Dass Wiener ein mehr als fragwürdiges Verhältnis zum Tod haben, wird dem Besucher seiner Stätten spätestens an Allerheiligentagen bewusst. Sie sind dem Wiener heilig!
Und weil sie so heilig sind, wird schon vor ihren Toren von Zuckerwatte, Lebkuchenherzen und Glühwein alles angeboten, was zu einer schönen Leich eben gehört: Kerzen, Blumen und Kränze. Für die Kleinen gibt es Ringelspiele und Luftballons, für die großen Kinder ausgedehnte Wein- und Bierschenken. Befremdlich? Ganz im Gegenteil! In früheren Zeiten reihten sich neben Almosen Suchenden auch leichte Mädchen in das Menschengewühl, um die Trauernden bei Laune zu halten.
Ich liebe Friedhöfe. Schon als Studentin suchte ich die beschauliche Ruhe und konnte mich ungestört auf meine Prüfungen und Rigorosen vorbereiten. Meine Lieblingsgruft war das Grab von Josef Madersperger (Erfinder der Nähmaschine), dort ließ ich mich nieder und beobachtete neben mitgebrachtem Picknickkorb und Büchern in allen Farben glitzernde Pfaue, die erhobenen Hauptes an mir vorbeistolzierten. Geburtstage, Jausen, sogar Abschlussprüfungen wurden auf »meinem« Friedhof vornehmlich in der Nacht gefeiert. Mozart, Calafati (ein berühmter Schausteller des späteren Wiener Praters) und sonstige »berühmte Leichen« sahen mir und meinen mitgenommenen Freunden dabei gütig und still zu.
Meine etwas nekrophile Haltung fiel dem Pfarrer unseres kleinen Dorfes natürlich sofort auf, als ich mich nach unserem Umzug aufs Land nach passenden Friedhöfen zum Flanieren erkundigte. Dass ich mich eigentlich an diesen Orten nur von beruflichem und privatem Stress erholen wollte, war dem Geistlichen nicht zu erklären, Friedhöfe seien einzig und allein zum Beten und Trauern da. Essen, Rauchen und Reden seien strengstens verboten!
Er wollte mich natürlich vertreiben. Gut, aufs Reden und Essen konnte ich verzichten, nur aufs Rauchen nicht. So erklärte ich meinen Kindern – man konnte bei der Eigenvorsorge Tod nie zu früh anfangen –, dass ich wohl keinen Platz in dem kleinen lieblichen Dorffriedhof hätte.
»Du bist dem Pater wahrscheinlich zu fett!«, ätzte Ferdinand, die drei anderen nickten zustimmend.
»Das hat rein gar nichts mit der Körperfülle zu tun!«, antwortete ich ihm in sein freches Bubengesicht.
»Dann mit deinem Mundwerk! Er hat wahrscheinlich Angst, dass du sogar am Friedhof nicht still sein kannst.«
»Genau so ist es! Deswegen will ich auch verbrannt werden! Die Asche könnt ihr dann weit in den Wald streuen«, und zeigte ihnen ein wunderbares mit Moos bewachsenes Fleckchen Erde.
Nach einigen Tagen bekam ich einen erbosten Anruf unseres Herrn Pfarrers, eine Sauerei sei das, was ich meinen Kindern erzählt hätte. Ich würde ihre reinen kindlichen Seelen mit meinen modernen Ansichten verderben.
Constantin, noch jung und konfessionell vollkommen unbelastet, hatte mich falsch verstanden. Er hatte auf die Frage seines Religionslehrers – der auch unser Pfarrer war –, wie denn Allerheiligen zu Hause in den Familien gefeiert werden würde, meine Geschichte beschrieben.
»Meine Mama will sich, wenn sie einmal tot ist, nicht im Friedhof begraben lassen. Wir Kinder sollen sie zerlegen und den wilden Tieren im Wald verfüttern. Ich weiß auch schon die Stelle. Da werden sich die Viecher freuen, bei ihrem Gewicht!«
Einige Schüler hatten daraufhin zu weinen, die anderen zu erbrechen begonnen und der Pädagoge hatte einen absoluten Erklärungsnotstand. Keine Ausrede konnte ihn beschwichtigen und ihn von seiner Meinung abbringen, dass eben alles, was aus der Stadt käme, verderblich sei. Ich hatte es mir mit der wichtigsten Persönlichkeit im Ort verscherzt, ein Einlenken war unmöglich und ich wusste, er würde mir nach meinem Dahinscheiden einen Platz zuweisen, den man in früheren Zeiten nur Dirnen, Scharfrichtern und Selbstmördern zubilligte.
Eine Ruhestätte in ungeweihter Erde, in einem Massengrab vor dem Friedhof.
Auch nett, diese Leute waren mir ohnehin lieber.
Seit diesem Vorfall halte ich mich diskret mit meinen Ansichten zurück, ich will meine Kinder nicht in Schwierigkeiten bringen, obwohl ich noch viel verrücktere Dinge kenne.
Ein Freund von mir zum Beispiel hatte sich in einen alten Grabstein verliebt.
Nicht in den Verblichenen, nicht in seine Lebensgeschichte, nicht in die Trauernde, die am Grabe stand, einzig und allein der Grabstein hatte es ihm angetan.
Ein grauer Steinblock umfasste die Stelle des Hinterbliebenen und weil der Tote ein Bibliothekar und bekennender Liebhaber von Büchern war, zierte diesen Ort kein hölzernes oder wuchtiges Kreuz aus Eisen, sondern ein Granitblock in Form eines Buches. Auf der linken, aufgeschlagenen Seite stand der katholischen Tradition entsprechend Ego sum resurrectio et vita, auf der rechten Seite ein hebräischer Spruch, was seine Vermutung nährte, dass es sich hierbei um einen intellektuellen, jüdischen Bewohner gehandelt haben musste. Einen Menschen also, den man so leicht unter Lebenden nicht finden konnte.
Mein lieber Bekannter hatte sich mit dem Friedhofsver-walter besprochen und nach ein paar Flaschen Rotwein diesen davon überzeugt, dass er bei der Auflösung des Grabes, die im nächsten Jahr bevorstand, an ihn denken sollte. Er würde sich überaus großzügig zeigen. Was dieser auch tat.
Nun hatte Georg einen Grabstein im Auto, nur leider keinen passenden Ort, diesen auch entsprechend würdevoll aufstellen zu können, denn die Türen seiner Wohnung ließen das Hindurchtragen eines 80 × 140 Zentimeter großen Steinquaders nicht zu. Und weil Georg das Ding nicht jahrelang im Auto mitchauffieren konnte, kam er zur Erkenntnis, anderen gleichgesinnten Menschen damit eine Freude bereiten zu wollen.
Der siebzigste Geburtstag seines besten Freundes war angesagt, Georg war selbstverständlich dazu eingeladen, und da sein Freund ebenfalls zur Gattung aussterbender Intellektueller in Österreich gehört, hielt er es für angemessen, ihn mit diesem überaus geistreichen Geschenk zu überraschen. Was das steinerne Buch auch unter den mitgebrachten Geschenkkörben, Obstschalen, verzierten Kerzen und warmen Socken auch tat.
Der originelle Grabstein war zum Gaudium der Gäste sogleich auch in der Mitte des Gartens aufgestellt und versprüht seither neben Pelargonien und Margaritenstöckchen seinen unverwechselbaren Charme für alle Besucher des Hauses.
Meine liebe Schwiegermutter lachte sich krumm, als ich ihr die Geschichte von Georg und seinem Grabstein erzählte und wartete gleich mit einer noch besseren Geschichte auf.
Ihre Freundin, ständig zwischen Depression und Manie schwankend, kam eines Tages zu ihr auf Besuch. Es ging ihr sichtlich gut und auf die Frage, ob sie ein neues Medikament oder den Arzt gewechselt hätte, meinte sie kurz, sie habe ihre Eltern in ihr Landhaus nachkommen lassen.
Nun seien sie alle wieder vereint, was für ihr bescheiden langweiliges Eheleben eine große Inspiration und willkommene Abwechslung bedeutete.
»Um Gottes Willen, Eva! Deine Eltern sind doch schon vor Jahren verstorben und liegen am Döblinger Friedhof!«, wollte sie die Verzückte wieder auf den Boden der Realität holen, doch da hatte sie sich geirrt.
»Nein, meine Liebe, keine Sorge, ich habe keinen manischen Anfall! Ich befolge endlich die Anweisungen meines Therapeuten! Habe meine Eltern ausgraben, sie anschließend verbrennen lassen und beide danach in zwei hübschen Urnen im Garten beigesetzt. Sie liegen nun friedlich vereint – was sie im Leben nie taten – unter meinen Obstbäumen, vor einer niedlichen Buchshecke.
Gestern übrigens war ihr Hochzeitstag. Ich habe ihnen eine Freude gemacht und bei einem Baumarkt eine kleine, dicke Buddha-Statue gekauft, mit fließendem Wasser! Schaut ganz reizend aus!«
Beide hielten wir uns die Bäuche vor Lachen, wobei meine Schwiegermutter sicher war, dass die Arme unter falschen Medikamenten stand.
Irgendwann einmal werde ich meinem Pfarrer von diesen exquisiten Begräbnisstätten erzählen, vielleicht hat er doch Erbarmen und lässt mich in geweihter Erde ruhen.
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