.... „Wie traurig war es mir zu Mute, als ich nach Petersburg hineinfuhr ...... Wenn mein Leben in diesem Augenblicke abgerissen wäre, so wäre ich, scheint mir, mit Freuden gestorben .... Mein Diener hat sich zu Hause nicht gezeigt, der Hausmeister gab mir den verwaisten Schlüssel meines 600 Rubel-Quartiers, dessen Zins ich schuldig bin ... Gregorowitsch und Njekrássow sind nicht in Petersburg .... Sie werden kaum bis zum 15. September da sein ... Wie schade, dass man arbeiten muss, um zu leben. Meine Arbeit verträgt keinen Zwang ... Ich bin jetzt selbst der wahrhaftige Goljadkin, mit dem ich mich übrigens gleich morgen beschäftigen werde. Goljadkin, der abscheuliche Schuft, will durchaus nicht vorwärts, will durchaus vor der Hälfte November seine Carriere nicht vollenden“ ....
Am 16. November 1845 schreibt Dostojewsky: „Überall unglaubliche Ehrerbietung, überall eine schreckliche Neugierde in Bezug auf mich: Fürst Odojewsky bittet mich, ihn mit meinem Besuch zu beglücken, und Graf Sologub reisst sich in Verzweiflung die Haare aus; Panajew hat ihm gesagt, dass ein Talent da ist, welches sie alle in den Staub tritt“. Weiter schreibt er: „Dieser Tage war ich ohne einen Groschen; Njekrássow hat indessen „Zuboskala“, einen prächtigen humoristischen Almanach, ins Leben gerufen, dessen Vorrede ich geschrieben habe. Diese Vorrede hat Lärm gemacht ... Dieser Tage, als ich kein Geld hatte, ging ich zu Njekrássow, und als ich so bei ihm sass, kam mir die Idee eines Romans in neun Briefen. Nach Hause gekommen, schrieb ich diesen Roman in einer Nacht; er wird in der ersten Nummer der Zuboskala gedruckt werden. Du wirst schon selbst sehen, ob dies schlechter ist, als Gogol“. Weiter schreibt er: „Ich denke, ich werde Geld bekommen; Goljadkin wird vortrefflich — er wird mein chef d’oeuvre sein“. Als Nachschrift heisst es: „Belinsky schützt mich vor den Unternehmern“. Eine zweite Nachschrift lautet: „Ich habe meinen Brief überlesen und finde mich erstens ungrammatikalisch und zweitens einen Prahler“. Eine letzte Nachschrift sagt: „Die Minnuschkas, Claruschkas und Mariannen etc. sind unglaublich schöner geworden, kosten aber schrecklich viel Geld. Neulich waren Turgenjew und Belinsky da und haben mich über mein unordentliches Leben ausgescholten“. In einem Briefe vom 1. Februar 1846 teilt Dostojewsky seinem Bruder mit, dass er endlich am 28. des vorhergegangenen Monates „seinen Schuft Goljadkin“ vollendet habe. Dann weiter: „Für Goljadkin habe ich rund 600 Silberrubel bekommen; ausserdem erhielt ich noch einen Haufen Geld, so dass ich nach meinem Abschied von Dir schon 3000 ausgegeben habe. Ich lebe eben sehr unordentlich und das ist die ganze Geschichte. Ich bin ausgezogen und habe zwei sehr schön möblierte Zimmer bei Vermietern genommen. Ich lebe sehr gut“. (Folgt die Adresse, zufällig dasselbe Haus, in dem er starb.) Zum Schluss schreibt er: „Ich bin nervenkrank und fürchte ein Nervenfieber; regelmässig leben kann ich nicht, so sehr bin ich unordentlich“.
Zwei Monate später, am 1. April, schreibt er:
„In meinem Leben giebt es jeden Tag soviel Neues, so vieles, das für mich gut und angenehm ist, soviel Unangenehmes und Widerwärtiges auch, dass ich selbst nicht Zeit habe, darüber nachzudenken. Erstens bin ich sehr beschäftigt, Ideen eine Unzahl, und schreibe unaufhörlich. Denke nicht, ich sei auf Rosen gebettet, Unsinn. Erstens habe ich gerade 4500 Rubel verbraucht seit der Zeit, da wir uns trennten, und habe um 4000 Papierrubel von meiner Ware voraus verkauft; ... aber das ist nichts, mein Ruhm hat seinen Höhepunkt erreicht. Innerhalb zweier Monate wurde 35 mal in verschiedenen Werken von mir gesprochen ... aber was widrig und quälend ist, ist das: die Meinen, die Unsern, alle sind mit meinem Goljadkin unzufrieden. Der erste Eindruck war massloses Entzücken, Reden, Lärm, Auseinandersetzungen, dann Kritik: Alle, das heisst die Unsern und das ganze Publikum, haben gefunden, dass Goljadkin so langweilig und fade, so in die Länge gezogen ist, dass es unmöglich ist, ihn zu lesen.“ Weiter sagt er zu seinem eigenen Troste: „Alle sind zornig über diese Längen, und alle lesen es doch über Hals und Kopf und lesen es wieder über Hals und Kopf.“ Noch weiter sagt er: „Ich habe ein schreckliches Laster: eine unbegrenzte Eigenliebe und Ehrliebe ... mir ist jetzt Goljadkin widerwärtig; vieles darin ist in Hast und Ermüdung geschrieben. Die erste Hälfte ist besser als die letzte; auf glänzend geschriebene Seiten folgt ein abscheulicher Schund, dass es einem die Seele umdreht und man nicht weiter lesen will. Das ist es, was mir in der ersten Zeit zur Hölle wurde, und ich bin aus Kummer krank geworden.“
Man sieht aus diesen überschwänglichen Mitteilungen, wie sehr der erste Erfolg dem 24jährigen Dichter zu Kopf gestiegen war und seine Selbstkritik geschädigt hatte, da er den Roman in neun Briefen „eine Perle, nicht schlechter als Gogol“ und den Doppelgänger sein chef d’oeuvre nennt. Bald jedoch, und das wieder von aussen angestossen, fällt sein Selbstbewusstsein, da „Alle, alle, die Unsern, sowie das Publikum über den Doppelgänger losziehen.“
Es ist für den Dichter eben jetzt erst die Zeit der Nachahmung und des Suchens nach seinem Stil angebrochen, ein Herumtasten, das ihn einerseits auf die Wege Gogols und der Humoristen führte, denen er seiner Anlage nach sehr nahe stand, andererseits den Spuren Balzacs und George Sands nachgehen hiess, wozu ihn der überwuchernde Reichtum seiner ethischen Phantasie und namentlich die Lust an Scenen- und Situationenwechsel verführen mochte. Dieser Periode des Tastens entsprangen ausser dem Doppelgänger und dem Roman in neun Briefen sehr bemerkenswerte kleinere und grössere Erzählungen, auf die wir an ihrer Stelle im einzelnen zurückkommen werden. Ihre Hauptmerkmale sind: Eine unwiderstehliche Situationskomik, wie in der „Frau des Andern“, „Eine heikle Geschichte“, ferner ein kräftig satirischer Zug, wie in „Das Krokodil“, und eine unendliche Zartheit und ehrfürchtige Jugendlichkeit in der Zeichnung weiblicher Gestalten, wie in „Njetotschka Njezwanowa“ und „Helle Nächte“. Es ist sehr zu bedauern, dass es keine Gesamtausgabe von Dostojewskys Schöpfungen in deutscher Sprache giebt, welche sie in der Reihenfolge ihrer Entstehung und damit ein übersichtliches Bild der inneren und äusseren Entwickelung des Dichters brächte. Es würden daraus dem eindringenden Leser die zwei Phasen vor und nach Sibirien sofort erkennbar werden; es würde daraus erhellen, wie der Dichter allmählich sich wieder findet, auf die glänzendste Komik und die reichste Ausgestaltung der Fabel sehr oft, nicht nur aus Hast und Geldmangel, oder weil ihm der Humor ausgegangen wäre, verzichtet, und immer kräftiger, unentwegter auf das Ziel seiner Lebensaufgabe lossteuert, bis er zuletzt zum „Tagebuch eines Schriftstellers“ gelangt, das ihm ermöglicht, ganz subjektiv, ohne Umschweife und künstlerische Umwege, rein publizistisch „die Wahrheit“ zu verkünden. — „Denn“, sagt er immer wieder, „ein Journal ist eine grosse Sache“.
Wir haben diese Abschweifung für notwendig erachtet, weil mit dem Hinweis auf die einheitliche Grundidee seines ganzen Lebenswerkes, die sich so mächtig in seinen Arbeiten vor uns auslegt, ein Punkt gewonnen ist, von wo aus wir sowohl sein Leben, als seine Thätigkeit und sein Streben bis ans Ende klar überblicken können.
„Der Doppelgänger“ schildert den Zustand eines im Grunde mittelmässigen Menschen, welcher aus dem Unvermögen heraus, das wirklich darzustellen, zu thun, zu fordern, zu sein, was er darstellen, thun, sein und fordern will, wahnsinnig wird. Anfangs zwingt er sich zu allen jenen mutigen Lebensäusserungen, die seinem eigentlichen Wesen fehlen, da er sie aber an unrechtem Ort, zu unrechter Zeit und in unziemlicher Weise verübt, so ist Spott und Verachtung und niedrigste Entehrung sein Lohn, so dass er, nun in Wahnvorstellungen versunken, jenes andere Ich, das, er sein möchte, als Hallucination fortwährend an seiner Seite sieht, bis am Schluss sein Wahnsinn offenkundig und er in ein Irrenhaus gebracht wird. Nun wäre dieser Vorgang an sich verständlich und mit der feinen Dostojewskyschen Motivierung ergreifend, deutlich, wenn der Dichter hier nicht eine Gewaltsamkeit verübt hätte, welche die Einheit des Werkes und dadurch dessen Klarheit zerstört. Er stellt nämlich da, wo es zum Ausbruch der Katastrophe kommt, einen wirklichen, allen anderen sichtbaren Doppelgänger und zugleich Namensvetter des Herrn Goljadkin mitten in seine Karriere hinein, an Goljadkins Arbeitspult, unter Goljadkins Kollegen und Vorgesetzte und lässt in Wirklichkeit den Narren durch seinen klugen, streberhaften Doppelgänger verdrängen. Es ist, als ob der Dichter kein anderes Mittel