Staatsmann im Sturm. Hanspeter Born. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hanspeter Born
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783907146866
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sei eine allzu verbreitete Meinung, dass die Haltung unserer Presse und öffentlichen Meinung keinen Einfluss auf die Sicherheit des Landes habe. «In dieser Illusion zu verharren könnte uns teuer zu stehen kommen.» Guisan teilt die von Masson beharrlich vertretene «Blutschuldthese».

      Im Anschluss an die Diskussion beschliesst der Bundesrat, dass die Abteilung Presse und Funkspruch bei der Armee bleibt. Aber:

      Der Bundesrat behält von sich aus oder auf Antrag eines seiner Mitglieder die Befugnis, sich mit einer bestimmten Angelegenheit zu befassen und selbst einen Entscheid zu treffen, wenn die Wichtigkeit des Falles vom diplomatischen Standpunkte aus oder mit Rücksicht auf die allgemeine Politik dies rechtfertigt.

      In seiner nächsten Sitzung behandelt der Bundesrat den ersten wichtigen Spionagefall seit Beginn des Kriegs. Im Januar ist der 65-jährige Journalist und Oberstbrigadier a.D. Dr. phil. Arthur Fonjallaz verhaftet worden. Die gerichtliche Voruntersuchung ergab, dass Fonjallaz ein Agentennetz aufgezogen und Nachrichten zum Nachteil von Frankreich und England an den deutschen Nachrichtendienst übermittelt hat. Bei Fonjallaz’ Verhaftung sind eine Menge von Aktenstücken konfisziert worden, darunter seine gesamte Korrespondenz mit dem Schweizer Nachrichtenchef Oberst Masson. Darunter befand sich ein Brief Massons vom 25. Oktober 1939, in dem dieser sein Interesse an einer von Fonjallaz geplanten Reise nach Süddeutschland und seinen dort gemachten Beobachtungen bekundete. Es ging Masson um «die Dichte der Truppen zwischen der Schweizer Grenze und München (wenn möglich Zusammensetzung und Identifizierung)», und mehr allgemein um den «materiellen und geistigen Zustand der Bevölkerung sowie die verschiedenen politischen Strömungen in Deutschland.»

      Als mögliche strafbare Handlung – «zum mindesten ein Versuch der Verletzung militärischer Geheimnisse» – sehen die Untersuchungsbehörden das Mitnehmen seiner Korrespondenz mit Masson nach Deutschland. Weiter heisst es im Sitzungsprotokoll des Bundesrats:

      Ein Ausspähen und Weitergeben militärischer Geheimnisse an das Ausland liegt darin, dass Fonjallaz über den im Dienste der Nachrichtensektion stehenden Hauptmann Hausamann, insbesondere über sein Verhältnis zum Exchange Telegraph Erhebungen durchführte und hierüber nach Deutschland berichtete oder dort anlässlich der durch seine Verhaftung unterbrochenen Reise berichten wollte.

      Pilet kennt seinen Waadtländer Landsmann Fonjallaz. Nach einer raschen militärischen Karriere trat dieser im Streit aus der Armee aus, dozierte dann an der ETH und machte unglückliche Geldgeschäfte. Ursprünglich Mitglied der Bauernpartei, gründete er in Rom die «Schweizerische Faschistische Bewegung» und lancierte die Volksinitiative gegen die Freimaurerei, für die im Nationalrat nur der Frontist Tobler und Gottlieb Duttweiler stimmten und die vom Volk wuchtig verworfen wurde. Pilet hat den faschistischen Oberst nie ernst genommen. Schon 1934 liess er gegenüber Feldmann die Bemerkung fallen, es sei kein Wunder, dass Fonjallaz in einer Irrenanstalt zur Welt gekommen sei, wo seine Mutter eingewiesen worden war. Nachdem die Spionageaffäre aufflog, bemerkte Pilet – wiederum zu Feldmann –, wenn Masson sich von Fonjallaz wirklich fahrlässig habe brauchen lassen, «sei er allerdings ein schlechter Nachrichtenchef».

      Propaganda – geistige Landesverteidigung – wird immer wichtiger. Mit Stolz und Wehmut erinnern Redner im Parlament an die grossartige «Landi», als sich ein einig Volk seiner Geschichte, seiner Bräuche, seiner Errungenschaften und Leistungen bewusst wurde. Wie können Geist und Mut hochgehalten werden, wenn die Eintönigkeit des Aktivdienstes, die Trennung der Väter und Söhne von den Lieben, die Störungen von Handel und Geschäftsleben die Stimmung trüben? Nach dem Willen des Bundesrats sollen patriotische Veranstaltungen und Vorführungen die Öffentlichkeit bei Laune halten.

      In der ersten Aprilwoche wird der mit Unterstützung des Militärdepartements gedrehte Film «Die Schweiz in Waffen» von Hauptmann Hans Hausamann, Fotounternehmer und Nachrichtenoffizier, vorgestellt. «Didaktisch und mit der unseren Confédérés lieben Genauigkeit und Gründlichkeit» – so leicht spöttisch die Gazette – wird darin unsere Armee von den Rekrutenschulen bis zu den Wiederholungskursen, von der Infanterie bis zur Luftwaffe vorgestellt. Der Film ist lang, nach «unverbesserlich welschem Geschmack» – goût de «Welche» impénitent – enthält er zu viele wortreiche Vorträge:

      Hier das Défilé einer Infanterieeinheit, Musik an der Spitze. An den Fenstern der benachbarten Schule drängen sich die Kinder, um die Soldaten zu beklatschen. Der Lehrer, ein Aktivdienstler, benützt die Gelegenheit, um an die berühmten Daten der helvetischen Geschichte zu erinnern und zu bestätigen, dass unsere militärische Vorbereitung es unserem Volk gestattet hat, «sein Recht auf Leben und Unabhängigkeit zu bewahren».

      Fraglich, ob der Film ein ähnlicher Renner wird wie das gleichzeitig in Lausanner Kinos laufende englische Rührstück Au revoir M. Chips oder die neuste Disney-Trickfilmsammlung La grande parade.

      Einen «Triumph!» (Gazette) hingegen feiert im Berner Kursaal Schänzli die Erstaufführung des dramatischen Singspiels La Gloire qui chante von Gonzague de Reynold, in dem anhand alter Soldatenlieder «in grossen Zügen die Geschichte der Schweiz und der Schweizer» auflebt. Die von Soldaten einer jurassischen Brigade aufgeführte Neufassung des Werks von 1920 «ist von einem ausserordentlichen Hauch beseelt, der einem im Laufe des Abends immer wieder die Tränen an den Rand der Augenlider treibt». Lang anhaltender Beifall der anwesenden Bundesräte Pilet, Etter, Minger, des Generals und der «höchsten militärischen, politischen, musikalischen und literarischen Persönlichkeiten bis zu den extra hergereisten ausländischen Journalisten». Zuvor konnten die Berner ein von einem berittenen Militärspiel angeführtes militärisches Défilé bestaunen. Begeisternder Applaus für General Guisan, hoch zu Ross.

      22. «Euse General»

      Für die geistige Landesverteidigung ist der populäre General wohl der wichtigste Trumpf. Er stattet den Kantonsregierungen der Reihe nach seinen Besuch ab, was immer ein Anlass zum Festen ist. Er inspiziert Truppenverbände, schaut den Soldaten mannvoll in die Augen, hört den Liedern der Schulklassen zu, grüsst artig die zu seinen Ehren aufgebotenen Trachtenmädchen, schüttelt Fussballgrössen und Skikanonen die Hand, lässt die ihm zuhauf geschickten Briefe mit persönlicher Unterschrift beantworten. Der General ist leutselig, spricht mit den Confédérés Schwyzerdütsch, das er beim Besuch militärischer Schulen gelernt hat. Das Portrait des Generals – herb-gütiges Charaktergesicht, manchmal stolz aufrecht im Sattel seines Gauls – hängt als modernes Heiligenbild in Wirts- und Wohnstuben. Die Mitglieder seines Persönlichen Stabs, mit denen er gemütlich das Mittagessen einnimmt, mit denen er singt und jasst, beten ihn an.

      Der Autor einer biographischen Studie wird schon bald einmal schwärmen:

      Aus tausenden von Bildern hat sich uns zu Stadt und Land sein edles Antlitz mit den ernsten und doch so gütigen Augen eingeprägt, und ganz besonders unsere Soldaten nennen seinen Namen heute schon mit Ehrfurcht und Liebe, die erkennen lässt, wie ganz und voll sie ihrem obersten Heerführer vertrauen, dessen feine Wesensart bei aller militärischer Zucht und nötigen Strenge stets die menschliche Achtung für den letzten Mann im Heer bewahrt, sein schweres Opfer in Rechnung stellt, so weit es immer geht, und nichts vom sturen Schlendrian, vom puren Leuteschlauchen hält…er ist in allen Gegenden einfach «öise General».

      Öise oder je nach Dialekt euse, üse, unsere, üise General.

      Am 14. Februar ist der General mit Madame Guisan bei Monsieur und Madame Pilet-Golaz am Scheuerrain zum déjeuner eingeladen gewesen. Bis um vier Uhr (!) seien die Guisans geblieben, schreibt Frau Pilet-Golaz dem im Waadtland seine Rekrutenschule absolvierenden 20-jährigen Sohn Jacques, der im Herbst zuvor am Literargymnasium Kirchenfeld die Matura bestanden hat. Was sich der Bundespräsident und der General beim vin vaudois – zweifellos mindestens einer guten Flasche aus Madames eigenem Weingut – einander zu sagen hatten, wissen nur die beiden. Aber die anfängliche Harmonie zwischen den zwei Waadtländern scheint bereits gestört.

      Pilet schätzt nicht, dass Guisan Dinge tut, die im politischen Bereich liegen, und den Bundesrat oft nicht oder spät informiert. Am 19. Februar soll Pilet zu Markus Feldmann folgende Bemerkung gemacht haben:

      «Der