Der Würfel. Bijan Moini. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Bijan Moini
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783037921340
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das nicht lesen?«

      »Nein, ist zensiert. Meine SmEyes zeigen nur leeres Papier.«

      »Zensiert?« Dalia sah ihn irritiert an und las vor: »Kubismus macht krank.«

      »Nicht belegbar, deshalb zensiert«, murmelte Taso.

      »Kennst du diese Leute?«

      »Nein. Ist nicht so mein Ding, anderen Menschen ins Gewissen zu reden. Komm, lass uns reingehen, sonst bemerken die uns noch.«

      Sie wandten sich zum Cubecenter.

      »Hey!«, rief einer der Demonstranten. »Wartet mal!«

      Mit einem Gefühl, als stieße er sie in einen Abgrund, schob Taso Dalia in die Eingangshalle.

      Hinter dem Tresen in der Mitte der Halle saßen eine junge attraktive Frau und ein etwas älterer Mann. Als sich Taso und Dalia näherten, erhoben sie sich lächelnd. Taso lief ein Schauer über den Rücken, obwohl die Raumtemperatur sehr angenehm war.

      »Willkommen! Ich bin Leslie«, stellte sich die Frau mit piepsiger Stimme vor. Sie war Taso auf Anhieb unsympathisch. »Lasst mich raten: Ihr seid deinetwegen hier!« Leslie überschlug sich fast vor Begeisterung. Sie ging leichtfüßig um den Tresen herum, trat auf Dalia zu und berührte sie sanft am Arm. Dalia zuckte zurück. »Du kommst aus Humaning, richtig?« Dalia nickte und sah sie überrascht an. Leslie lachte. »Wusste ich’s doch! Oder vielmehr der Würfel.« Sie zwinkerte Dalia zu. »Jedenfalls bist du neu in der Stadt und noch nicht registriert.« Sie blickte zu Taso. »Danke, dass du sie hergebracht hast, deine Freundin ist bei mir gut aufgehoben.«

      »Das glaube ich gern«, beeilte sich Taso zu sagen. »Aber ich bleibe lieber hier.«

      Dalia nickte entschieden, woraufhin Leslie nur mit den Schultern zuckte und Taso fortan ignorierte. Er fühlte sich völlig fehl am Platz, aber er würde Dalia auf keinen Fall allein lassen.

      Leslie hakte sich bei ihr ein und führte sie in den hinteren Bereich der Halle. An Dalias steifer Haltung erkannte Taso, dass auch sie Leslie befremdlich fand.

      »Als Erstes bekommst du passende Smarts«, säuselte Leslie, während vor ihnen zwei Regale aus dem Boden stiegen, in denen unzählige Smartsbehälter lagen. »Weißt du, wie die funktionieren?«

      »Ich …«

      »Das ist gar kein Problem«, unterbrach Leslie sie, nahm einen Behälter aus dem Regal und erklärte ihr die Funktionsweise.

      Dalia hörte aufmerksam zu. »Und wie lange hält der Akku?«

      »Mindestens zwanzig Stunden. SmEyes laden sich aber auch durch Wimpernschläge und Sonnenlicht wieder auf. SmEars haben ohnehin einen größeren Akku. Warte mal …« Leslie ergriff Dalias Oberarme und fixierte ihre Augen. Dann drehte sie Dalia einmal nach links und einmal nach rechts, um die Ohren auszumessen. Kurz darauf leuchteten im Regal etwa ein Dutzend Smartsbehälter auf. »Die hier müssten dir alle passen.«

      Dalia zögerte. »Und was kosten die? Ich weiß nicht, ob ich …«

      »Kein Problem, diese drei Exemplare sind kostenlose Einsteigermodelle, alle würfelfinanziert. Sie unterscheiden sich kaum voneinander.«

      Taso überlegte, ob er erwähnen sollte, dass es bei früheren Modellen zu Hacks gekommen war, die Überfälle, Erschießungen und andere Dinge simulierten, verkniff es sich dann aber doch.

      »Die hier drüben«, sprach Leslie weiter, »steigen von vorn nach hinten in Preis und Leistungsfähigkeit, vor allem was Zoomstufen und Lärmfilter angeht. Sie tragen sich auch etwas angenehmer, vor allem in den Augen, wobei Einsteiger die Unterschiede kaum bemerken. Aber du kannst sowieso jederzeit vorbeikommen und deine Smarts umtauschen.«

      Dalia sah Taso fragend an.

      »Ich habe so ein Standardding«, sagte er lustlos.

      »Dann nehme ich auch erst mal eins von denen.«

      Leslie nahm ein Set aus dem Regal und half Dalia dabei, erst die SmEyes, dann die SmEars einzusetzen. Dalia blinzelte einige Male, während ihre Smarts starteten. Dann sah sie sich fasziniert um, bis ihr Blick an Leslie hängen blieb. »Oh, wow, du siehst ja ganz anders aus!« Leslie lachte verlegen und wollte ihr erklären, was Sliftings waren, aber Dalia wusste schon Bescheid. Sie drehte sich zu Taso und lachte. »Du siehst genauso aus wie vorher.«

      Taso lächelte innerlich. Er hatte sich nur ein einziges Mal gesliftet. Es war an einem Abend gewesen, an dem er sich besonders einsam gefühlt hatte. Er hatte unbedingt ausgehen wollen, sich aber den falschen Club ausgesucht. »Keine Offliner«, hatte der Türsteher gesagt und ihm den Weg versperrt. Taso hatte nicht lockergelassen, bis der Türsteher schließlich gemeint hatte, er solle sich wenigstens sliften. Hinterher hatte Taso nicht sagen können, was erniedrigender gewesen war: an der Tür abgewiesen oder mit falschen Muskeln und einer absurden Haartolle hineingelassen worden zu sein.

      »Wenn du Lust hast, können wir dich später zusammen sliften!«, sagte Leslie aufgeregt zu Dalia. »Entweder man macht es selbst, oder man sucht sich einen Stil aus und lässt sich überraschen. Die ersten drei Tage sind bei den meisten Anbietern umsonst.«

      Dalia machte eine abwehrende Handbewegung. »Vielleicht ein andermal, danke.«

      »Na gut.« Leslie klatschte in die Hände. »Als Nächstes müssen wir dich registrieren, denn ohne Registrierung kein Bankkonto und ohne Bankkonto kein Grundeinkommen.«

      Leslie wollte sich wieder bei ihr einhaken, aber Dalia wandte sich im selben Moment mit einer scheinbar zufälligen Drehung ab. Leslie lief voraus zu einem sich aus dem Boden schraubenden Terminal. Tasos Hand schnellte reflexartig nach vorn und hielt Dalia zurück. Er hatte eigentlich nichts sagen wollen, aber nun konnte er nicht anders: »Danach«, er nickte in Richtung Terminal, »bist du endgültig drinnen. Bist du dir wirklich sicher, dass du das willst?«

      Dalia ergriff seine Hand und sagte bestimmt: »Ja.« Sie drehte sich um und zog ihn mit sich. Von dem Gefühl seiner Hand in ihrer betäubt, folgte er ihr. Sie lösten den Griff nur langsam.

      Leslie wartete lächelnd neben dem Terminal. »Achtung, das ziept jetzt ein bisschen …« Sie riss Dalia mit einer flinken Bewegung einige Haare vom Hinterkopf. Dalia schrie auf, fasste sich an die versehrte Stelle und beobachtete Leslie verärgert dabei, wie sie die Haare ungerührt in eine kleine Öffnung des Terminals saugen ließ.

      Taso kratzte sich unwillkürlich am Hinterkopf.

      »Stell dich bitte hierhin, leg die Hände auf das Display und folge den Anweisungen deiner Smarts«, sagte Leslie.

      Dalia trat an das Terminal und tat, wie ihr geheißen. Sie nannte Name und Geburtsdatum, kurz darauf vermeldete das Display: DNA verifiziert, Ident zugewiesen.

      Leslie klatschte wieder. »Wunderbar!«

      »Meine Smarts fragen, ob ich ein Konto bei der EZB einrichten möchte.«

      »Ja, möchtest du«, antwortete Leslie.

      Auch Taso nickte – und verdrängte das Gefühl, gerade dem Initiationsritual eines verrückten Kults beizuwohnen.

      »Ja!«, sagte Dalia viel zu laut. Und kurz darauf: »Oh, das ging schnell. Und ich habe sogar schon 1.500 Euro drauf!«

      »Dein Grundeinkommen für April«, erklärte Leslie. »Je höher in Zukunft dein Pred-Score«, Leslie hob beim letzten Wort fragend die Stimme, aber Dalia signalisierte ihr Verständnis, »desto mehr kannst du dir dazuverdienen.«

      »Warum?«, fragte Dalia.

      »Wie, warum?«

      »Warum bekommt nicht jeder gleich viel?«

      »Daten sind Geld wert, denn je berechenbarer wir sind, desto effizienter die Wirtschaft. Deshalb belohnt der Würfel Berechenbarkeit.«

      »Und wer zahlt Geld für die Daten?«

      Leslie zögerte und antwortete dann mit starrem Blick: »Der Würfel hat ein Datenmonopol. Das heißt, alle in kubistischen Staaten generierten