»Du wirst ihn doch nicht etwa empfangen?«
»Doch, dem Baby zuliebe. Du hast doch selbst gesagt, es hat einen Anspruch auf seine Unterstützung.«
Kam es Melanie nur so vor, oder wirkte Corinna tatsächlich ein bißchen lebhafter? Sie machte sich doch nicht etwa schon wieder Hoffnungen? Das hatte sie nicht erreichen wollen.
»Laß mich dabei sein. Du solltest wirklich nicht mit ihm allein sein.«
»Darum wollte ich dich bitten.«
Gott sei Dank! Melanie atmete auf.
Die Spannung konnte am nächsten Abend nicht größer sein. Corinna konnte keinen Augenblick stillsitzen. Wenn sie aufstand, stöhnte sie leise und hielt sich den Bauch. Melanie hatte Angst, daß die Aufregung dem Baby schaden könnte. Sie verfluchte ihre Idee bereits.
Er erschien pünktlich zur ausgemachten Zeit. Melanie kam er vor wie der Wolf, der Kreide gefressen hatte. Zuckersüß begrüßte er sie, obwohl sie seinen Augen ansah, daß er sie förmlich haßte, weil sie von dem Treffen erfahren hatte.
»Liebe Corinna, ich hätte lieber mit dir allein gesprochen, aber gut, wenn du es so haben willst, soll es mir recht sein. Wie geht es dir?«
Corinna konnte nicht einmal antworten. Sie deutete nur stumm auf das Sofa und setzte sich dann auf den Küchenstuhl, den sie ins Wohnzimmer geholt hatte, weil ihr von dem das Aufstehen leichter fiel.
»Es tut mir alles sehr, sehr leid. Um dir das zu sagen, bin ich gekommen.«
»Was… tut dir leid?« fragte Corinna rauh. In ihren Augen schimmerten Tränen.
Melanie hätte sich am liebsten schützend neben sie gestellt. Aber sie hatte sich fest vorgenommen, erst einzugreifen, wenn es unbedingt nötig war.
»Daß alles so gekommen ist. Ich habe wirklich geglaubt, daß ich dich… liebe, aber es war sicher eine große Verliebtheit. Kannst du mir verzeihen, daß ich dich belogen habe? Ich wollte dich nicht schlecht behandeln, und für das Baby bezahle ich natürlich.«
»Warum auf einmal?«
»Weil ich einsehe, daß ich mich sehr schlecht benommen habe. Das möchte ich irgendwie wieder gutmachen…«
»Ja, es ist… in Ordnung. Wenn das Baby seinen Unterhalt bekommt…«
»Ich möchte auch gern die Ausstattung kaufen und einen Kinderwagen. Ich werde… Geld auf dein Konto überweisen.«
Corinna wurde noch eine Spur blasser. Melanie sah es mit großer Sorge. Sie hatte sich also doch Hoffnungen gemacht…
»Danke«, sagte Corinna.
Sie war wirklich dankbar, daß Bernd nun zu dem Kind stehen wollte. Aber das Wiedersehen hatte ihr auch gezeigt, daß sie noch immer etwas für ihn empfand. Und daß sie sich vollkommen hilflos fühlte, weil er gleich wieder gehen und sie nicht einmal in den Arm nehmen würde, weil Melanie hier war. Hätte sie ihrer Freundin nur nichts gesagt. Vielleicht, wenn sie allein gewesen wären…
Melanie sah ihr diese Gedanken an der Nasenspitze an. Sie stand auf.
»Ich glaube, es ist alles gesagt, oder? Corinna, du brauchst Ruhe.«
Bernd erhob sich hastig.
»Ich gehe schon. Das wollte ich nur loswerden.«
»Du kannst gern noch…«
»Nein, nein, ich sehe ja, daß es dir nicht gutgeht. Ich wünsche dir… alles Gute.«
Er floh förmlich aus der Wohnung. Melanie schloß die Tür hinter ihm. Als sie ins Wohnzimmer zurückkam, saß Corinna mit schneeweißem Gesicht da und hielt beide Hände auf den Bauch gepreßt.
»Ich… habe plötzlich Schmerzen. Ich… fühle mich nicht gut…«, stöhnte sie.
»O Gott, Corinna…, das tut mir so leid!«
»Wieso, du kannst doch nichts dafür.«
Wenn Corinna je erführe, daß nur Melanie etwas dafür konnte, würde sie ihr das nie verzeihen. Melanie fühlte sich jetzt mindestens genauso schlecht wie Corinna. Doch sie konnte nichts mehr ändern. Kurze Zeit später setzten schon die ersten Wehen ein. Corinna mußte ins Krankenhaus gebracht werden. Das Kind kam zu früh.
Melanie durfte bei ihrer Freundin bleiben. Der Arzt hatte sofort gesehen, daß die werdende Mutter seelisch so instabil war, daß sie eine vertraute Person an ihrer Seite brauchte.
»Machen Sie sich keine Sorgen, das Kind ist in dieser Schwangerschaftswoche nicht mehr gefährdet. Es wird schon alles gutgehen!«
Corinna nickte nur. Sie hatte starke Schmerzen, brachte aber keinen Ton heraus. Sie war so blaß, als sei sie kurz davor, in Ohnmacht zu fallen. Ihr Blutdruck war viel zu niedrig. Melanie hörte einiges von dem, was Arzt und Hebamme sich zuflüsterten.
Sie wischte Corinna den Schweiß von der Stirn und hielt ihr die Hand, aber mehr konnte sie nicht tun. Alles war ihre Schuld. Sie hatte nicht einmal ein Recht, neben Corinna zu sitzen, weil sie sie indirekt in diesen Zustand gebracht hatte.
Das Baby, ein kleines Mäd-chen, wurde vier Stunden später geboren. Es war noch sehr zart, schaffte es aber aus eigener Kraft, einen Schrei auszustoßen und zu atmen.
»Na, sehen Sie…, wir päppeln die Kleine schon hoch. Jetzt muß sie allerdings erst einmal in den Brutkasten. Nur zur Sicherheit, machen Sie sich keine Sorgen.«
Corinna betrachtete ihre Tochter mit einem Blick, der Melanie fast einen Schauer über den Rücken jagte. Es kam ihr vor, als hätte Corinna mit ihrem eigenen Leben bereits abgeschlossen, nachdem sie dem Baby das Leben geschenkt hatte.
Corinna wurde einige Zeit später in ein Zimmer gebracht. Melanie sollte gehen, aber vorher mußte sie unbedingt noch mit dem Arzt sprechen. Er sollte wissen, was sie befürchtete.
»Ich habe große Angst um meine Freundin, Herr Doktor. Sie ist seit Wochen so komisch. Ihr Freund hat sie belogen und im Stich gelassen, und das hat sie immer noch nicht verkraftet. Passen Sie bitte gut auf sie auf, damit sie sich nicht…«
»O… ja, ich habe schon gemerkt, daß sie sehr bedrückt wirkt. Wahrscheinlich eine schwere Schwangerschaftsdepression, das erleben wir häufiger. Ich werde mich darum kümmern.«
»Danke. Ihr darf nichts passieren.«
»Nein, sicher nicht. Das wollen wir auch nicht«, bestätigte der Arzt leicht pikiert.
Melanie fuhr nach Hause. Gleich morgen früh wollte sie Julia anrufen und ihr von der Geburt erzählen. Sie könnte ihr vielleicht helfen, mit dem schlechten Gewissen fertig zu werden.
*
Corinna liebte ihre kleine Tochter. Sie machte sich unausgesetzt Sorgen um sie, obwohl alle ihr bestätigten, daß Sarah nicht sterben würde. Sie war zäh, ihre Kleine, sagten die Schwestern, wenn Corinna Sarah auf der Frühgeburtenstation besuchte, um sie zu streicheln und ihr die abgepumpte Milch mit der Flasche zu geben.
Was mit ihr selbst geschah, war nicht wichtig. Sarah würde es guthaben bei Beate Zander, die Sarah nun ebenfalls besuchte. Und jetzt, da Bernd ihr versprochen hatte, sich ebenfalls zu kümmern, brauchte sie sich nicht mehr so allein zu fühlen. Aber etwas in ihr war zerbrochen. Sie hatte einfach keine Kraft mehr. Mit der Geburt war der Rest von Durchsetzungswille dahin.
Wozu sich noch schinden und plagen? Es interessierte nicht, ob es eine Apothekerin mehr oder weniger gäbe. Sie war keine gute Mutter, denn sie hatte es nicht einmal geschafft, Sarah lange genug Schutz zu bieten, so daß sie sich bis zum Ende der Schwangerschaft hatte entwickeln können. Und sie würde auch weiterhin versagen. Sie hatte es auch nicht geschafft, Sarah einen Vater zu geben. Bernd hatte sie nicht so geliebt, wie sie geglaubt hatte. Das hatte er selbst gesagt.
Beate Zander hatte ihre Fähigkeiten bereits unter Beweis gestellt. Wenn sie Sarah von Anfang an bei sich hatte, würde sie sie auch