Teeträume. Anna Martin. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Anna Martin
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958235199
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aufräumte, zog ich den Papierschnipsel aus meiner Brieftasche und befestigte ihn mit einem Magneten, der wie eine Tomate geformt war, an meinem Kühlschrank. Lange Minuten starrte ich ihn an und fragte mich, was zur Hölle ich damit anstellen sollte.

      ***

      Ich schloss die Augen und wählte blind seine Nummer, wobei ich mir von den Pieptönen sagen ließ, dass ich die richtigen Zahlen drückte. Ich biss die Zähne zusammen, als es klingelte. Mir war speiübel.

      Ich räusperte mich. »Hallo, ähm, Chris? Hier spricht Robert.«

      »Hm. Robert. Robert, Robert… oh! Gerard Butler.«

      Das hier war eine schlechte Idee. »Ja.«

      »Hey! Ich hab gehofft, dass du anrufst.«

      »Oh. Nun, das habe ich. Wie geht es dir?«

      »Gut, Mann, alles bestens.« Ein Geräusch, als würde er irgendetwas durchsuchen, drang durch den Hörer. Es klang, als läge er noch im Bett. Es war fast zwei Uhr am Nachmittag! Ich rief in meiner Mittagspause an!

      »Was machst du gerade?«

      »Ich habe gerade Mittagspause.«

      »Cool. Willst du dich später auf ein Bier treffen?«

      Mein Herz machte einen Satz. »Ja. Ja, das klingt gut.«

      »Super. Tja, ich hab ja jetzt deine Nummer. Ich schreib dir später, wenn ich losgehe.«

      »Okay. Dann sehen wir uns später, Chris.«

      »Jep. Bis später.«

      Dann legte er auf. Einen langen Moment starrte ich mein Telefon vollkommen schockiert an. Ich hatte eine Verabredung. An einem Dienstagabend. Ich klappte meinen Laptop zu und rannte über den Campus, um Adam zu finden.

      ***

      Nach meiner letzten Vorlesung des Tages blieb keine Zeit mehr, ins Apartment zurückzukehren und mich umzuziehen, sodass ich gezwungen war, im Anzug auszugehen (Obwohl ich meine Krawatte gelöst und zusammen mit meinem Jackett im Wagen liegen gelassen hatte. Es war der Versuch, leger auszusehen, bei dem ich, wie ich fürchtete, kläglich scheiterte).

      Ich hatte eine SMS von Chris erhalten, dass er zu einem Coffeeshop gegangen war; ich war erleichtert, dass es nach unserem letzten Zusammentreffen nicht wieder eine Bar war. Ich parkte nur ein paar Häuser weiter und wischte zwanghaft meine Hände ein paar Mal an meinen Oberschenkeln ab, in dem Versuch, die Bedenken zu zerstreuen, die an meinem Magen nagten. Ich hatte keine Verabredung mehr gehabt seit… viel zu lange.

      Sobald ich durch die Tür trat, stand Chris auf und winkte mich zu sich.

      »Ich hab schon gedacht, du würdest mich sitzenlassen«, sagte er neckend.

      »Oh, nein, so etwas würde ich nie tun«, sagte ich. »Ich wurde im Büro aufgehalten. Es tut mir leid.«

      »Kein Problem«, sagte er und schenkte mir sein jungenhaftes Grinsen, ehe er sich zurück in den tiefen Ledersessel sinken ließ.

      Ich holte ihm eine zweite Tasse Kaffee und mir einen entkoffeinierten, in dem Bemühen, meine Nerven zu beruhigen. Die heiße Flüssigkeit verbrühte meine Zunge, als ich von ihr trank, und zwang mich dazu, mein schmerzverzogenes Gesicht zu verbergen.

      »Wo arbeitest du?«, fragte Chris, als ich mich in meinem Sessel zurücklehnte. Sorgsam stellte ich meine Tasse auf die Untertasse zurück.

      »Ich bin Professor an der Universität.«

      »Oh, echt?« Er klang interessiert. »Was unterrichtest du?«

      »Kolonialliteratur mit dem Schwerpunkt auf Kipling. Sag mir bitte, dass du kein Student bist.«

      Chris lachte gelassen. »Ich bin kein Student, Rob.«

      »Robert«, korrigierte ich automatisch, ehe ich zusammenzuckte. »Entschuldige.«

      »Ich hatte einen Onkel, der Robert hieß«, sagte Chris und winkte meine Entschuldigung einfach beiseite. »Er war pervers und ein Alkoholiker. Rob klingt… jünger.«

      »Für gewöhnlich erlaube ich nicht, dass man mich bei diesem Spitznamen nennt.«

      »Ist mir aufgefallen.«

      »Ich denke, für dich könnte ich eine Ausnahme machen.«

      Mir wurde ein weiteres Lächeln geschenkt. Das Zugeständnis an meinen Namen war nichts im Vergleich dazu, dieses Lächeln noch einmal zu sehen.

      »Und du?«, fragte ich und nippte an dem immer noch kochend heißen Kaffee. »Was machst du?«

      »Ich bin Percussionist«, sagte er.

      »Ein Schlagzeuger?«

      Chris runzelte die Stirn, verdrehte die Augen und warf die Hände in die Luft. »Nein, kein Schlagzeuger, ein Percussionist.«

      »Tut mir leid«, entschuldigte ich mich.

      »Schon okay. Na ja, um ehrlich zu sein, ich besitze tatsächlich ein Schlagzeug. Aber ich arbeite außerdem auch frei für Philharmonien und Sinfonieorchester und den ganzen Kram.«

      »Wow«, sagte ich beeindruckt. »Wie lange machst du das schon?«

      »Trommeln? Seit ich acht bin. Das ganze andere habe ich angefangen, als mir bewusst wurde, wie viel Geld man verdienen kann, wenn man das anspruchsvolle Zeug auch mitmacht. Ich bin in einer Band«, fügte er prahlend hinzu, aber es passte zu ihm. »Jep. Deshalb sind wir hier gelandet. Wir sind seit anderthalb Jahren auf Tour.«

      »Woher kommst du?«

      »Ursprünglich aus Florida«, antwortete er und beugte sich vor, um seinen Becher vom Tisch zu nehmen. Das dünne, weiße T-Shirt, das er trug, spannte sich dabei straff über seinen Rücken. »Als Kind bin ich ziemlich oft umgezogen und schließlich nach Tallahassee gekommen, wo ich die anderen kennengelernt hab. Ein paar Monate lang haben wir im Süden gespielt und dann beschlossen, auszuziehen.«

      »Wo bist du schon gewesen?«, fragte ich. »Entschuldige – ich wollte dich nicht mit Fragen bombardieren, es interessiert mich nur.«

      »Ach, schon okay«, sagte er und lächelte wieder. »Ich bin ein arroganter, kleiner Bastard, ich mag es, über mich zu sprechen. Auf dem Weg hierher haben wir in den meisten Großstädten an der Ostküste Halt gemacht. Atlanta, D.C., Baltimore, New York… dann Boston, und hier bin ich nun.«

      »Boston ist nicht annähernd so eindrucksvoll wie die Städte, in denen du zuvor gewesen bist«, sagte ich in dem Versuch, die Frage nicht wie eine Frage klingen zu lassen.

      »Ach, John ist sentimental«, sagte Chris. »Unser Mann für die Streichinstrumente. Er ist hier aufgewachsen und wollte vorbeischauen, ein paar Gigs machen und sich mit Leuten treffen, die er kennt. Wir werden noch ein paar Monate hierbleiben.«

      »Klingt gut.«

      »Kann ich dich etwas fragen?«, wollte Chris wissen und ich nickte. »Wie alt bist du?«

      »Zweiunddreißig«, antwortete ich.

      »Oh. Nicht schlecht.«

      »Du wirst mich ins Grab bringen, wenn du sagst, dass du dachtest, ich wäre älter.« Ich spürte eine verräterische Röte an meinem Hals hinaufkriechen.

      »Nein, das ist es nicht«, log er. »Es ist nur… du bist ziemlich süß, Rob, weißt du das?«

      »Nein, bin ich nicht«, murmelte ich und errötete noch mehr.

      »Na, vielleicht brauchst du einfach jemanden, der dir das öfter sagt.«

      Ich nickte und spielte an meiner Kaffeetasse herum. »Warum?«, platzte es aus mir heraus.

      »Warum was?«

      Noch mehr Röte. »Warum ich?«

      Er lachte – nicht über mich, es klang nicht bösartig, aber beinahe so, als würde er meine Naivität verspotten. »Du bist