Th. M. Dostojewsky: Eine biographische Studie. Nina Hoffmann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Nina Hoffmann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 4064066112783
Скачать книгу
ausser in einem rein wissenschaftlichen Sinne.

      Ich weiss, dass Petraschewsky das System Fouriers schätzt; als Fourierist kann er natürlich nichts anderes wünschen, als dass man mit ihm sympathisiere. Aber man hat mich gefragt, ob er Proselyten mache. Zieht er nicht Lehrer verschiedener Unterrichtsanstalten an sich in der Absicht, nachdem er sie bekehrt, durch sie die Verbreitung der Fourierschen Lehre in der Jugend zu bewirken? Ich erwidere: ich kann unbedingt nichts über diese Sache sagen, weil ich keine genügenden Daten habe und die Geheimnisse Petraschewskys durchaus nicht kenne. Man hat mir gesagt, dass unter Petraschewskys Freunden ein gewisser Lehrer Toll sich befinde. Allein Toll ist mir vollkommen unbekannt, und dass er ein Lehrer sei, habe ich erst kürzlich erfahren. Was aber Jastrzembski anbelangt, so habe ich erst erfahren, dass er Lehrer ist, als er über politische Ökonomie sprach. Sonst kenne ich keinen Lehrer. Da ich nicht nur in keinerlei nahen, sondern in sehr lockeren Beziehungen zu Toll stehe, so kenne ich weder die Geschichte seiner Bekanntschaft mit Petraschewsky noch den Zeitpunkt, wann sie einander kennen lernten, noch die Beziehungen, in welchen sie zu einander standen; mit einem Worte, es war mir ganz uninteressant, das zu wissen. Was nun Jastrzembski anbelangt, so habe ich keine Gelegenheit gehabt, die Art seiner ökonomischen Ideen kennen zu lernen, da ich nur zweimal in der Lage war, ihn zu hören. Er ist, so viel mir scheint, ein Ökonomist der neuesten Schule und lässt den Socialismus soweit zu, als dies die strengsten Professoren thun. Denn der Socialismus seinerseits hat durch seine kritischen Ausarbeitungen und den statistischen Teil seiner Arbeit viel wissenschaftlich Nützliches geleistet. Mit einem Worte, ich nehme an, dass Jastrzembski weit davon entfernt ist, ein Fourierist zu sein, und dass er von Petraschewsky nichts zu lernen hat. Ich muss aber bemerken, dass ich Jastrzembski als Menschen gar nicht kenne, dass ich niemals ein Gespräch mit ihm angeknüpft habe, und es scheint, dass auch er sich in der gleichen Beziehung zu mir befunden hat. Ein vollkommenes Bild seiner Ideen habe ich nicht, ebenso wie er keines von den meinen hat. Also kann ich über Petraschewsky als Verbreiter einer Lehre nur nach Mutmassungen und Vorstellungen urteilen.

      Aber nach Mutmassungen kann ich nichts sagen. Ich weiss, dass meine Aussage nicht als eine endgiltige, grundlegende angenommen wird; immerhin wird sie eine Aussage bleiben. Wie nun, wenn ich mich irre? Der Irrtum wird schwer auf meinem Gewissen lasten. Man hat mir eine Handschrift gezeigt, von deren Vorhandensein ich früher nichts wusste. Ich habe einen Satz dieser Handschrift gelesen. In diesem Satze ist der heisse Wunsch ausgesprochen, dass das System Fouriers so schnell als möglich siegen möge. Wenn die ganze Handschrift in diesem Sinne geschrieben ist, wenn Petraschewsky sie als die seine anerkannt hat, so hat er natürlich die Verbreitung des Fourierschen Systems gewünscht. Ob er jedoch thatsächlich irgend welche Massnahmen dazu getroffen hat, ist mir bis zum heutigen Tage unbekannt. Mir sind seine Geheimnisse unbekannt. Ich denke, dass man mir endlich Glauben schenken kann. Niemand wird aussagen können, dass ich jemals mit Petraschewsky in sehr nahen Beziehungen gestanden hätte. Ich kam an Freitagen als Bekannter zu ihm, doch nicht mehr. Ich kenne keinen seiner Pläne und habe zum ersten Male diese Handschrift gesehen, deren Inhalt ich ausser einem Satze durchaus nicht kenne. Und so vermag ich nichts darüber zu sagen, ob er irgend etwas gethan, ob er Massnahmen getroffen habe. Allein man möge mir erlauben, einige meiner eigenen Gedanken darzulegen, welche meine tiefsten Überzeugungen ausmachen, über welche ich lange nachgesonnen habe, welche mir früher ebenso erschienen sind wie jetzt, und infolge welcher endlich ich bei der ersten Frage über die Strafbarkeit Petraschewskys keine endgiltige Antwort geben konnte. Ich begriff, wie wichtig in den Augen der Richter Petraschewskys solche Beweise sein müssen, wie Bücher, Handschriften und Reden, welche abrissweise niedergeschrieben worden sind. Da man mich aber über ihn befragt, so möge man mir erlauben, meine Ansichten über seine ganze Angelegenheit hier auszusprechen.

      Petraschewsky glaubt an Fourier. Das System Fouriers ist ein friedliches; es bezaubert die Seele durch seine Schönheit, es bestrickt das Herz durch jene Menschenliebe, welche Fourier beseelte, als er sein System schuf, versetzt den Geist in Erstaunen durch seine Harmonie und zieht nicht durch bittere Ausfälle an sich, sondern beseelt jeden mit der Liebe zur Menschheit. In diesem System gibt es keinen Hass. Politische Reformen setzt sich Fourier nicht vor. Seine Reform ist eine ökonomische. Sie greift weder die Obrigkeit noch den Besitz an, und in einer der letzten Sitzungen der Kammer hat Victor Considérant, der Repräsentant der Fourieristen, feierlich jeden Angriff auf die Familie abgelehnt. Endlich ist dieses System ein theoretisches und wird niemals populär werden.

      Die Fourieristen sind während der ganzen Zeit der Februar-Revolution nicht ein einziges Mal auf die Gasse herabgestiegen, sie sind in der Redaktion ihres Journals geblieben, wo sie ihre Zeit schon mehr als 20 Jahre mit Träumen von der zukünftigen Schönheit der Phalanstère zubringen. Allein dieses System ist zweifellos schädlich, erstens schon darum allein, weil es ein System ist; zweitens, wie schön es auch sei, bleibt es immer eine wesenlose Utopie, aber der Schaden, den diese Utopie anrichtet, ist, wenn man mir erlaubt, mich so auszudrücken, eher komisch als schreckenerregend. Es gibt kein sociales System, das in einem so hohen Grade unpopulär, das so belacht und ausgepfiffen worden wäre, wie das System Fouriers im Westen. Es ist schon lange tot, und seine Führer bemerken selbst nicht, dass sie nichts mehr sind als lebendig Tote. Im Westen, in Frankreich, ist in diesem Augenblicke jedes System, jede Theorie der Gesellschaft schädlich, denn die hungrigen Proletarier ergreifen in der Verzweiflung jedes Mittel, und aus jedem Mittel sind sie imstande, sich ein Panier zu machen. Man ist in diesem Augenblick dort beim Äussersten angelangt; dort treibt der Hunger die Leute auf die Gasse, den Fourierismus aber hat man aus Geringschätzung vergessen. Und sogar der Cabetismus, der das Unsinnigste auf der Welt ist, erweckt bedeutend mehr Sympathien. Was aber uns anbelangt, Russland, Petersburg, so braucht man nur zwanzig Schritte auf der Strasse zu machen, um sich zu überzeugen, dass der Fourierismus auf unserem Boden nur bestehen könnte: entweder in den unaufgeschnittenen Blättern eines Buches, oder in einer weichen, sanftmütigen, träumerischen Seele, aber nicht anders als in der Form einer Idylle, oder wie etwa ein Poem in vierundzwanzig Gesängen. Der Fourierismus kann keinen ernstlichen Schaden bringen. Erstens, wenn er auch ein ernstlicher Schaden wäre, so wäre seine Ausbreitung allein schon eine Utopie, denn sie würde sich bis zur Unglaublichkeit langsam vollziehen. Um das System Fouriers vollkommen zu begreifen, muss man es studieren; das aber ist eine ganze Wissenschaft: man muss etwa ein Dutzend Bände durchlesen. Kann denn ein solches System populär werden? Vom Katheder herunter durch die Lehrer? Das aber ist physisch unmöglich, schon wegen des Umfanges der Fourierschen Lehre. Aber ich wiederhole, ein ernstlicher Schaden kann nach meiner Meinung durch das System Fouriers nicht entstehen, und wenn ein Fourierist Schaden bringt, so thut er es höchstens sich selbst, in der öffentlichen Meinung, bei denen, welche gesunden Menschenverstand besitzen; denn für mich ist die höchste Komik — eine niemandem nützliche Thätigkeit. Der Fourierismus aber und mit ihm jedes System des Westens sind für unseren Boden so unbrauchbar, unseren Umständen so entgegen, dem Charakter unserer Nation so fremd, andererseits aber so sehr eine Geburt des Westens, so sehr ein Produkt des dortigen abendländischen Standes der Dinge, in welchem die proletarische Frage um jeden Preis entschieden wird, dass der Fourierismus mit seiner eindringlichen Unvermeidlichkeit jetzt bei uns, wo es kein Proletariat gibt, höchst lächerlich, seine Thätigkeit die allerunnützeste, in ihren Folgen die allerkomischeste wäre. Dies ist es, warum ich nach meiner Mutmassung Petraschewsky für gescheiter halte und ihm niemals ernstlich zugetraut hätte, weiter als bis zu einer theoretischen Schätzung des Fourierschen Systems gegangen zu sein. Alles übrige war ich thatsächlich bereit, für einen Scherz zu halten. Der Fourierist ist ein unglücklicher, kein strafbarer Mensch — das ist meine Meinung. Endlich hat meiner Ansicht nach auch nicht ein Paradoxon, so viele ihrer auch gewesen seien, sich von selbst, aus eigenen Kräften halten können; so lehrt uns die Geschichte. Ein Beweis davon ist, dass in Frankreich im Verlaufe eines Jahres fast alle Systeme fielen, und zwar durch sich selbst fielen, sowie die Sache nur an die geringste Bekräftigung herankam. Alles dieses zusammenfassend, muss ich sagen, dass ich, wenn ich auch wüsste (was ich nicht weiss, ich wiederhole es noch einmal), dass Petraschewsky, vor keinerlei Spott zurückschreckend, sich noch immer um die Verbreitung des Fourierschen Systems bemühe, mich dennoch davon zurückhalten würde, ihn für schädlich, der Gesellschaft Schrecken bringend, zu bezeichnen. Erstens, in welcher Weise könnte Petraschewsky als Verbreiter des Fourierismus schädlich sein? Das geht über meine Begriffe; lächerlich, aber nicht schädlich. Dies ist meine Meinung. Und dies ist, was ich nach meinem