gebracht wurde.»

      «Ja schon, aber was für einen?»

      Petras Schritte führten sie ans Fenster, das sie öffnete. Sie kniff ihre Augen zusammen und schaute hinaus, sie atmete frische Frühlingsluft ein. Endlich schien wieder mal die Sonne und es war angenehm warm. «Die weisse Rose, es dreht sich alles um die weisse Rose. Der Wald muss im Zusammenhang mit der weissen Rose stehen. Dann macht es einen Sinn, weshalb die Tote dorthin gebracht worden ist. Ich bin der Meinung, dass nichts ohne Grund geschieht.»

      «Ja, das ist mir bekannt, Petra.» Erwin kannte seine Arbeitspartnerin gut genug, um dies zu wissen. Manchmal kamen sich die beiden wie ein altes Ehepaar vor, was nach so langer intensiver Zusammenarbeit auch nicht weiter zu verwundern war.

      «Über die Identität der Frau ist noch nichts bekannt?»

      «Nein, sie trug nichts auf sich, das uns irgendeinen Anhaltspunkt geben könnte. Keinen Schmuck, keine Ausweise, keine Handtasche, rein gar nichts.»

      «Das stimmt nicht ganz. Du vergisst die Halskette mit dem Schutzengel, auf dem der Buchstabe S steht, Erwin.»

      «Ja, das ist richtig, der Täter hat dies wohl übersehen. Das ist aber auch wirklich alles was wir haben. Nur eine Kleinigkeit, aber vielleicht hilft uns die Kette wirklich noch weiter.»

      «Und wie steht es mit den DNA-Spuren? Der Täter muss doch irgendwelche Spuren hinterlassen haben.»

      «Die Spurensicherung hat nichts gefunden. Der oder die Täter müssen wohl Handschuhe getragen haben, und sind auch sonst überaus vorsichtig ans Werk gegangen.» Erwin trat ans Fenster nahe an Petra heran. «Glaubst du, dass es sich bei ihr um eine Prostituierte handelt?»

      Petra wandte sich um und ging wieder zu ihrem Schreibtisch zurück, auf dem sich noch immer die Fotos der Toten befanden. Sie setzte sich und betrachtete die Bilder. «Nein, das glaube ich nicht. Ich glaube aber auch nicht, dass es sich um eine Beziehungsgeschichte handelt. Wenn wirklich keine DNA-Spuren zu finden sind, dann muss es sich um einen gezielt geplanten Mord handeln.»

      «Davon müssen wir wohl ausgehen.»

      «Wo könnte sie vor ihrem Tod gewesen sein? Ich meine, ihre ganze Aufmachung mit den High Heels, dem Minirock und der weissen, fast schon durchsichtigen Bluse, muss doch einen Grund haben.»

      «Ich denke mir, dass sie wohl auf einer Party gewesen ist.»

      «So Erwin, das denkst du, das ist ja wirklich wahnsinnig hilfreich. Gibt es denn keine Vermisstenanzeige?»

      «Nein, bisher nicht.»

      «Es kann doch nicht sein, dass sie von niemanden vermisst wird.» Sie verschränkte die Arme hinter ihrem Kopf, streckte sich und schloss die Augen. Sie versuchte nachzudenken, aber sie fühlte sich leer, so unendlich leer. Ihre Gedanken bahnten sich einen eigenen Weg durch ihren Kopf. Manchmal hasste sie ihren Job und sie fühlte sich so hilflos, beinahe schon ohnmächtig gegenüber all den Verbrechen, die da begangen werden. Dabei hatte sie es ja gar nicht so oft mit solchen schweren Gewaltverbrechen zu tun. So voller Mörder ist die Welt nämlich gar nicht, wie man dies aufgrund der vielen Kriminalfilme und -romane eigentlich annehmen könnte.

      «Geht es dir gut?» Erwin schien sich um seine Kollegin echte Sorgen zu machen. Seit sieben Jahren arbeiteten die beiden nun schon zusammen und sie waren nicht nur Arbeitskollegen. Nein, sie waren inzwischen richtig gute Freunde geworden.

      «Aber natürlich geht es mir gut, sehr gut sogar. Denn schliesslich darf ich einen Mord an einer bildhübschen jungen Frau aufklären, die noch ihr ganzes Leben vor sich hatte. Wahrscheinlich wieder einer der unzähligen, vollkommen überflüssigen Morde.»

      «Höre ich da einen kleinen ironischen Unterton? Und eigentlich ist es doch so, dass jeder Mord überflüssig ist, nicht wahr?»

      «Es gibt Morde, die sind noch überflüssiger als andere.» Petra Neuhaus öffnete ihre Augen, die sie so schmerzten. «Bringst du mir bitte einen Kaffee, Erwin?»

      «Klar, bin schon unterwegs», bereits hielt Erwin den Türgriff in der Hand und wollte Petras Büro verlassen.

      «Wie steht es mit einer Pressekonferenz? Wir müssen doch die Medien informieren.»

      «Die Staatsanwaltschaft hat bereits einen Termin festgelegt, heute um 16.30 Uhr.»

      «Ach? Und warum sagst du mir das erst jetzt? Was soll denn das? Du musst mich doch über solche Sachen informieren!» Petra wirkte verbittert und wütend. Erwin verliess kopfnickend mit einem leisen «Sorry» das Büro, während Petra wieder die Augen schloss und an etwas längst Vergangenes dachte. Etwas, das sie schon lange aus ihrem Gedächtnis versuchte zu löschen, was ihr aber nicht gelang, nie gelingen würde.

      Petra musste so etwa sechzehn, siebzehn Jahre alt gewesen sein. Sie lebte zusammen mit ihrer Schwester Anita und ihren Eltern in Baden. Ihr Vater Josef war ein leitender Angestellter in der damaligen BBC. Es war gerade zu jener Zeit als die BBC mit der schwedischen ASEA fusionierte, daraus resultierte dann der neue ABB-Konzern. Petras Mutter Therese arbeitete als Sekundarlehrerin in Wettingen. Petra stammte also aus einem sogenannt guten, beinahe schon perfekten Elternhaus. Doch wie es halt oft so ist, mussten Anita und Petra auch Entbehrungen in Kauf nehmen, denn ihre Eltern hatten nicht so viel Zeit für sie, wie sich dies die Kinder von ihnen wünschten. Eventuell war es aber auch so, dass die Eltern Zeit gehabt hätten, wenn sie denn nur wollten. So zumindest kam es Petra leider oft vor.

      Anita war drei Jahre älter als Petra und studierte in Bern an der Uni Biochemie und Molekularbiologie. Während der Woche wohnte Anita mit drei Studienkolleginnen in einer WG an der Gerichtsgasse in Bern. Lediglich die Wochenenden verbrachte sie in Baden. Zunächst fiel Petra die Veränderung von Anita gar nicht auf. Doch irgendwann schien es ihr, dass Anita immer nervöser und unkonzentrierter wurde, sich immer mehr auf Freundschaften auch mit dubiosen Gestalten einliess. Eines Tages dann, als sie zusammen im Hallenbad waren, sah sie mit Erschrecken die Einstiche an ihrem Bauch.

      «Hey Anita, was hast du denn da?», fragte sie entsetzt.

      «Ach, das ist nichts, das ist bloss so ein komischer Hautausschlag, kommt wohl von einer Allergie. Das geht schon wieder vorbei.»

      Petra fasste Anitas Hand: «Spritzt du dir etwa Drogen?»

      «Lass mich doch in Ruhe», erwiderte Anita resolut. Sie riss sich von Petra los, setzte sich abrupt auf und sprang ins erfrischende Wasser, das hoch aufspritzte und wie ein Gewitterregen wieder hinunter prasselte. Petra sah ihr zu, wie sie wütend und kraftvoll einige Längen schwamm. Ausser Atem kletterte sie aus dem Schwimmbecken, liess sich neben Petra auf ihr Badetuch fallen, die zu ihr sagte: «Mach bloss keinen Scheiss, Anita!»

      Anita wusste nun, dass Petra bemerkt hatte, dass sie sich Drogen spritzte, nämlich Heroin. Die ersten Versuche mit Heroin machte sie an der Silvesterparty vor etwa fünf Monaten. Sie sass mit ihren WG-Kolleginnen am Tisch, als dieser Pedro auftauchte. Pedro Alvare hiess der Uruguayer, den eine ihrer Kolleginnen, Jeanette Hugenschmidt, kannte. Anita konnte sich später noch gut an ihn erinnern. Seine Arme waren stark