Die Brüder Karamasow. Федор Достоевский. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Федор Достоевский
Издательство: Bookwire
Серия: Große verfilmte Geschichten
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783955012083
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wirst du ertragen müssen, bis du von neuem hier anlangst. Und viel zu tun wirst du haben. Aber ich zweifle nicht an dir, und darum sende ich dich aus. Christus sei mit dir! Bewahre Ihn, und Er wird dich bewahren. Du wirst großes Leid erfahren und wirst in diesem Leid glücklich sein. Höre mein Vermächtnis: Such das Glück im Leid! Arbeite, arbeite unermüdlich! Bewahre diese meine Worte in deinem Gedächtnis! Zwar werde ich auch noch weiter mit dir reden, doch sind bereits meine Tage, ja sogar meine Stunden gezählt.«

      Auf Aljoschas Gesicht zeigte sich wieder eine starke seelische Erregung. Seine Mundwinkel zuckten.

      »Was hast du denn wieder?« fragte der Starez leise lächelnd. »Mögen die Weltlichen ihre Verstorbenen mit Tränen begleiten, wir hier freuen uns, wenn ein Vater von uns geht. Wir freuen uns und beten für ihn. So verlaß mich denn! Ich muß beten. Geh hin und beeile dich. Bleib deinen Brüdern nahe! Nicht einem, sondern allen beiden!«

      Der Starez erhob die Hand zum Segen. Eine Entgegnung war unmöglich, obgleich Aljoscha nur zu gern geblieben wäre. Es drängte ihn auch zu fragen – und die Frage sprang ihm fast von der Zunge: Was hatte jene tiefe Verbeugung vor Dmitri zu bedeuten? Er wagte aber doch nicht zu fragen. Er wußte, der Starez würde es ihm auch erklären, wenn es möglich wäre. Es war also nicht sein Wille. Die Verbeugung hatte jedenfalls gewaltigen Eindruck auf Aljoscha gemacht; er glaubte fest, in ihr liege ein geheimer Sinn. Ein geheimer, vielleicht aber auch ein schrecklicher Sinn. Als er die Einsiedelei verließ, um rechtzeitig zum Mittagessen im Kloster zu sein – natürlich nur, um bei Tisch aufzuwarten –, zog sich ihm plötzlich das Herz zusammen, und er blieb stehen. Er glaubte erneut die Worte der Starez zu hören, der seinen nahen Tod verkündete. Was der Starez vorhersagte, und noch dazu mit solcher Bestimmtheit, das mußte unbedingt eintreten; daran glaubte Aljoscha fest. Was sollte aus ihm werden, wenn er allein blieb, den Starez nicht mehr sah, nicht mehr hörte? Wohin sollte er gehen? Der Starez hatte ihm befohlen, nicht zu weinen, das Kloster zu verlassen, o Gott! Seit langem schon hatte Aljoscha nicht solches Leid erfahren. Er lief so schnell wie möglich durch das Wäldchen, das die Einsiedelei vom Kloster trennte, und da er die niederdrückenden Gedanken nicht ertragen konnte, schaute er auf zu den alten Fichten an beiden Seiten des Waldweges. Der Weg war nicht lang, etwa fünfhundert Schritt, und es war um diese Tageszeit kaum anzunehmen, daß man hier jemandem begegnen würde. Dennoch erblickte er plötzlich an der ersten Wegbiegung Rakitin, der auf jemand wartete.

      »Wartest du etwa auf mich?« fragte Aljoscha, als er herangekommen war.

      »Allerdings«, erwiderte Rakitin lächelnd. »Du eilst zum Vater Abt. Ich weiß, bei dem ist heute Diner. Seit er den Bischof und den General Pachatow bewirtete, erinnerst du dich, hat es so ein Diner nicht mehr gegeben. Ich bin nicht dabei, aber du kannst ja hingehen und die Soßen reichen! Eins aber sag mir, Aljoscha: Was bedeutete das vorhin – oder war es ein Traum? Das war's, wonach ich dich fragen wollte.«

      »Was war ein Traum?«

      »Nun, jene tiefe Verbeugung vor deinem Bruder Dmitri. Er bumste sogar mit der Stirn auf die Diele!«

      »Sprichst du von Vater Sossima?«

      »Jawohl, von Vater Sossima.«

      »Was hat er mit der Stirn getan?«

      »Ich habe mich etwas respektlos ausgedrückt. Trotzdem – was hat diese Verbeugung zu bedeuten?«

      »Ich weiß es nicht, Mischa!«

      »Ich wußte doch, er würde es dir nicht erklären. Etwas Kluges steckt nicht dahinter. Es scheinen immer die gleichen heiligen Dummheiten zu sein. Aber der Hokuspokus war Absicht. Jetzt werden alle Frömmler in der Stadt davon reden und es im ganzen Gouvernement herumtragen: Was hat diese Verbeugung zu bedeuten? Nach meiner Ansicht besitzt der Alte wirklich eine prophetische Gabe. Er wittert ein Verbrechen. Es stinkt bei euch!«

      »Was für ein Verbrechen?«

      Rakitin hatte offenbar Lust, mehr zu sagen.

      »In eurer Familie wird es geschehen, dieses Verbrechen. Zwischen deinen Brüdern und deinem reichen Vater. Und deshalb hat Vater Sossima für jeden künftigen Fall mit der Stirn auf die Diele gebumst. Mag sich später ereignen, was da will – man wird sagen: Der heilige Starez hat es vorhergesagt, hat es prophezeit! Im Grunde – was ist das schon für eine Prophezeiung, wenn er mit der Stirn auf die Diele bumst? Aber man wird es für eine symbolische, allegorische Handlung nehmen, der Teufel mag wissen, wofür! Man wird es ausposaunen und im Gedächtnis behalten. Er hat das Verbrechen geahnt und den Verbrecher bezeichnet, wird es heißen. Die religiösen Irren machen es immer so: Sie segnen die Schenke und bewerfen das Gotteshaus mit Steinen. Und ebenso macht es dein Starez: Den Gerechten vertreibt er mit dem Stock, und vor dem Mörder verbeugt er sich.«

      »Von welchem Verbrechen sprichst du? Von welchem Mörder? Was meinst du eigentlich?« Aljoscha stand wie angewurzelt da, und auch Rakitin blieb stehen.

      »Von welchem? Als ob du das nicht wüßtest! Ich möchte wetten, daß du schon selber daran gedacht hast. Apropos, das wäre interessant! Hör mal, Aljoscha, du sagst ja immer die Wahrheit, obgleich du dich immer zwischen zwei Stühle setzt – hast du daran gedacht oder nicht? Antworte!«

      »Ja, ich habe daran gedacht«, antwortete Aljoscha leise. Sogar Rakitin bekam einen Schreck.

      »Was? Auch du hast wirklich daran gedacht?« rief er.

      »Ich ... Ja, eigentlich habe ich nicht daran gedacht«, murmelte Aljoscha. »Aber als du eben so sonderbar davon sprachst, da war mir, als hätte ich wirklich daran gedacht.«

      »Siehst du wohl, wie klar du das ausdrückst! Als du heute deinen Papa und deinen Bruder Mitenka ansahst, hast du an ein Verbrechen gedacht? Ich irre mich also nicht?«

      »Warte mal, warte mal«, unterbrach ihn Aljoscha aufgeregt. »Woran siehst du das alles? Warum interessiert dich das so? Das ist die erste Frage.«

      »Das sind zwei verschiedene, aber sehr natürliche Fragen. Ich werde dir auf jede besonders antworten. Woran ich das sehe? Ich hätte nichts gesehen, wenn ich deinen Bruder Dmitri heute nicht plötzlich durchschaut hätte, ganz und gar, mit einem Schlag, so wie er ist. Bei diesen ehrenhaften, aber sinnlichen Menschen gibt es eine Grenze, die nicht überschritten werden darf. Sonst ... Sonst stößt er auch seinen Papa mit dem Messer nieder. Der Papa hingegen ist eine versoffene, hemmungslose Schlampe – die beiden werden sich nicht beherrschen und werden, plumps, im Graben landen!«

      »Nein, Mischa, wenn du nur das meinst, bin ich beruhigt. Dazu wird es nicht kommen.«

      »Warum zitterst du dann am ganzen Körper? Weißt du, wie so was vor sich geht? Wenn er auch ein ehrenhafter Mensch ist, dieser Mitenka, dumm, aber ehrenhaft – er ist doch ein Lüstling Das ist meine Definition, damit ist sein ganzes Wesen gekennzeichnet. Diese gemeine Sinnlichkeit hat er von seinem Vater geerbt. Ich wundere mich nur über dich, Aljoscha. Wie kommt es, daß du so ein reiner Jüngling bist? Du bist doch auch ein Karamasow! In eurer Familie hat sich doch die Sinnlichkeit zu einer Art Krankheit entwickelt. Drei Lüstlinge beobachten sich nun gegenseitig, jeder mit dem Messer im Stiefel. Drei sind schon mit den Köpfen zusammengerannt, du wirst vielleicht der vierte sein.«

      »Über diese Frau bist du im Irrtum. Dmitri verachtet sie«, sagte Aljoscha und schien dabei zu zittern.

      »Wen, Gruschenka? Nein, Bruder, die verachtet er nicht. Wenn er ihretwegen schon seine Braut ganz offen verläßt, dann verachtet er sie sicher nicht. Da ist etwas ... Da ist etwas, Bruder, was du noch nicht verstehst. Wenn sich ein Mensch in eine schöne Frau, in einen weiblichen Körper oder auch nur in einen Körperteil verliebt – nur ein sinnlich Veranlagter wird das begreifen –, so gibt er für diese Frau seine eigenen Kinder hin und verkauft für sie seinen Vater und seine Mutter und sein russisches Vaterland! Wenn er noch so ehrenhaft war, er wird hingehen und stehlen! Wenn er einen noch so sanften Charakter besaß, er wird morden! Wenn er noch so treu war, er wird zum Verräter werden! Puschkin, der Sänger der Frauenfüßchen, hat diese in seinen Gedichten gefeiert; andere besingen die Füßchen zwar nicht, können sie aber nicht sehen, ohne in Krämpfe zu verfallen. Und es geht ja nicht nur um die Füßchen ... Da hilft keine Verachtung,