»Eine unwürdige Komödie, die ich vorausgeahnt habe, als ich herkam!« rief Dmitri Fjodorowitsch unwillig und sprang ebenfalls von seinem Platz auf. »Verzeihen Sie, ehrwürdiger Vater«, wandte er sich an den Starez, »ich bin ein ungebildeter Mensch und weiß nicht einmal, wie man Sie anreden muß. Man hat Sie getäuscht! Es war allzu gütig von Ihnen, uns die Zusammenkunft bei Ihnen zu erlauben. Mein Väterchen hat es auf einen Skandal abgesehen – in welcher Absicht, wird er schon wissen. Er hat immer eine Absicht. Ich glaube, ich kenne sie auch jetzt ...«
»Alle beschuldigen mich, alle!« schrie Fjodor Pawlowitsch. »Auch Pjotr Alexandrowitsch. Sie haben mich beschuldigt, Pjotr Alexandrowitsch, Sie haben mich beschuldigt!« Er wandte sich plötzlich an Miussow, obgleich dieser nicht daran gedacht hatte, ihn zu unterbrechen. »Ich werde beschuldigt, das Geld meiner Kinder im Stiefel versteckt und sie dadurch benachteiligt zu haben. Aber erlauben Sie, gibt es denn keine Gerichte? Dmitri Fjodorowitsch, man wird Ihnen an Hand Ihrer eigenen Quittungen, Briefe und Verträge vorrechnen, wieviel Sie besaßen, wieviel Sie verbraucht haben und was dann noch bleibt! Warum versäumt es Pjotr Alexandrowitsch, ein Gerichtsurteil herbeizuführen? Dmitri Fjodorowitsch ist für ihn doch kein Fremder. Er vermeidet es nur, weil sie alle gegen mich sind. Das Schlußresultat der Rechnung ist, daß Dmitri Fjodorowitsch mir etwas schuldet, und zwar keine unbedeutende Summe, sondern mehrere tausend Rubel, ich habe dafür alle erforderlichen Beweise. Die ganze Stadt spricht von seinen ausschweifenden Gelagen! Wo er früher beim Militär stand, da mußte er tausend und zweitausend Rubel Strafe wegen Verführung ehrbarer Mädchen bezahlen! Ich weiß das, Dmitri Fjodorowitsch, mit allen intimen Einzelheiten, und ich werde es beweisen! Können Sie das glauben, heiligster Vater? Er machte ein anständiges Mädchen in sich verliebt, ein vermögendes Mädchen aus gutem Hause, die Tochter seines früheren Chefs, eines tapferen, verdienten Obersten, der den Anna-Orden mit Schwertern besaß; er kompromittierte das Mädchen mit einem Heiratsantrag. Jetzt ist sie hier; jetzt ist sie eine Waise, seine Braut – er aber geht vor ihren Augen zu einer anderen, allerdings sehr verführerischen Frau! Obgleich diese Frau mit einem achtbaren Mann sozusagen in bürgerlicher Ehe lebte, besitzt sie doch einen selbständigen Charakter und ist für alle eine uneinnehmbare Festung wie eine legitime Ehefrau. Sie ist tugendhaft, fromme Väter, sie ist tugendhaft! Aber Dmitri Fjodorowitsch will diese Festung mit einem goldenen Schlüssel aufschließen und trumpft zu diesem Zweck gegen mich auf, um Geld aus mir herauszuquetschen. Einstweilen hat er schon Tausende für die Verführerin verschwendet; zu diesem Zweck borgt er fortwährend Geld, und bei wem unter anderem? Was meinen Sie? Soll ich es sagen, Mitja? Soll ich?«
»Schweigen Sie!« schrie Dmitri Fjodorowitsch. »Warten Sie, bis ich draußen bin! Wagen Sie nicht, in meiner Gegenwart dieses edelmütige Mädchen zu beschmutzen! Schon daß Sie es wagen, von ihr zu sprechen, ist eine Beschimpfung für sie! Ich lasse das nicht zu!« Er konnte kaum atmen.
»Mitja, Mitja!« rief Fjodor Pawlowitsch in kläglichem Ton und preßte sich Tränen aus der Augen. »Wozu gibt es einen väterlichen Segen? Wenn ich dich nun verfluche, was wird dann aus dir?«
»Schamloser Heuchler!« brüllte Dmitri Fjodorowitsch.
»So behandelt er seinen Vater, seinen Vater! Und wie geht er erst mit anderen Leuten um! Stellen Sie sich vor, meine Herren, hier lebt ein armer, aber achtenswerter Mann, ein Hauptmann a. D. Er hat Unglück gehabt, ist entlassen worden, aber nicht infolge eines öffentlichen Gerichtsverfahrens. Seine Ehre blieb unbefleckt, und er hat eine große Familie am Halse ... Vor drei Wochen packte ihn Dmitri Fjodorowitsch in einem Restaurant am Bart, zog Ihn auf die Straße und verprügelte ihn vor den Leuten – und alles nur, weil jener in einer geschäftlichen Angelegenheit mein heimlicher Bevollmächtigter war.«
»Lüge! Von außen Wahrheit, von innen Lüge!« rief Dmitri Fjodorowitsch, zornbebend. »Vater, ich will meine Handlungsweise nicht rechtfertigen. Ja, ich bekenne vor aller Ohren: Ich habe mich wie ein Tier benommen gegen diesen Hauptmann, ich bedaure das und verachte mich selber deswegen. Aber dieser Hauptmann, Ihr Herr Bevollmächtigter, war zu derselben Dame gegangen, die Sie soeben ›allerdings verführerisch‹ nannten. Er hatte ihr in Ihrem Auftrag vorgeschlagen, sie möchte meine in Ihrem Besitz befindlichen Wechsel einklagen, um mich dann einsperren zu lassen, sollte ich Ihnen bei der Abrechnung über mein Vermögen zu sehr zusetzen. Sie wollen mir jetzt den Vorwurf machen, ich hätte für diese Dame eine Schwäche; dabei haben Sie selbst ihr beigebracht, mich anzulocken! Das erzählt sie den Leuten ganz offen! Auch mir hat sie es erzählt und sich über Sie lustig gemacht! Einsperren wollen Sie mich nur, weil Sie auf mich eifersüchtig sind! Sie haben sich nämlich selbst an diese Dame herangemacht! Auch das ist mir bekannt, auch das hat sie mir wieder lachend, hören Sie, über Sie lachend, erzählt. Da haben Sie nun diesen Menschen, fromme Männer, diesen Vater, der seinem liederlichen Sohn Vorwürfe macht! Verzeihen Sie mir den Zorn, meine Herren Zeugen! Ich ahnte schon, daß dieser heimtückische alte Mann Sie nur zusammenkommen ließ, um einen Skandal herbeizuführen. Ich kam mit der Absicht zu verzeihen, sobald er mir die Hand entgegenstreckt. Ich wollte verzeihen und um seine Verzeihung bitten! Aber da er soeben nicht nur mich, sondern auch ein höchst anständiges Mädchen beleidigt hat, dessen Namen ich aus Achtung vor ihr nicht ohne Grund auszusprechen wage, bin ich entschlossen, sein ganzes Spiel öffentlich aufzudecken, obgleich er mein Vater ist ...«
Er war nicht imstande weiterzusprechen. Seine Augen funkelten, sein Atem ging schwer. Aber auch die anderen Anwesenden waren erregt. Alle außer dem Starez hatten sich unruhig von den Plätzen erhoben. Die Priestermönche machten finstere Gesichter und warteten auf eine Willensäußerung des Starez. Der aber saß da, schon völlig blaß, nicht etwa vor Aufregung, sondern vor Schwäche. Ein flehendes Lächeln zuckte um seine Lippen, und ab und zu erhob er die Hand, als wollte er die Streitenden zurückhalten. Freilich, eine einzige befehlende Geste hätte genügt, um dieser Szene ein Ende zu machen, aber er selbst schien etwas zu erwarten und beschränkte sich deshalb auf das aufmerksame Beobachten, als suchte er noch eine Erklärung, als wäre ihm irgendein Punkt noch nicht klar. Pjotr Alexandrowitsch, Miussow fühlte sich schließlich im höchsten Grade erniedrigt und beschimpft.
»An diesem Skandal sind wir alle schuld!« sagte er heftig. »Als ich herkam, habe ich so etwas nicht geahnt, obwohl ich wußte, mit wem ich es zu tun hatte. Der Sache muß ein Ende gemacht werden. Glauben Sie mir, Ehrwürden, daß ich alle hier aufgedeckten Einzelheiten nicht näher kannte. Was ich vorher gehört hatte, mochte ich nicht glauben; und vieles erfahre ich heute zum erstenmal. Ein Vater ist auf seinen Sohn eifersüchtig wegen einer liederlichen Frauensperson. Er trifft mit diesem Geschöpf eine Verabredung, um seinen Sohn ins Gefängnis zu bringen ... In solcher Gesellschaft mußte ich also hier erscheinen! Ich bin getäuscht worden. Ich erkläre, daß ich nicht weniger getäuscht worden bin als alle anderen Leute ... «
»Dmitri Fjodorowitsch!« schrie plötzlich Fjodor Pawlowitsch mit fremd klingender Stimme. »Wären Sie nicht mein Sohn, ich würde Sie augenblicklich zum Duell fordern! Pistolen, drei Schritt Distanz, übers Tuch!« schloß er und stampfte mit beiden Beinen auf. Es gibt bei alten Lügnern, die ihr Leben lang geschauspielert haben, Minuten, da gehen sie so sehr in ihrer Rolle auf, daß sie wirklich vor Aufregung zittern und weinen, obwohl sie sich im gleichen Augenblick (oder eine Sekunde später) zuflüstern könnten: Du lügst ja, du schamloser alter Kerl! Du bist ja auch jetzt ein Komödiant, trotz deines »heiligen« Zorns in diesem »heiligen« Augenblick!
Dmitri Fjodorowitsch zog furchterregend die Brauen zusammen und blickte seinen Vater mit unendlicher Verachtung an.
»Ich glaubte«, sagte er leise und beherrscht, »ich würde mit dem Engel meiner Seele, mit meiner Braut, in die Heimat zurückkehren, um ihn im Alter zu pflegen – aber ich sehe nur einen liederlichen Wüstling und gemeinen Komödianten!«
»Zum Duell!« brüllte der Alte wieder. Er bekam kaum Luft, und bei jedem Wort spritzte der Speichel. »Und Sie, Pjotr Alexandrowitsch Miussow, sollen wissen, daß es vielleicht in Ihrer ganzen Verwandtschaft keine ehrenhaftere Frau gibt und je gegeben hat als dieses ›Geschöpf‹, wie Sie diese Dame zu nennen wagten! Und Sie, Dmitri Fjodorowitsch, haben für dieses ›Geschöpf‹ Ihre Braut hingegeben. Sie haben damit selbst eingestanden, daß Ihre Braut nicht wert ist, ihr die Schuhriemen zu lösen. Ja, so ein ›Geschöpf‹ ist das!«