Riley murmelte: „Es ist Zeit für einen Drink.“
Sie ging in die Küche und schenkte sich ein Glas Bourbon ein, ging dann zurück ins Wohnzimmer und setzte sich hin. Das Haus war gespenstisch still und Riley fühlte sich zutiefst allein gelassen. Und natürlich war sie wirklich allein, auch mit drei anderen Menschen in der Nähe. Für eine kurze Weile weinte sie leise.
Nachdem sie sich ihre Tränen weggewischt hatte und begann an ihren Bourbon zu nippen, versuchte sie die Erinnerungen an fröhlichere Tage aus ihrem Kopf zu verbannen. Doch irgendwie schaffte sie es nicht. Sie dachte an den Abend, an dem sie und Blaine sich zum ersten Mal auf einer Tanzfläche geküsst hatten, während eine Band auf seine Bitte hin ihr Lieblingslied spielte. Sie erinnerte sich an die Nacht, in der sie zum ersten Mal miteinander geschlafen hatten.
Und sie dachte auch an die zwei Wochen, die sie, Blaine und ihre drei Mädchen zusammen in einem gemieteten Haus an der Küste von Sandbridge Beach verbracht hatten. Sie hatten sich damals wirklich wie eine Familie gefühlt. Insbesondere erinnerte sie sich an den beruhigenden, leisen Klang der Wellen an dem Abend, an dem Blaine ihr Architekturpläne gezeigt hatte, um sein eigenes Haus zu erweitern, sodass sie alle zusammen darin wohnen konnten.
Sie hatten wirklich aufrichtig darüber nachgedacht zu heiraten.
Das war erst vor etwa einem Monat.
Doch es kommt mir jetzt so weit weg vor.
Eine andere, unangenehmere Erinnerung, drängte sich nun in ihren Kopf. Es war als Blaine ihr an dem Morgen, nachdem sie zum ersten Mal miteinander geschlafen hatten, sagte: „Ich glaube, ich muss mir eine Waffe kaufen.“
Und natürlich hatte er dieses Bedürfnis wegen Riley verspürt und den Gefahren, die eine Beziehung mit ihr nach sich zog. Sie waren zum Waffenladen gegangen und hatten ihm eine Smith and Wesson 686 gekauft, und im Anschluss hatte Riley ihm seinen ersten Schießunterricht in der Schießhalle direkt vor Ort gegeben.
Riley lächelte ein bitteres Lächeln und dachte: Ich hoffe, er passt besser mit der Waffe auf, als April es mit ihrer getan hat.
Doch wozu brauchte er nun noch diese Waffe, jetzt, wo es vorbei war zwischen ihnen?
Was würde er damit machen?
Sie einfach irgendwo im Haus wegsperren und vergessen, dass er sie überhaupt besaß?
Oder würde er sie verkaufen?
Als sie über diese Fragen nachdachte, spürte sie, wie eine unerwartete Emotion in ihr hochkam. Ihr Atem und Puls wurden schneller und sie begriff überrascht: Ich bin wütend.
Sie kämpfte mit Selbstvorwürfen und Selbstzweifeln, seitdem Blaine hier gewesen war –– eigentlich sogar schon vor seinem Besuch, als sie sich zumindest teilweise schuldig für Aprils Unfall mit der Pistole fühlte.
Doch war alles, was in ihrem Leben schief lief, wirklich ihre Schuld?
Riley knurrte leise, während sie einen weiteren Schluck Bourbon nahm.
So viele Enttäuschungen, dachte sie.
Sie war es leid sich an all diesen Enttäuschungen selbst die Schuld zu geben –– einschließlich an dem Scheitern ihrer Ehe mit Ryan. War es wirklich ihre Schuld gewesen, dass Ryan ein untreuer, selbstsüchtiger Arsch gewesen war, ebenso wie ein schlechter Ehemann und Vater? Und war es ihre Schuld, dass April der Verantwortung, die eine Waffe mit sich brachte, nicht gewachsen war, oder das Jilly auf sie wütend war, dass sie selbst keine Waffe bekommen hatte?
Und war es wirklich ihre Schuld, dass Blaine sie nicht als die akzeptieren konnte, die sie wirklich war, dass er ihre Beziehung nicht fortführen wollte, außer sie verwandelte sich in jemanden, die sie unmöglich sein konnte? Als sie diese Hoffnungen hatte ein neues Leben mit ihm und seiner Tochter zu beginnen, hatte sie wirklich zu viel von ihm erwartet? Bedeutete wahre Verbundenheit nicht immer das Gute gemeinsam mit dem Schlechten zu akzeptieren?
Was es möglich, dass Blaine sie verriet und nicht andersherum?
Jetzt, wo Riley darüber nachdachte, gab es da doch etwas, was sie sich vorzuwerfen hatte. Es war ein einziger Fehler, den sie ihr gesamtes eben immer und immer wieder machte.
Ich vertraue den Menschen.
Und früher oder später brachen alle Menschen dieses Vertrauen, egal wie sehr sie sich ihrerseits bemühte all ihre Forderungen und Erwartungen zu erfüllen.
Dann hörte Riley Geräusche aus der Küche kommen. Gabriela war hochgekommen und hatte begonnen, das Abendessen zuzubereiten. Riley musste sich eingestehen, dass Gabriela die eine Person war, die sie nie enttäuscht hatte und nie ihr Vertrauen missbraucht hatte.
Und doch gab es Grenzen in ihrer Beziehung mit Gabriela. Obwohl Gabriela wie ein weiteres Familienmitglied war, war Riley doch Gabrielas Arbeitgeberin. Und daher konnten sie sich auch nur durch diesen Umstand begrenzt nahekommen, selbst freundschaftlich.
Gabriela begann in der Küche eine guatemalische Melodie zu summen und Riley konnte fühlen, wie ihre Wut begann abzuebben. Sie dachte sich, dass bald sie, Gabriela und die Kinder sich gemeinsam zu einem wundervollen Abendessen einfinden würden.
Selbst wenn sie kaum ein Wort miteinander reden würden, war das etwas Schönes.
Sie nahm einen weiteren Schluck Bourbon und murmelte: „Das Leben geht weiter.“
*
Früh am nächsten Morgen wurde Riley vom Geräusch ihres vibrierenden Handys auf dem Nachttisch geweckt. Verschlafen griff sie nach dem Handy, wurde jedoch augenblicklich wach, als sie sah, dass der Anruf von ihrem Boss, Brent Meredith kam.
„Habe ich Sie geweckt, Agentin Paige?“, fragte Meredith in seiner tiefen, bebenden Stimme.
Riley wollte es beinahe verneinen, entschied sich jedoch schnell dagegen. Es war immer besser Meredith die Wahrheit zu sagen, selbst über so scheinbar bedeutungslose Kleinigkeiten. Es hatte das gruselige Vermögen selbst die kleinste Unaufrichtigkeit zu spüren. Und er mochte es wirklich nicht, belogen zu werden. Riley hatte das auf die harte Tour lernen müssen.
„Ja, aber das ist in Ordnung, Sir“, sagte Riley. „Was kann ich für Sie tun?“
„Ich habe mich gefragt, ob Sie vielleicht bereit sind, wieder in die Arbeit einzusteigen“, sagte Meredith.
Riley setzte sich im Bett auf, von Sekunde zu Sekunde immer wacher.
Was soll ich antworten? fragte sie sich.
Selbst nach dem gestrigen Abendessen war die Stimmung zwischen ihr und ihren beiden Töchtern immer noch angespannt. Die Mädchen waren immer noch beleidigt und distanziert. War es wirklich der passende Moment, um wieder an die Arbeit zu gehen? Sollte sie sich nicht etwas Zeit nehmen, um zu versuchen, die Dinge hier zuhause zu richten?
„Gibt es einen neuen Fall?“, fragte sie.
„Sieht ganz danach aus“, sagte Meredith. „Es hat in den vergangenen Wochen zwei Morde in der Vorstadt von Philadelphia gegeben. Wegen einiger Auffälligkeiten an beiden Tatorten, denkt die dortige Polizei, dass die Fälle etwas miteinander zu tun haben müssen und bittet uns um unsere Hilfe. Ich weiß, dass Sie sich von ihrer Verletzung erholten und ich will nicht –– “
„Ich bin dabei“, unterbrach Riley ihn.
Die Worte waren draußen, bevor sie überhaupt wusste, dass sie sie ausgesprochen hatte.
„Es freut mich das zu hören“, sagte Meredith. Dann fügte er hinzu: „Agent Jeffreys ist immer noch beurlaubt. Ich werde Agentin Roston mit Ihnen zusammen auf den Fall ansetzen.“
Riley wollte beinahe wiedersprechen. Genau jetzt wollte sie wirklich ihren Langzeitpartner und besten Freund, Bill Jeffreys mit dabei haben, doch dann erinnerte sie sich an ihr letztes Telefonat. Er hatte ziemlich angespannt geklungen, und er hatte