»Wunderbar«, verkündet er. »Gebratene Seezunge nur mit Salz und Pfeffer gewürzt, damit der mild würzige Eigengeschmack erhalten bleibt, etwas Zitronensaft und die Kapern passen vorzüglich dazu.« Er prostet seinem Gegenüber zu. »Bei uns in Deutschland ist eine frische Seezunge kaum mehr zu bezahlen. Es soll sogar Restaurants geben, die tricksen. Anstelle der Seezunge gibt es dann Rotzunge, Atlantikzunge oder, noch schlimmer, Pangasius.«
»Und das fällt nicht auf?«, fragt der ältere Spanier erstaunt.
»Wer sich nicht so auskennt, kann da schon reinfallen.«
»Aber der Geschmack ist doch ein ganz anderer«, wendet Alejandro de Calderón ein.
»Ja, die leicht nussige Note fehlt und das Fleisch der Seezunge ist zart, aber fest, und sie hat keine Gräten.«
»Im La Parada del Mar kann Ihnen das jedenfalls nicht passieren. Hier gibt es den frischesten Fisch weit und breit, und er ist bezahlbar. Ich komme extra einmal die Woche aus der Nähe von Pollença.«
»Oh, das ist nicht gleich um die Ecke.«
»Na, soweit ist es nun auch nicht, gerade einmal anderthalb Stunden.«
»Für die Mallorquiner ist das aber schon eine Strecke.«
Der ältere Mann lacht. »Ja, da haben Sie wohl recht. Aber was führt Sie nach Mallorca? Sie machen nicht den Eindruck eines Urlaubers. Sind Sie Resident?«
Sven lacht ebenfalls. »Stimmt, ich bin kein Urlauber, obwohl ich mich fast so fühle. Und leider noch kein Resident, obwohl ich mir das gut vorstellen könnte.« Nachdem Alejandro de Calderón mit dem Messer ein Stück Kaninchenfleisch von einem kleinen Knochen befreit hat, schaut er Sven erwartungsvoll an.
»Ich bin beruflich hier, ich schreibe für einen Verlag einen kulinarischen Reiseführer über Mallorca.«
Die Augen des älteren Herren beginnen zu funkeln. »Schönes Projekt. Und so, wie ich Sie einschätze, wird Ihnen das auch gelingen.«
»Ich bin natürlich auf Empfehlungen der Einheimischen angewiesen.«
»Worauf wollen Sie sich denn konzentrieren?«
Sven überlegt. »Da bin ich ganz offen. Wichtig ist mir, dass meine Empfehlungen das Leben auf der Insel widerspiegeln. Das traditionelle, aber auch das modern-trendige Mallorca.«
»Aber es soll schon ums Essen gehen?«
»In erster Linie. Der Leser soll erfahren, wo er ausgezeichnet essen gehen kann und was die mallorquinische Küche so alles zu bieten hat. Aber natürlich will ich auch die Lebensart darstellen und die Schönheit der Insel beschreiben.«
»Also auch schöne Flecken erkunden, die im Verborgenen liegen?«
»Sie haben es auf den Punkt gebracht, genau das will ich.« Sven legt das Besteck zur Seite und wischt sich den Mund mit der Serviette ab.
»Sie wollen aufgeben?«, fragt Alejandro erstaunt.
»Die Seezunge war fantastisch, aber ich hätte mir eine kleinere aussuchen sollen«, bedauert Sven.
»Jedenfalls haben Sie mit dem La Parada del Mar eine ausgezeichnete Empfehlung.« Der Spanier öffnet sein Portemonnaie, holt eine Visitenkarte heraus und überreicht sie Sven: Marqués Alejandro de Calderón, Els Calderers de Sant Joan. Sven schaut auf. »Davon habe ich gehört. Ist Els Calderers nicht ein altes Herrenhaus, das als Museum der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde?«
»Sie sind gut unterrichtet.« Der ältere Mann lächelt und geht sich mit der Hand durch seine weißen, immer noch dichten Haare. »Sie gefallen mir, junger Mann. Ich würde mich freuen, Sie bald wiederzusehen. Vielleicht kann ich Ihnen einige wertvolle Tipps geben. Melden Sie sich.« Der Marquis steht auf und reicht Sven die Hand.
Sven betrachtet die Visitenkarte und steckt sie in die Brusttasche seines Hemdes. Ein echter Marquis. Beeindruckender Mann, den sollte ich wirklich anrufen, nimmt er sich vor und winkt den Ober herbei. »Por favor, un cortado doble.«
Am Ausgang des Restaurants legt er seine Rechnung vor und bezahlt. Das Völlegefühl hat auch der doppelte Espresso mit Milch nicht mindern können und so entschließt er sich, auf den Bus zu verzichten und lieber zu Fuß den Rückweg anzutreten.
Schon nach zehn Minuten bedarf es der Eigenmotivation. »Blöde Idee«, schimpft er vor sich hin und krempelt die Ärmel seines Hemdes auf. »Jetzt reiß dich am Riemen. Zur Belohnung gibt es ein Nickerchen an dem kleinen Strand, den Consuelo empfohlen hat, gleich hinter dem Hotel Maricel.« Nach weiteren zehn Minuten, der Schweiß tropft ihm von der Stirn und seine kurzen schwarzen Haare kleben an den Schläfen, hat er das Stadthaus des Ehepaares Sánchez erreicht. Schnell holt er sich Badehose und ein Handtuch. Dann geht er die Straße weiter, lässt das Hotel Maricel links liegen und entdeckt eine kleine Treppe, die ihn zwischen zwei Hausmauern zum Strand hinabführt. Nachdem er ein paar Stufen genommen hat, schaut er zurück. Und wirklich: Von der Straße aus, zumal wenn man mit dem Auto unterwegs ist, fällt die kleine Bucht mit dem Namen Bugambilia gar nicht auf. Noch auf den ausgetretenen alten Steintreppen stehend, blickt er über die Bucht: links der Koloss des Hotels und rechts eine kleine Landzunge, auf der drei schlanke Wohntürme unterschiedlicher Höhe stehen. Sie sind in hellem Stein erbaut, mit schmalen Fenstern. Zum offenen Meer wirken die kleinen Balkone wie an die Fassade geklatscht. Ich möchte nicht wissen, was hier ein Appartement kostet.
Unten am Strand befinden sich eine kleine Bude, eine chiringuito, und einige Liegestühle, die ihn magisch anziehen. Weder die Strandbude noch das glasklare Wasser interessieren ihn. Nachdem er die Gebühr für die Liege bei einem jungen Mallorquiner bezahlt hat, schlüpft er in seine Badehose, breitet das Handtuch über der Liege aus und legt sich hin. Er schläft sofort ein.
»Sie verbrennen sich ja.« Sven schrickt auf. Der junge Mallorquiner, der ihm vor Stunden den Liegestuhl vermietet hat, steht mit einer großen Tube vor ihm. »Reiben Sie sich damit mal ein, sonst wird es heute Nacht unangenehm.«
»Danke!«
Noch etwas schlaftrunken nimmt Sven die Tube entgegen, lässt ein wenig des Gels auf seine Finger gleiten und riecht daran. Ach, den Duft kenne ich doch. Sven grinst und nimmt sich reichlich von dem kühlenden Gel. Dann reicht er dem jungen Mann die Tube zurück und geht zur Strandbar. Consuelo hat ihm erzählt, dass hier vier Generationen aktiv sind. Als Erstes sieht er die 98-jährige Oma, die an einem kleinen Tisch Servietten faltet. Hinter der Theke steht ihr Enkel, das könnte zumindest vom Alter her passen.
»Bitte einen doppelten cortado.«
Er betrachtet seinen Körper, der schon etwas gerötet ist. Egal, denkt er sich, jetzt gehe ich erst einmal schwimmen. Den Espresso trinkt er in schnellen Schlucken, dann läuft er beherzt ins Wasser.
Das aufgeheizte Meer erscheint ihm angenehm kühl und er schwimmt weit hinaus. Wie herrlich es hier ist, weit und breit kaum Gäste. Er schaut zur Landzunge mit den Hochhäusern zurück, dann geht sein Blick zum Luxushotel, vor dem sich eine weitere Landzunge ins Meer erstreckt, auf der mehrere kleinere Stadtvillen stehen.
Zurück an der Strandbar bestellt er einen mojito, die sollen laut Consuelo hier besonders gut sein. Er lächelt. Dass die ältere Dame sich einen Cocktail aus hellem kubanischem Rum, Limettensaft, Minze, Rohrzucker und Sodawasser bestellt, kann er sich kaum vorstellen. Die Oma faltet immer noch oder schon wieder Servietten. Er schaut sich um und entdeckt eine alte Schwarz-Weiß-Fotografie an der Wand. Mit dem Cocktail in der Hand nähert er sich dem Bild und betrachtet es interessiert.
»Das zeigt die Anfänge unserer chiringuito in den 60er-Jahren«, klärt ihn der Mallorquiner hinter der Bar auf. Er ist gerade dabei, weitere mojitos zu mixen, denn gleich kommen die Einheimischen, um den Tag ausklingen zu lassen.
»Viel hat sich seitdem nicht verändert«, erwidert Sven verwundert.
»Ja,