„Tagsüber ist es hier sogar richtig heiß“, erwidert Katharina. „In einer Stunde geht die Sonne auf, dann würdest du nicht mehr frieren, wären wir dann noch hier. Oder ist es unter der Kuppel klimatisch genau wie außerhalb?“
Ich zucke die Achseln. „Ich denke, es ist keine Kuppel. Es muss so eine Art Spielerei mit den Dimensionen sein. So wie bei Schrödinger. Entweder ist Augle da oder es ist nicht da.“
Katharina sieht mich mit einem bedauernden Ausdruck an, dann wendet sie sich an die beiden anderen. „Wir dürfen sie nicht mehr fliegen lassen. Anscheinend gibt es unerwünschte Nebenwirkungen.“
„Diesen Gedanken hatte ich auch gerade“, sagt Sarah. „Und wo ist Augle denn nun?“
Ich zeige nach vorne.
„Da ist nichts, nur Wüste.“
„Und Augle.“
„Du kannst es sehen?“
„Nein. Aber ich weiß, dass es da ist. Der Pilot ist mit dem Hubschrauber hineingeflogen. Er ging tiefer, sogar ziemlich tief, dann waren wir plötzlich drin. Einfach so.“
„Hm. Hat Emily denn nicht gesagt, wie man durch die Illusionsschranke kommt?“
„Nicht wirklich. Sie hat nur gesagt, es ist eine Illusion für alle Sinne.“
„Das heißt, nur du kannst die Illusion aufheben“, stellt Sarah fest.
„Wieso das denn?“
„Weil du schon mal drin warst. Es ist eine Art Schalter, den du betätigen musst. Du musst deine Wahrnehmung umschalten. Das betrifft aber nicht nur das Sehen, sondern auch das Hören, Spüren, Schmecken, Riechen, Fühlen. Alle Sinne. Ich habe von dieser Art Magie schon mal gehört, aber sie noch nie erlebt. Das ist faszinierend.“
„Hm.“
„Vielleicht hilft dabei etwas, was ungewöhnlich ist, anders.“
Ich sehe Thomas an und denke nach. Die Idee ist gar nicht so schlecht. Ganz so, wie er es vorschlägt, ist sie wohl nicht umsetzbar, aber das ist vielleicht auch gar nicht nötig.
Ich hocke mich hin und nehme Sand in die Hände. Zwar rinnt er ziemlich schnell zwischen den Fingern hindurch, aber das, was übrigbleibt, reicht für meine Zwecke. Ich werfe den Sand nach vorne und hoch und als die feinen Sandkörnchen herunterrieseln, laufen sie an dem Illusionsschirm entlang.
„Ich sehe den Schirm“, sage ich lachend. „Ich sehe ihn!“
„Das ist klasse, denn wir sehen nichts“, erwidert Katharina.
Ich nehme ihre Hand, sie nimmt Sarahs und diese fasst Thomas an der Hand. Die Berührung mit mir scheint zu reichen, denn allen dreien klappt die Kinnlade herunter. Fröhlich pfeifend trete ich durch den Schirm und ziehe die anderen mit mir.
Doch dann bleibt mir das Pfeifen im Hals stecken.
„Wir kommen zu spät“, flüstert Thomas.
Obwohl es in Augle auch dunkel ist, kann ich dennoch erkennen, dass von der Stadt kaum was übrig ist. Zwar stehen die Gebäude noch, aber es sieht aus wie nach einem Krieg. Im Irak sah es damals auch nicht viel anders aus. Alle oder zumindest viele der Gebäude weisen Schäden auf, die von Explosionen herrühren dürften. Trümmerteile liegen auf den Straßen herum, zwischen ihnen Leichen, unter ihnen vermutlich noch mehr.
„Was ist denn hier passiert?“, fragt Sarah entgeistert.
„Garoan“, flüstere ich. „Er hat den Spiegel.“
„Sieht ganz danach aus“, bestätigt Katharina. „Und das bedeutet, die Ur-Wesen sind frei.“
„Aber woher konnte er wissen, wie er Augle findet? Vor einem Jahr hat er noch versucht, dieses Wissen von uns durch Folter zu erfahren.“
„Wie es aussieht, hat er eine andere Quelle gefunden“, erwidert Katharina, deren Gesichtsausdruck verrät, dass sie sich an die Folter erinnert.
Plötzlich fällt mir siedendheiß mein Geburtstag ein. Aber kann das überhaupt sein? Ich beginne zu laufen, bis ich bei der ersten Leiche bin, und starre sie fassungslos an.
„Was? Was ist los?“, fragt Sarah.
„Ich habe es gespürt“, sage ich leise. „Schaut euch die Leiche an, die liegt schon seit Monaten hier. An meinem Geburtstag habe ich plötzlich was gespürt, eine Erschütterung. Und dann so was wie einen Hilferuf. Jetzt weiß ich, wo es herkam!“
„Du meinst, das ist jetzt drei Monate her?“, fragt Katharina.
Ich sehe sie an und nicke.
„Oh, verdammte Scheiße!“
Ich denke an mein letztes Gespräch mit Nasnat. Ich Quatschkopf sagte noch zu ihm, dass ich vielleicht noch das Universum retten werde. Seine Reaktion hätte mich damals schon stutzig machen sollen. Aber ich war viel zu sehr mit mir selbst beschäftigt, um irgendetwas von dem zu bemerken, was wirklich wichtig war.
Ich werde in meinen düsteren Gedanken durch einen Ausruf von Thomas unterbrochen: „Was sind das denn für ulkige Gestalten?“
Ich folge seinem Blick und stöhne auf: „Das sind Gopfs, kleine, sehr aggressive Dämonen. Bei meiner ersten Begegnung mit Emily haben sie mir ein Riesenloch in den Brustkorb geschlagen.“
Sarah verzieht das Gesicht. „Aua.“
„Nur ganz kurz. Ich rede mal mit ihnen.“
Reden ist nicht, das merke ich ziemlich schnell. Sie haben sich kein bisschen geändert. Oder vielleicht doch, wenn sie sich von den Leichen ernähren. Möglich, dass sie völlig unkontrollierbar geworden sind.
Sie greifen mich sofort an. Zwar haben sie keine Äxte, aber die haifischartigen Zähne reichen schon, um böse Verletzungen zu verursachen. Ich trete einige von ihnen weg und stelle für mich fest, wie viel leichter ich heute mit ihnen fertig werde als vor drei Jahren. Dennoch ist das auf Dauer keine Lösung. Und da es mir schwerfällt, so was wie Mitleid mit Gopfs zu empfinden, setze ich die Feuerbälle ein, wie ich sie bei den Zauberern gesehen habe.
Als ich fertig bin, kommen meine Gefährten angerannt.
„Was war das denn?“, fragt Sarah entgeistert.
„Seit wann kannst du das auch?“, fragt Katharina.
„Irgendwann habe ich es einfach mal ausprobiert, weil ich dachte, wenn ich zaubern kann, dann müsste das ja auch funktionieren. Wie bei Nasnat und den anderen Zauberern.“
„Ich glaube, ich werde dich niemals ärgern“, stellt Sarah fest.
„Wir sollten das praktisch sehen“, erwidert Thomas. „Wir werden niemals rohes Fleisch essen müssen, solange Fiona bei uns ist.“
Ich starre ihn entgeistert an. Er hat schon einen sehr speziellen Humor.
Dann fällt mir Emily ein.
„Emily!“
Ihr Haus steht noch. Es ist zwar von außen beschädigt und in Dunkelheit gehüllt, aber es sieht nicht unbewohnbar aus.
„Das ist Emilys Haus?“, fragt Katharina. „Wohnt sie alleine darin?“
„Ja. Das heißt, sie hat auch diese unsichtbaren Diener wie du. Wie kommt man eigentlich an die?“
„Dargk hat sie auch“, bemerkt Sarah.
„Ich nicht. Also, wie kommt man an die?“
Währenddessen gehe ich auf die Tür zu. Vier Stufen führen davor auf einen Podest, der von dickem Staub bedeckt ist. Hier ist schon länger niemand hergegangen. Mein Herz verkrampft sich. Die Tür knarrt, als ich sie langsam aufdrücke. Im Haus ist es auch dunkel und dreckig.
„Es gibt einen besonderen Zauber, der sie erzeugt“, flüstert Katharina. „Hier sind noch einige von ihnen, und das ist ein gutes