Nach einem Rasttag reisen wir weiter durch Rüsternwald, durch Hügelgelände mit großen Formen, niedrigem Gras und Saxaulsträuchern und erreichen den Ort Santagose.
Unterwegs hängt der Telegraphendraht oft bis auf den Boden. Wagen fahren darüber hinweg.
Ein großer Teil der Ortseinwohner sind Muselmänner. Mit Wasser ist’s wieder sehr schlecht bestellt. Wir müssen es einem Tümpel mit grünlichem Schlamm entnehmen, in dem sich viele Schweine tummeln.
Bis Ulan-ussu Rüsternbestände, kleine Gehöfte, großer Friedhof.
Am 25. April 1926 geht die Fahrt bis Manaß (chinesisch Sulai) über Felder und durch Rüsternhaine, über fruchtbare Steppe, an einer chinesischen Papierfabrik vorbei. Wir überschreiten den Hauptarm des Manaß-Flusses in breitem Geröllbett. Dieser Fluss, an dem die Stadt Manaß liegt, verschwindet weiter nördlich im Telli-nor, um nie mehr aufzutauchen. Er sieht harmlos aus, ist 25 Meter breit und nur etwa 1,3 Meter tief. Sein Gefälle ist jedoch so stark, dass jedes Pferd, sobald es im Wasser das Gleichgewicht verliert, rettungslos fortgeschwemmt wird. Menschen, die hineinfallen, sind verloren. Daher haben die Chinesen für den Übergang sehr breitspurige, karrenartige schwere Wagen konstruiert, die von mehreren Pferden gezogen werden. Die Reisenden liegen auf der Plattform. Im Frühjahr und im Herbst, wenn viel Wasser vom Gebirge stürzt, werden selbst diese Karren samt Pferden und Reisenden manchmal talab geführt, und während der Schneeschmelze ist es überhaupt unmöglich, den Manaß zu durchqueren.
Die Stadt hat etwa 15 000 Einwohner und dreifache Stadtmauern. Hier gewinnt man einmal einen freundlichen Eindruck. Es findet gerade ein Volksfest statt. Alles ist mit chinesischen Fähnchen geschmückt: Zeichen erwachenden Nationalsinns.
Nach weiteren fünf Kilometern kehren wir in der katholischen Missionsstation ein. Sie liegt inmitten schöner Baumgruppen und erzeugt einen herrlichen Weißwein, der an den Haut Sauternes erinnert. Pater Hilbrenner, ein prächtiger Deutscher, stammt aus Hannover; er ist ehemaliger Kriegskämpfer, groß, mit blondem Vollbart. Er beruhigt mich wegen der Missstimmung in Tihwa und versichert mich jeder Hilfe durch die Steyler Mission. Hier ist eine überaus wohltuende Rast auf so strapazenreicher Reise. Die frommen Väter haben uns überall mit rührender Gastlichkeit aufgenommen. In Manaß nehme ich eine Hauptmessung vor. Die Höhe der Station wird mit 460 Metern bestimmt.
Muselmanische Chinesin; Hami (Foto: Wilhelm Filchner)
Pater Hilbrenner gibt mir für den Notfall seine Besuchskarte mit. Er kann selbst nicht mitreisen, da mit dem Ableben einer Waisenhausschwester zu rechnen ist. Er fordert jedoch seinen Amtsbruder, den Holländer Veldman in Tihwa auf, mir entgegenzureisen und meine Expedition unter seine Fittiche zu nehmen.
Seit Schi-cho war das Misstrauen der Chinesen gegen meine Expedition derart gewachsen, dass man schon von Hass sprechen konnte. Jeder Zopfträger witterte in mir einen Abgesandten einer feindlichen Macht, und ich konnte ihnen nur schwer das Gegenteil beweisen.
Am 29. April treten wir den Weitermarsch an: über Ly-sü-ei und Luo-to-ji, auf bebautem, lehmigem Boden mit Rüstern an den Grabenrändern. Wir begegnen Hunderten von Dunganen, die nach dem Altai reisen. Zu Fuß oder auf Eseln reitend ziehen sie dorthin, um Gold zu waschen.
In Tuchulu neue Messung. Die Chinesen begegnen uns höflich. Wie es scheint, die Wirkung eines Befehls vom Generalgouverneur zu meinen Gunsten.
Chinesisches Kindermädchen; Sining-fu (Foto: Wilhelm Filchner)
Bis Chu-tu-be (500 Meter ü.d.M.), das wir am 30. April erreichen, haben wir gute Fahrt. Die Gegend ist stark bevölkert. Wiederum kreuzen viele Dunganen auf dem Weg nach dem Altai unsere Straße. Gut bebautes Land, sehr geschickt bewässert.
Am 1. Mai erblicke ich zum ersten Mal den ungefähr 4000 Meter aufragenden Gipfel des Bogdo-ola.
Wir machen einen Tag Rast, der mit Messungen ausgefüllt ist. Neben dem Bogdo-ola erscheinen drei spitzige Bergriesen, auf deren an Felszacken und Klippen reichen Flanken mächtige Gletscher leuchten. Der Zivilmandarin zeigt sich sehr höflich und sendet mir Geschenke.
Als es am folgenden Tag weitergehen soll, behandelt Iwan die Pferde töricht. Sie schlagen die Wagen teilweise entzwei und zerstören die Zugseile. Es gibt nun wieder eine langwierige Reparatur mit obligatem Geduldverbrauch.
Auf dieser Tagesfahrt höre ich den ersten Kuckucksruf seit langer, langer Zeit. Wir sind in belaubter Gegend, kommen bis Dsang-dschi (630 Meter ü. d.M.), an Ruinen, Gehöften und Dörfern vorüber.
General Ma, Führer der Mohammedaner im Aufstand gegen die Truppen des Marschalls Feng; Sining-fu (Foto: Wilhelm Filchner)
Noch einmal stoßen wir auf viele goldhungrige Dunganen, die nach Norden wandern.
Der Verkehr steigert sich. Große Wagen, hoch bepackt mit Getreide, Heu, Klee, fahren auf Tihwa zu. Oft ist ein Stangenpferd mit drei Ochsen zusammengeschirrt.
Kurz vor Tihwa treffen wir vollkommenen Wüstencharakter; dann und wann sind kleine Oasen mit etwas Buschwerk eingestreut. Hier haben sich Landleute angesiedelt und treiben Ackerbau, aber die Ernte ist gering. Opiumfelder sind in dieser Gegend überhaupt nicht vorhanden. Als ich die Eingeborenen darüber befragte, erfuhr ich, dass der Generalgouverneur von Sinkiang den Anbau von Opium bei Todesstrafe verboten habe. Einige Mönche, die nicht recht an dieses Verbot glauben wollten und in schwer zugänglichen Schluchten Opium angebaut hatten, waren just vor unserem Eintreffen gefangen genommen und kurzerhand geköpft worden. Trotz aller Verbote und Drohungen wissen sich aber die leidenschaftlichen Opiumraucher und Opiumesser ihr geliebtes Gift zu verschaffen, das aus Russland über die Grenze geschmuggelt wird.
In Dsang-dschi begrüßt uns Pater Veldman. Der hochherzige Mann war am 3. Mai über Da-di-wa-tu vorausgefahren, um sich zu orientieren, da er wusste, dass dort ein Militärposten stand, dem die Kontrolle über Reisende oblag.
Bald aber musste er mir die wenig erfreuliche Mitteilung hinterbringen, dass mein Gepäck – entgegen der vom Gouverneur gegebenen Zusicherung – sofort untersucht werden solle, und zwar durch einen eigens hierher entsandten Offizier.
Der Pater war sehr ärgerlich und hatte dem Offizier erklärt, dass er dies nicht zulassen werde, und dass er für mich bürge.
Inzwischen waren wir nach der Ortschaft gekommen, wo sich mir der zuständige Offizier vorstellte. Ich gab ihm mein Grenzempfehlungsschreiben von der Chinesischen Gesandtschaft in Berlin. Auch meinen Pass vom Dao-tai aus Kuldscha wies ich vor.
Daraufhin bat der Offizier höflich, Wagen und Gepäck wenigstens von außen betrachten zu dürfen, was ich gestattete. Bald darauf kam vom Stationskommandanten die telephonische Verfügung, ich dürfe weiterfahren. Die Untersuchung des Gepäcks würde erst in Tihwa in der katholischen Mission erfolgen.
Strömender Regen. Noch einige feuchtgraue Stunden, und wir konnten in Tihwa, der Hauptstadt Sinkiangs, einziehen ...
3 Von den Chinesen in der Zeit von 1756–1759 unterworfen.
5.
DER KAMPF UM DEN REISEPASS
»Der Generalgouverneur«, so lese ich in meinen Reiseaufzeichnungen über Tihwa, »ähnelt Li-hung-tschang. Er ist sehr schlau und energisch, doch lebt er nicht ohne Grund in ständiger Furcht vor Attentaten. Sein Jamen ist hermetisch abgeschlossen. Der rücksichtslose, in seiner Art zweifellos bedeutende Machtmensch ist weder in Peking noch hier bei der Bevölkerung beliebt.« –
Jetzt, etwa ein halbes Jahr nach meiner Heimkehr, erreicht mich die Nachricht, dass dieser