Die Brüder Karamasow. Федор Достоевский. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Федор Достоевский
Издательство: Bookwire
Серия: Große verfilmte Geschichten
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783955012083
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veränderte sich urplötzlich sein bis dahin zorniges, wildes Gesicht, die zusammengepreßten Lippen öffneten sich, und Dmitri Fjodorowitsch brach in ein hemmungsloses, ungekünsteltes Lachen aus. Er schüttelte sich buchstäblich vor Lachen und war lange Zeit außerstande, zu sprechen.

      »Also sie hat ihr nicht die Hand geküßt! Und ist weggelaufen!« schrie er in beinahe krankhaftem Entzücken; man könnte auch sagen, in frechem Entzücken, wenn dieses Entzücken nicht so ungekünstelt gewesen wäre. »Also die andere hat geschrien und sie eine Tigerin genannt. Eine Tigerin ist sie wirklich! Und aufs Schafott müßte sie? Ja, ja, das müßte sie, ich bin selbst der Meinung, daß sie das müßte, schon längst gemußt hätte! Siehst du, Bruder, meinetwegen mag man sie aufs Schafott schleppen, doch vorher müßte unsereiner erst von seiner Verzauberung geheilt werden. Ich verstehe diese Königin der Frechheit, in dieser Geschichte mit dem Handküssen hat sie ihr ganzes Wesen offenbart! Diese Teufelin. Sie ist die Königin aller Teufelinnen, so viele man sich nur in der Welt denken kann! In ihrer Art entzückend! Also sie ist nach Hause gelaufen? Da muß ich sofort ... Ach ... ich muß zu ihr! Aljoschka, sei mir nicht böse – ich gebe ja zu, es wäre noch zuwenig, wenn man sie erwürgt.«

      »Und Katerina Iwanowna!« rief Aljoscha traurig.

      »Auch die verstehe ich! Vollkommen durchschaue ich sie und verstehe sie wie noch nie! Das ist eine wahre Entdeckung aller vier Erdteile, ich meine, aller fünf! So ein Schritt! Das ist genau dieselbe Katenka, das Institutsfräulein, die in der hochherzigen Absicht, ihren Vater zu retten, sich nicht fürchtete, zu einem dummen, rohen Offizier zu laufen, wo sie riskierte, in furchtbarer Weise beleidigt zu werden! Dieser Stolz, dieses Verlangen nach der Gefahr, diese maßlose Herausforderung des Schicksals! Du sagst, die Tante wollte sie zurückhalten? Diese Tante, weißt du, ist selbst nicht weniger selbstherrlich. Sie ist die Schwester jener Moskauer Generalin und trug die Nase noch höher als diese. Aber ihr Mann wurde des Diebstahls von Staatsgeldern überführt und verlor alles, sein Gut und alles, und die stolze Gemahlin mußte auf einmal ihren Ton herabstimmen und hat ihn auch seitdem nicht wieder hinaufgeschraubt. Also sie hat Katja zurückhalten wollen, die ist ihr aber nicht gefolgt? Sie hat sich gesagt: Ich kann alles besiegen, alles ist mir untertan! Wenn ich will, bezaubere ich auch Gruschenka! Sie hat sich selbst vertraut, hat vor sich selbst großgetan, wer trägt da die Schuld? Du meinst, sie hätte Gruschenka absichtlich als erste die Hand geküßt, mit schlauer Berechnung? Nein, sie hat Gruschenka wirklich liebgewonnen, das heißt nicht Gruschenka, sondern ihr eigenes Traumbild, ihr eigenes Phantasiegeschöpf, weil es eben ihr Traumbild, ihr Phantasiegeschöpf war. Aljoscha, mein Täubchen, wie hast du dich nur vor diesen beiden gerettet? Du hast wohl deine Kutte gerafft und bist davongelaufen? Hahaha!«

      »Du scheinst gar nicht zu beachten, Bruder, wie sehr du Katerina Iwanowna beleidigt hast, als du Gruschenka von jenem Tag erzähltest; sie hat es ihr nämlich gleich ins Gesicht geworfen: ›Sie selbst sind heimlich zu Kavalieren gegangen, um Ihre Schönheit zu verkaufen.‹ Bruder, was kann es Schlimmeres geben als diese Beleidigung?«

      Am meisten quälte Aljoscha der Gedanke, sein Bruder könnte sich über Katerina Iwanownas Demütigung gewissermaßen freuen – obwohl das natürlich ausgeschlossen war.

      »Donnerwetter!« rief Dmitri Fjodorowitsch, machte plötzlich ein furchtbar finsteres Gesicht und schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn. Erst jetzt wandte er seine Aufmerksamkeit hierauf. Obwohl Aljoscha soeben alles berichtet hatte, auch die Beleidigung und auch Katerina Iwanownas Ausruf: »Ihr Bruder ist ein Schuft!« – trotzdem schien ihm dies bisher nicht aufgefallen zu sein. »Ja, ich habe wirklich Gruschenka von jenem unseligen Tag, wie Katja ihn nennt, erzählt. Ja, ich erinnere mich! Das war damals in Mokroje, ich war betrunken, die Zigeunerinnen sangen ... Ich habe aber dabei geschluchzt, habe auf den Knien gelegen und vor Katjas Bild gebetet, und Gruschenka hatte dafür Verständnis. Sie hat damals alles verstanden, ich erinnere mich, sie hat selbst geweint ... Zum Teufel! Damals hat sie geweint und jetzt ... Jetzt stößt sie ihr den Dolch ins Herz! So sind die Weiber!«

      Er ließ den Kopf sinken und dachte nach.

      »Ja, ich bin ein Schuft! Zweifellos bin ich ein Schuft«, sagte er plötzlich in düsterem Ton. »Ganz gleich, ob ich geweint habe oder nicht, ganz gleich, ich bin ein Schuft! Bestell ihr, daß ich die Bezeichnung annehme, wenn ihr das ein Trost sein kann. Na, nun genug, leb wohl! Wozu noch länger schwatzen! Das ist nicht erfreulich. Geh du deinen Weg, und ich werde meinen gehen. Und ich will dich auch bis zum letzten Augenblick nicht mehr wiedersehen. Leb wohl, Alexej!«

      Er drückte seinem Bruder kräftig die Hand und ging, als ob er sich von ihm losriß, mit schnellen Schritten und den Kopf gesenkt, auf die Stadt zu. Aljoscha sah ihm nach und konnte nicht glauben, daß er so fortgegangen sein sollte.

      »Warte, Alexej! Noch ein Bekenntnis nur für dich allein!« rief Dmitri Fjodorowitsch auf einmal und kehrte nochmals um. »Sieh mich an, sieh mich genau an! Hier, hier bereitet sich eine furchtbare Gemeinheit vor.« Bei den Worten »Hier, hier« schlug sich Dmitri Fjodorowitsch mit der Faust an die Brust, und zwar so seltsam, als ob die Gemeinheit gerade dort an seiner Brust irgendwo verwahrt wäre, vielleicht in einer Tasche oder in ein Beutelchen eingenäht. »Du kennst mich nun schon, ich bin ein Schuft, eingestandenermaßen ein Schuft! Aber du mußt wissen – nichts von allem, was ich früher getan habe, kann sich mit der Gemeinheit vergleichen, die ich gerade jetzt, in diesem Augenblick, hier an meiner Brust trage. Siehst du: hier, hier. Sie regt sich schon und vollzieht sich, und es sieht ganz in meiner Macht, ihr Einhalt zu gebieten. Ich kann ihr Einhalt gebieten oder sie ausführen! Nun, du sollst wissen, ich werde sie ausführen und ihr nicht Einhalt gebieten. Ich habe dir vorhin alles erzählt: nur dies nicht, weil sogar meine eiserne Stirn dazu nicht ausreichte! Noch kann ich einhalten, und wenn ich es tue, kann ich gleich morgen die Hälfte meiner verlorenen Ehre wiedergewinnen! Aber ich werde nicht einhalten, ich werde die Gemeinheit ausführen – und du sollst für die Zukunft Zeuge sein, daß ich das vorher und mit vollem Bewußtsein gesagt habe! Ich kann dir jetzt nichts weiter erklären, zu gegebener Zeit wirst du alles erfahren! Bei der stinkenden Gasse und der Teufelin! Leb wohl! Bete nicht für mich, das verdiene ich nicht, und es ist überhaupt nicht nötig, überhaupt nicht nötig! Ich bedarf dessen ganz und gar nicht! Doch genug jetzt, ich gehe!«

      Und er entfernte sich, diesmal endgültig.

      Aljoscha ging zum Kloster. »Soll ich ihn wirklich niemals wiedersehen, wie er sagt?« fragte er sich bestürzt. »Ich werde ihn gleich morgen aufsuchen, unter allen Umständen, und ihn fragen, ausdrücklich fragen, was er gemeint hat!«

      Er ging um das Kloster herum und lief durch den kleinen Fichtenwald direkt zur Einsiedelei. Dort wurde ihm geöffnet, obgleich man sonst zu dieser Stunde niemand mehr einließ. Das Herz bebte ihm, als er die Zelle des Starez betrat. ›Warum hin ich hinausgegangen?‹ fragte er sich. ›Warum hat er mich »in die Welt« gesandt? Hier ist Stille, hier ist eine heilige Stille, dort herrscht Verwirrung und Finsternis, in der man sofort wankend wird und sich verirrt ...‹

      In der Zelle befanden sich der Novize Porfiri und der Priestermönch Vater Paissi, der den ganzen Tag über stündlich gekommen war, um sich nach dem Befinden des Vaters Sossima zu erkundigen, dem es schlechter und schlechter ging, wie Aljoscha zu seinem Schrecken hörte. Selbst das übliche Abendgespräch mit der Brüderschaft hatte diesmal nicht stattfinden können. Gewöhnlich versammelte sich jeden Abend nach dem Gottesdienst die Klosterbrüderschaft vor dem Schlafengehen in der Zelle des Starez, und jeder beichtete laut die Sünden des Tages, sündige Gedanken, Versuchungen, sogar Streitigkeiten mit anderen Brüdern, wenn solche vorgekommen waren. Manche beichteten knieend. Der Starez sprach von den Sünden los, versöhnte, belehrte, legte Bußen auf, erteilte den Segen und entließ sie. Gerade diese »brüderlichen Beichten« waren es, wogegen sich die Gegner des Starzentums erhoben; sie sagten, das sei eine Profanation des Sakramentes der Beichte, beinahe eine Gotteslästerung, obgleich es sich hier in Wirklichkeit um etwas ganz anderes handelte. Sie machten sogar gegenüber der geistlichen Obrigkeit geltend, solche Beichten hätten nicht nur nichts Gutes zur Folge, sondern führten in Wirklichkeit oft in Versuchung und gäben zur Sünde Anlaß. Vielen aus der Brüderschaft sei es peinlich, zum Starez zu gehen; sie gingen aber, weil es alle tun, wider ihren Willen, um nicht des Stolzes und der rebellischen Gesinnung beschuldigt zu werden. Es