Der kleine Fürst Staffel 6 – Adelsroman. Viola Maybach. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Viola Maybach
Издательство: Bookwire
Серия: Der kleine Fürst
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783740927226
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»Du hast ja Recht«, sagte er. »Ich nehme sie einfach am nächsten Wochenende mit zu meinen Eltern.«

      »Aber lasst die Kinder in der Zeit bei Freunden«, riet Felicitas. »Man muss die Schocks vorsichtig dosieren.«

      Sie lachten beide, Niko wirkte plötzlich wie befreit. »Am Sonntag!«, sagte er. »Hiermit ist es beschlossen und verkündet.«

      Sie widersprach ihm nicht. Der Euphorie würde der Katzenjammer folgen und diesem die Zweifel und Ängste. Noch glaubte sie nicht, dass er sein Vorhaben in die Tat umsetzen würde – aber sie hoffte es von ganzem Herzen, für alle Beteiligten.

      *

      Simone Breker öffnete mit Schwung die Tür und sah sich einer eleganten, schönen Blondine mittleren Alters gegenüber, die sie auf den ersten Blick erkannte, obwohl sie ihr nie zuvor persönlich begegnet war: Es war Nikos Mutter Helene von Ehlenberg. Niko hatte ihr Fotos seiner Eltern gezeigt.

      »Wer ist es denn, Mami?«, rief ihre Tochter Cleo aus dem Wohnzimmer.

      »Guten Tag, Frau von Ehlenberg«, sagte Simone ruhig, ohne die Frage ihrer Tochter zu beantworten. »Bitte, kommen Sie herein.«

      »Vielen Dank.« Helene folgte der jungen Frau in die Wohnung. »Ich hoffe, ich störe nicht?«

      »Nein, wir setzen gerade ein Puzz­le zusammen, Cleo und ich. Sie ist vier und kann das schon besser als ich.«

      Cleo betrachtete die unbekannte Frau, die jetzt hereinkam, aufmerksam, dann fällte sie eine Entscheidung. Sie rutschte von ihrem Stuhl, trat auf die Frau zu und streckte die Hand aus. »Guten Tag, ich heiße Cleo«, sagte sie. »Und wer bist du?«

      »Helene, ich bin die Mama von Niko. Den kennst du doch?«

      Cleos Augen wurden groß. »Das glaube ich nicht!«, rief sie. »Du siehst ganz anders aus als er.«

      »Ja, das stimmt, er sieht seinem Vater ähnlich. Sag mal, Cleo, hast du nicht noch einen Bruder?«

      »Bruno schläft, er ist nämlich erst zwei. Ich bin schon vier, deshalb muss ich nicht mehr schlafen. Willst du ihn sehen?«

      »Gerne, ja.«

      Cleo ergriff die Hand der Besucherin und zog sie ohne weitere Umstände mit sich zum Zimmer ihres Bruders.

      Simone beschloss, nicht einzugreifen. Sie glaubte nicht, dass Niko mit seinen Eltern gesprochen hatte – vor diesem Gespräch graute ihm, das wusste sie, und sie verstand es auch. Also hatte seine Mutter die Wahrheit wohl allein herausbekommen, und nun war sie gekommen, um sich ein Bild von der Frau zu machen, in die ihr Sohn sich verliebt hatte.

      Bisher war gegen dieses Vorgehen, fand Simone, nichts einzuwenden. Sie hätte sich vielleicht in einer vergleichbaren Situation ähn­lich verhalten.

      Sie setzte Teewasser auf und betrachtete nachdenklich die ärmlichen Kuchenreste. Das war kaum etwas, das man einem Gast vorsetzen konnte. Andererseits konnte jemand, der an einem Sonntag unangemeldet irgendwo auftauchte, natürlich auch keine Ansprüche stellen.

      Helene und Cleo tauchten wieder im Wohnzimmer auf.

      Simone verließ die Küche. »Trinken Sie eine Tasse Tee mit mir, Frau von Ehlenberg?«

      »Sehr gern.«

      »Kuchen kann ich Ihnen leider nicht anbieten – wir haben nur noch Reste übrig gelassen.«

      »Das macht nichts. Ihr kleiner Junge schläft fest.«

      »Ja, aber nicht mehr lange«, lächelte Simone nach einem Blick auf die Uhr. »Schon jetzt wehrt er sich manchmal gegen den Mittagsschlaf.« Simone brühte den Tee auf, stellte Geschirr, Kanne, Zucker und Milch auf ein Tablett und brachte es ins Wohnzimmer. »Cleo, du musst uns ein bisschen Platz machen.«

      »Och, Mama!«, jammerte die Kleine. »Das geht doch jetzt nicht, dann …«

      »Wir könnten uns auf das Sofa setzen«, schlug Helene vor. »Cleo macht ihr Puzzle weiter – ich möchte nämlich gern sehen, wie gut du das wirklich kannst, Cleo – und wir beide unterhalten uns ein wenig, Frau Breker.«

      Jetzt geht es also zur Sache, dachte Simone, während sie das

      Tablett zum Sofa hinübertrug. Helene räumte eilig ein paar Zeitschriften und Bilderbücher von dem kleinen Tisch, der dort stand, so dass Simone das Tablett abstellen konnte.

      Cleo war mit Feuereifer wieder an ihrem Puzzle, stellte Simone erleichtert fest.

      Aber vermutlich würde sie trotzdem einiges von dem Gespräch mitbekommen.

      »Warum stellt Niko Sie uns nicht vor?«, fragte Helene.

      Sie verliert wahrhaftig keine Zeit, dachte Simone. Eine Frau, die weiß, was sie will – so hat Niko sie ja auch geschildert. »Ich bin fünf Jahre älter als er, geschieden und habe zwei Kinder«, antwortete sie. »Und adelig bin ich natürlich auch nicht. Da haben Sie schon vier gute Gründe, weshalb er sich um dieses Gespräch bisher nicht unbedingt gerissen hat.«

      »Und das stört Sie nicht?«

      »Das Versteckspiel stört mich, aber dass er Angst vor diesem Gespräch hat, verstehe ich. Er hat viel zu verlieren.«

      Der Blick der Älteren war aufmerksam auf sie gerichtet. »Nämlich?«

      »Er hängt an Ihnen, will das gute Einvernehmen mit Ihnen nicht stören – und natürlich auch seine berufliche Zukunft nicht.«

      »Er traut seinen Eltern also zu, dass sie ihn …, wie soll ich mich ausdrücken?«

      »Verstoßen«, schlug Simone vor. »Ob er es Ihnen zutraut, weiß ich nicht, aber wenn man sich fürchtet, denkt man ja nicht unbedingt vernünftig.«

      »Dass er sich überhaupt fürchtet, kränkt mich«, murmelte Helene und trank einen Schluck Tee. »Da bemüht man sich, seine Kinder zu aufgeschlossenen Menschen zu erziehen, und dann fallen sie einem so in den Rücken! Sie müssen ja einen schönen Eindruck von uns gehabt haben!«

      Ihre Blicke begegneten sich, sie lächelten beide.

      Simone lehnte sich zurück. Mit einem Mal war sie völlig entspannt. Was auch immer passierte: Helene von Ehlenberg war jedenfalls nicht ihre Feindin!

      *

      »Ich würde nicht raten, den Patienten in seinem jetzigen Zustand noch einmal zu transportieren«, sagte Dr. Walter Brocks ernst, nachdem er den verletzten Mann untersucht hatte. »Es wäre wesentlich besser, ihn hier zu behandeln – zumindest heute. Morgen können wir neu entscheiden.«

      »Aber geht das denn, Herr Doktor?«, fragte die Baronin. »Muss er nicht operiert werden?«

      »Er bekommt bereits Infusionen, um den Flüssigkeits- und Nährstoffmangel so schnell wie möglich zu beheben. Ich gebe ihm außerdem Antibiotika gegen das Fieber und die Lungenentzündung. Wir haben ihn in erwärmte Decken gehüllt, wegen seiner Unterkühlung. Ich müsste ihm nur die Kugel aus dem Bein entfernen – es ist eindeutig eine Schussverletzung, und ich sehe nicht, warum ich das hier nicht machen könnte. Es ist ja kein großer Eingriff.«

      »Ein Jagdunfall?«

      »Das kann ich noch nicht mit hundertprozentiger Sicherheit sagen, aber was sollte es sonst sein?«

      Die anderen nickten, das war ja auch die einzige Erklärung, die ihnen bisher eingefallen war.

      »Und das mit der Kugel können Sie auch hier machen?«

      »Ja, natürlich, es ist, wie gesagt, keine große Sache. Die Kugel ist irgendwo im Unterschenkel steckengeblieben.«

      »Und wenn …, wenn etwas schiefgeht?«, fragte der Baron.

      Dr. Brocks lächelte bedrückt. »Glauben Sie mir, Herr von Kant, auf der Fahrt in die Klinik geht eher etwas schief, als wenn wir den Mann jetzt erst einmal mit dem Nötigsten versorgen und in Ruhe lassen. Die Kugel ist sein geringstes Problem im Augenblick.«

      Einer der Sanitäter des noch wartenden