»Nun muß also tapeziert werden,« entscheidet die Fürstin.
»Ist das nicht schade, Mama, das hübsche alte Rosenmotiv könnte doch fortgesetzt und der ganze Raum so bemalt werden.«
»Gemalte Wände, das hat kein Mensch.«
»Sieh doch, wie die Tapete häßlich dagegen aussieht.«
»Es ist alter Kram, Rosmarie, und darum gefällt es dir.«
»Es ist eine Türe da, das Geranke ist hier auf Leinwand gemalt. Da muß das Schloß sein.«
»Rosmarie, komm augenblicklich daher, die Türe bleibt zu. O Gott, warum muß ich in einem solchen gräßlichen Haus wohnen, überall Gänge und geheime Türen, und wer weiß, vielleicht steckt ein Skelett dahinter. Man sagt, in allen alten Schlössern sei irgendwo etwas Lebendiges eingemauert, du hast mir doch über das Bauopfer vorgelesen. Wenn das nun dahinter steckte! – Gott, darum habe ich den Schrank mit seinem alten Geruch so gehaßt!«
»Mama, Herr Domänenrat hat mir gesagt, es steckten überall Gänge in den Mauern, aber von Skeletten hat er mir nie etwas gesagt. Gewiß ist dahinter nichts Grauliches. Soll ich Papa oder den Herrn Domänenrat holen? Und sollen die nachsehen, daß du dich beruhigen kannst?«
»Nein, nein! Wenn die etwas fänden, und ich hätte die ganze Zeit neben einem Ermordeten gewohnt. – Der Geruch war doch nicht nur nach Rosen. Ich kann nicht dableiben, ich muß umziehen: wenn ich nur das alte Geranke mit seinen Dornen da sehe, bin ich überzeugt, daß dahinter etwas Gräßliches verborgen ist.«
»Mama, wenn nun nichts Schlimmes da wäre, so bist du beruhigt, während, wenn wir es nicht wissen, du dir alles mögliche Schreckliche ausdenken kannst. Mir sieht das Rosenmotiv recht schön und freundlich aus. Soll ich nicht mit Vater –«
»Rosmarie, ich verbiete dir!«
»Dann mußt du ja immer in der Angst bleiben, arme Mama.«
Die Fürstin sagt ergeben: »Ich habe es vom ersten Tage an gewußt, daß es ein Spukschloß ist, schier so schlimm wie Schweigen. Daß du mir nicht an die Türe gehst! Ich sehe voraus, du machst auf und eine Ladung alter Särge poltert herunter.«
»Mama, ich kann ja die Türe zumachen, dann siehst du nichts Schlimmes.«
»Aber ich hör's.«
»So bringen wir dich in deinen Salon, da hörst du nichts und siehst nichts, und wer weiß, was wir für Schätze finden. Einen Pack alte Spitzen für dich, Brokat zu einer Prachtweste für Vater.«
»Glaubst du, ich wollte das alte Zeug. Damit laßt mich in Frieden.«
Rosmarie sagt nichts mehr und beschließt, morgen in aller Heimlichkeit, solange Mama schläft, den Gang öffnen zu lassen. Jetzt ist's zu spät, der Fürst ist auf die Jagd gefahren, und über alledem ist's Abend geworden. Und zum Glück beruhigt sich die Fürstin wieder, denn nun gibt's einen anderen Grund zur Aufregung. Kommt ein Gewitter oder nicht? Und der Fürst ist jetzt auf dem Anstand. Die Fürstin seufzt. Wer da auch sein könnte, in der Halbdämmerung, den Finger am Hahn, das Jagdfieber im Blut. – Dort zwischen dem hohen Riedgras regt es sich, ein feiner gehörnter Kopf. – Gräßlich, dazuliegen bei der Schwüle in den heißen Kissen, mit Aussicht auf noch drei weitere Monate.
Rosmarie wird auch ängstlich, sie hat nur wenige Bissen gegessen, Vater wird allein essen müssen, wenn er kommt. Sie kann Mama nicht verlassen. – Wie sie sich herumwirft in den Kissen.
»Soll ich nach dem Herrn Hofrat schicken?«
»Er sagt doch nur: Mehr Ruhe – Ruhe ... Oh, wie ich das Wort hasse.«
Die Luft ist bleischwer geworden, die weiten Fensterflügel stehen offen, ein fernes Wetterleuchten. Wie dunkelgrüne eherne Massen liegen die Wipfel der Bäume unter den Fenstern ...
Ein langer, müder, bleierner Abend, zuweilen grollt ferner Donner, es wetterleuchtet, und man kann die dunkeln schweren Vorhänge nicht herunterlassen, sonst wird die Schwüle unerträglich. Rosmarie sitzt immer noch da mit ihrem Band Militärhumoresken, die so niederdrückend auf sie wirken, daß der Gedanke an die möglicherweise hinter dem Rosengeranke verborgenen Särge fast erheiternd dagegen ist. Es ergreift sie ein tiefer Abscheu gegen Leutnants und Majors und Burschen und Stiefelappelle, aber Mama kann immer noch nicht einschlafen, so furchtbar erregt wie sie ist. Rosmarie hat zwar lange schon die schwere Kunst gelernt, vorzulesen und den Inhalt gleichsam an sich vorbeigleiten zu lassen und sich selbst noch ein Seelenendchen zu bewahren. – Heute abend versagt sie, ihre Kraft ist am Ende. Die Schwüle hat den leisen Druck an ihrem Herzen gesteigert. Schlimmer darf es nicht werden. Sie fragt: »Mama, erlaubst du, daß ich meine Haare herunterlasse, der Kopf tut mir so weh von den vielen Nadeln, und wenn du ein klein wenig still liegen kannst, so will ich sehen, ob ich dich nicht in den Schlaf streichen kann.«
»Tue es,« sagt Mama ungnädig, »ich weiß nicht, was du hast, meine Nadeln quälen mich nie.«
Rosmarie läßt ihre langen Zöpfe herunterfallen, schwer liegen sie auf ihren Schultern, und ihr junges, blasses Gesicht ist eingerahmt von den weichen, goldenen Wellen. Sie geht nach dem Fenster und blickt in den schwarzen Park hinaus, kein Laut, kein Hauch regt sich draußen, da plötzlich flammt ein greller, blauweißer Blitz auf, der ihre ganze hohe, weiße Gestalt umloht wie ein Bild auf goldenem Grunde.
»Rosmarie,« ruft die Fürstin ängstlich, »nun kommt das Wetter doch!«
Einen Augenblick erfüllt ein Brausen und Heulen die Luft, die dunkeln Vorhänge schlagen in die Höhe wie Riesenflügel fremder Vögel, es klirrt und rauscht und dröhnt, als werde in dem ganzen Bau jedes Stück Holz lebendig und wollte noch einmal mittun im wilden Windestanz, dann wieder tiefe Stille. Ist das Gewitter schon vorüber? Nach dem wilden Lärm ist die Stille noch bedrückender. Und die Nacht lauert draußen wie ein gespenstiges Ungeheuer.
Der Fürst kommt herein, gute Nacht sagen.
»Ja, Rosmarie, bist du noch auf? Du siehst aus wie ein Marmorbild. Geh gleich zu Bett! – Charlotte, du kannst sie doch entbehren?«
»Einen Augenblick noch ... Gott, ich weiß gar nicht, warum sie noch so lange herumstand. Ihre Unterhaltungsgabe ist heute geringer als je. Gehst du zu Bett?«
»Ja, wir werden in der Nacht wohl eine Störung bekommen, da geh ich mir vorher noch ein wenig Schlaf holen. Rosmarie, in zehn Minuten bist du drüben.«
»Schrecklich, daß du das sagst, Fried. Nun werde ich kein Auge zutun können. O diese Braunecker Gewitter.«
»Zu ängsten brauchst du dich nicht, Charlotte, denke daran, wie lang der alte Kasten schon steht und wie viele Gewitter er schon ausgehalten hat. Wenn irgend etwas ist, so laßt mich rufen, bitte.«
Der Fürst geht und wendet sich an der Türe noch einmal um. Wie die Rosmarie heute aussieht, wie aus einem Bilde, und doch hat er nichts Ähnliches gesehen. Ein Lied kommt ihm in den Sinn.
»Da nahm die Königstochter
Vom Haupt ihre goldene Kron'.«
Warum ihm das nun gerade einfällt. Aus welchem Liede war das?
»Sie konnten zusammen nicht kommen –
Das Wasser war viel zu tief,« –
summt es in ihm weiter. Welch sonderbare Wege gehen die Gedanken. –
Rosmarie setzt sich wieder an der Fürstin Bett, zum Umfallen müd ist sie, aber so kann sie Mama nicht verlassen. Sie kennt nur zu gut das unruhige Flackern in den schönen braunen Augen. Sie versucht mit sanften Händen über Mamas Stirne zu streichen oder den Rücken hinabzuführen, aber heute ist's umsonst, die Gewitterangst hält die Fürstin lebendig ... oder ist's das Geheimnis hinter der Rosenwand. Ächzend und stöhnend wirft sie sich herum. Und nun ist's, als schössen an dem schwarzen Himmelsrand –