«Was ist passiert?», fragte ich erneut.
Man teilte mir mit, ich hätte einen schweren Autounfall gehabt. Ich versuchte zu realisieren, was passiert ist, doch die Menschen machten mich nervös. Es kamen immer mehr Leute in den Raum, in dem ich mich befand.
«Aufstehen und ausziehen», wies man mich an.
Ich erhob mich langsam. Mein Gesicht schmerzte, das Piepsgeräusch im Ohr störte und mein Arm schien schwer. Ich sah Blut auf der Haut meines Arms und entdeckte einen grossen blauen Fleck auf meinem Unterarm. Ich schaute geradeaus und sah mich umzingelt von vielen Menschen. Zehn würde ich heute im Nachhinein schätzen, davon einige in Weiss und einige in normaler Kleidung. Ich zog mich vor den Leuten aus, wobei ich akribisch beobachtet wurde. Man schmiss mir eine Unterhose, eine Trainerhose und ein weisses T-Shirt hin.
«Anziehen!», wurde ich angewiesen, was ich umgehend tat.
«Umdrehen!», war die nächste Anweisung, die ich befolgte.
«Arme nach hinten!», ich folgte.
Ein metallenes Geräusch erklang und meine Hände waren am Rücken fixiert.
«Sie sind verhaftet», sagte ein Mann in Begleitung eines anderen Herrn.
«Ich bin was? Weshalb? Was ist passiert?»
Meine Fragen blieben unbeantwortet, und ich wurde von den beiden Männern durch einen Gang geführt. Sie erklärten mir, dass sie Polizisten seien und dass ich verhaftet sei. Ich könne über das Geschehene sprechen, doch könne dies vor Gericht gegen mich verwendet werden. Mein Herz pochte, meine Gedanken rotierten, mein Körper schmerzte und die Angst eroberte meinen Körper. Ich versuchte mich zu erinnern. Die Erinnerungen kamen langsam. Ich erinnerte mich an meine Nacht an der Langstrasse in Zürich, an die Auseinandersetzung mit einer Prostituierten. Es ging um Geld. Ich erinnerte mich, ins Auto gestiegen zu sein und wie ich abfuhr, wie ich telefonieren wollte, aber was war danach? Ich erinnerte mich an die defekte Frontscheibe. Nun hiess es: «Einsteigen!», wodurch ich beim Erinnern gestoppt wurde. Die beiden Zivilpolizisten wiesen mich an, auf dem Hintersitz eines Kombis, einem zivilen Polizeiauto Platz zu nehmen. Ich gehorchte. Die Türe schloss sich und die beiden Männer fuhren mit mir los. Ich studierte kurz die beiden Zivilpolizisten. Der Jüngere war schlank und sportlich. Er wirkte streng und sehr unter Druck. Der Ältere war etwas korpulenter. Er schien der Nettere und der Erfahrenere zu sein. Ein Blick auf meine Füsse. Sie waren nackt. Vom Weg zum Auto durchnässt und durch den Boden aufgekratzt. Ich sah zum Fenster hinaus. Es war Tag. Es schneite stark und die Kälte überkam meinen Körper.
«Kann ich Schuhe haben?», fragte ich nach, aber angeblich waren nirgends welche vorhanden.
Der ältere Polizist schaltete das Radio ein. Der Jüngere schaltete es sofort wieder aus.
«Besser nicht – wegen den Nachrichten», begründete er dem anderen seine Handlung.
Warum sagte er das? Das beschäftigte mich nun zusätzlich, nebst der Frage was passiert war. Das Fahrzeug kam zum Stillstand und ich wurde aus dem Wagen geholt. Die beiden Polizisten führten mich zu einem grossen Gebäude. Der Weg war mit Kieselsteinen und Schnee bedeckt. Jeder Schritt tat mir weh, die Schnitte an meinen Füssen wurden grösser. Im Gebäude eingetreten, stiegen wir eine Treppe hinauf, wo uns eine blonde Ärztin entgegenkam.
«Werde ich untersucht?», fragte ich nach.
Der Schlankere der beiden Zivilpolizisten schien genervt, sein Blick war passiv, dann erwiderte der ältere festere:
«Ja auf Spuren.»
«Ausziehen!», wurde mir erneut befohlen.
«Vor ihnen und der Frau?», hakte ich verwirrt nach.
Es folgte ein strenges «Ja!», worauf ich gehorchte.
Da stand ich nun nackt vor den zwei Polizisten. Die Ärztin kam mit Wattebäuschchen in der Hand auf mich zu und fing an meinen Körper damit abzustreichen. Sie griff zu einem Protokoll und begann meinen Körper zu dokumentieren. Sie hielt sämtliches an meinem Körper anschliessend mit Fotos fest. Ein Handy summte. Der schmale Polizist schien eine SMS zu erhalten. Es schien keine gute Nachricht zu sein, denn sein Blick war lesbar. Er schüttelte seinen Kopf und stupste seinen Kollegen.
«Schau dir das an», raunte er.
Danach folgte ein strenger Blick zu mir. Ein erneutes Kopfschütteln folgte. Der Ältere versuchte seinen Kollegen zu beruhigen. Die Prozedur schien ein Ende zu nehmen und man bedeutete mir, mich wieder anzukleiden. Ich erkundigte mich erneut nach Schuhen, allerdings vergebens. Man legte mir die Handschellen wieder an und steckte meine Füsse in zwei Plastiksäckchen, was wohl der Schuhersatz zu sein schien. Wir verliessen das Gebäude und kamen wieder zum zivilen Streifenwagen. Ich nahm erneut Platz. Meine Füsse schmerzten. Durch die Plastiksäcke, in denen sich nun Wasser und Schnee sammelten, war mir noch kälter als zuvor. Der Wagen kam in Gang und die Polizisten waren still.
«Kann ich ihnen erzählen was passiert ist?», fragte ich.
«Wenn Sie wollen», antwortete der Polizist.
Ich erwähnte eine Auseinandersetzung mit einer Prostituierten, wie ich danach wegfahren wollte, es schwarz wurde und ich als nächstes eine zertrümmerte Frontscheibe vor Augen hatte. Ich solle nicht zu viel reden, wies man mich an und ich stellte mein Reden ein. Wir kamen auf ein Areal gefahren. Der Wagen hielt vor einem riesigen Gebäude. Ich wurde in einen Raum geführt wo man mir Fingerabdrücke abnahm und meine Daten festhielt. Es folgte eine kurze polizeiliche Befragung. Kurz darauf landete ich in einer kleinen Zelle, wo mir der ältere Polizist ein Sandwich, etwas zu Trinken und Turnschuhe brachte. Ich zog mir die Schuhe an und ass mein Sandwich. Beim Kauen tat mir alles weh, doch ich hatte Hunger. Meine Gedanken rotierten. Was ist passiert? Was geschieht nun? Wie geht es weiter? Nach einer halben Stunde, die mir wie eine Ewigkeit erschien, wurde ich abgeholt und erneut in eine Zelle gebracht, eine noch kleinere als die zuvor. Vor der Zelle war ein riesiges Büro mit vielen Computern und Menschen. Als ich mit den Polizisten da durch ging, waren sämtliche Blicke auf mich gerichtet. Es schien die Polizeiwache zu sein. Man fragte mich, ob ich einen Anwalt wünsche, was ich bejahte. Ich nannte den Namen eines mir bekannten Anwalts, worauf man mir nach kurzem mitteilte, dass dieser in Urlaub sei und man mir daher einen anderen bestellt hätte. Da sass ich nun in der kleinen Zelle. Alles tat mir weh und die Angst liess mein Herz seit Stunden nicht ruhig schlagen. Wofür brauche ich ein Anwalt? Was ist geschehen? Ich will zu meiner Familie. All diese Fragen besetzten meinen Kopf. Tränen schossen über meine Wangen und ich begann zu weinen. Ich versuchte mich zu beruhigen jedoch vergebens. Die Zeit schien still zu stehen. Nach einer Ewigkeit öffnete sich die Tür.
«Ihr Anwalt ist hier», teilte mir eine Stimme mit und ein Mann im Anzug betrat den kleinen Raum, worauf sich die Türe wieder schloss.
«Mein Name ist Marcus Saxe, ich wurde ihnen als Pflichtverteidiger zugewiesen», erklärte der Fremde, gab mir die Hand und streckte mir anschliessend die Tageszeitung 20 Minuten, mit der Titelseite gegen mich gerichtet, vor mein Gesicht.
Amokfahrer an der Langstrasse, so in ungefähr nahm ich die Zeile von der Titelseite beiläufig auf.
«Ich möchte nichts zu lesen danke», erwiderte ich und wischte mir die Tränen aus den Augen.
Es ginge nicht darum, mir etwas zum Lesen zu geben, sondern es würde hierbei um mich gehen, um meinen Fall, erklärte der Anwalt.
«Sie haben einen Menschen getötet und andere Personen schwer verletzt, ihnen steht nun einiges bevor.»
Mein Atem stand für einen Moment still, sogar die Schmerzen schienen kurz inne zu halten. Einzig meine Augen füllten