Das vorliegende Buch ist, was den möglichen »praktischen« Nutzwert von philosophischer Wirtschaftsethik angeht, allerdings eher skeptisch. Daß die Sphäre der Ökonomie tatsächlich jemals »unter die Kontrolle« der Ethik gebracht werden könnte, darf bezweifelt werden. Im Arbeiten und Wirtschaften, im ökonomischen Gestalten des Menschen zeigt sich nämlich eine viel zu elementare und entsprechend robuste Lebensäußerung, als daß hier vom akademischen Rückzug auf die Warte des Nachdenkens über Normen allzu viel zu erwarten wäre. Nur ist das vielleicht noch gar kein Schade. Wichtiger scheint es zu sein, das Weltverhältnis, in das der Mensch wirtschaftend tritt, zunächst einmal seiner eigenen Logik nach zu verstehen – und in Relation zu den anderen Weltverhältnissen, die er einzunehmen vermag, zu sehen. Das Wirtschaften wird sich so leicht als ein eigener Sinnhorizont menschlicher Tätigkeit zeigen, der zwar nicht der einzige und beileibe auch nicht der höchste, dennoch aber ein, vor allem in bezug auf die kollektive Existenz des Menschen, durch nichts zu vertretender Realhorizont menschlichen Lebens ist: ein Realhorizont, der auf Geschichte, Kultur und Ethos, damit zumindest indirekt auch auf das Recht bezogen und in jedem Fall mit dessen Grundfrage – der Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit einer objektiven, gegenständlichen Existenz des Freiheitswesens Mensch als eines solchen – verbunden ist. Von Ethik muß dabei die Rede zunächst gar nicht sein.
Die Zielsetzung dieses Buchs ergibt sich im übrigen aus der Erfahrung, daß unter Philosophen, insbesondere solchen in Ausbildung, in aller Regel weder extensive Kenntnisse zur ökonomischen Theoriebildung anzutreffen sind noch auch ein intensives Bewußtsein darüber, daß es »Wirtschaftsphilosophie« in der Geschichte der Philosophie seit Platon eigentlich immer gegeben hat – zumeist zwar nicht im Zentrum der philosophischen Wissenschaft, wohl aber oft mit doch kurzen Wegen zu diesem Zentrum und jedenfalls immer so, daß man stets auf überraschende Perspektiven auf die ökonomischen Realitäten gefaßt sein darf. Das Buch will daher vor allem zunächst informieren, damit dann zu eigener Begriffs- und Urteilsbildung anregen und in der Regel für eigene Positionen in Sachfragen nur zurückhaltend werben.
Mir bleibt an dieser Stelle, der Verlegerin, Frau Miriam Zöller, herzlich zu danken, die dieses Buch entscheidend mitangeregt und sein Entstehen unter auch turbulenten Umständen freundlich begleitet hat. Widmen möchte ich es dem Andenken Eberhard Dörings (1954-2005), der sich mit dem, was es bietet, wie auch mit dem, was ihm fehlt, mit gleicher Serenität wohl sogleich hätte anfreunden können.
Ukanc am Wocheiner See, im Sommer 2009
Thomas Sören Hoffmann
1 Was ist Wirtschaftsphilosophie und was kann sie leisten?
Einleitende Überlegungen – auch für Skeptiker
1.1 Wirtschaft philosophisch denken? Der theoretische Aspekt
1.1.1 Den Anfang unserer Überlegungen zum Verhältnis von Philosophie und Wirtschaft mag eine Begebenheit bilden, die Aristoteles von dem Mann berichtet, den man für gewöhnlich an den Beginn der abendländischen Philosophiegeschichte stellt. Thales von Milet, der zwischen etwa 625 und 547 v. Chr. in Kleinasien lebte – wo zu seinen Lebzeiten übrigens das Münzgeld eingeführt wurde –, Thales also wurde einmal »wegen seiner Armut die Nutzlosigkeit der Philosophie vorgehalten; darauf habe er aus sternkundiger Berechnung erschlossen, daß eine große Olivenernte bevorstehe; er habe noch im Winter, da er gerade über bescheidene Mittel verfügte, für sämtliche Ölpressen in Milet und auf Chios Anzahlungen hinterlegt und sie für einen geringen Betrag gemietet, da niemand ein höheres Angebot machte. Als aber die Ernte kam und zur gleichen Zeit und plötzlich viele Ölpressen gesucht wurden, habe er sie nach Bedingungen, wie sie ihm gefielen, vermietet; er habe viel Geld gewonnen und bewiesen, daß es den Philosophen leicht ist, reich zu werden, wenn sie wirklich wollen – jedoch sei es dies nicht, worauf sie ihr Bestreben richten«1. Die Anekdote, mit der Aristoteles nicht zuletzt auch die Entdeckung der Vorteile des Monopols dem Philosophen beilegt, verweist darauf, daß der Philosoph zumindest dann, wenn er will, aus den Kreisen des Wirtschaftslebens nicht einfach ausgeschlossen ist, ja daß er in diesen Kreisen sogar ganz überraschende Einsichten zu gewinnen vermag. Trotzdem scheint »Wirtschaftsphilosophie« nicht gerade das zu sein, worum es den Philosophen meistens geht und womit sie ihren eigentlichen Anliegen wirklich gerecht werden. In der Tat ist »Wirtschaftsphilosophie« so denn auch eine vergleichsweise junge Disziplin – zumindest im deutschen Sprachraum. Während vergleichbare, insbesondere französische, Werktitel schon im 19. Jahrhundert zu finden sind2, wurde im Deutschen der Terminus erstmals von dem Juristen und Rechtsphilosophen Fritz Berolzheimer (1869-1920) mit seinem Hauptwerk System der Rechts- und Wirtschaftsphilosophie in Anspruch genommen3. Berolzheimer gehörte einem hegelianisch inspirierten kulturphilosophischen Ambiente an, das die dramatische Zäsur des Ersten Weltkriegs nur bedingt überlebt hat. Insofern wundert es nicht, daß sein Programm trotz der Tatsache, daß von »Wirtschaftsphilosophie« fortan in Buch-, Zeitschriften- und anderen Titeln immer wieder die Rede war, noch nicht bedeutete, daß sich die Philosophie das Thema »Wirtschaft« sogleich und vorbehaltlos zu eigen gemacht hätte. Von einer grundlegenden Wende in diese Richtung kann vielmehr, wie wir noch sehen werden, erst mit der kontinentalen Rezeption der zunächst vorwiegend amerikanischen »business ethics« in den 70er und vor allem den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts die Rede sein4. Bis dahin blieben – trotz des Beispiels des Thales – Denkstile herrschend, die zutiefst von einem Bewußtsein einer scheinbar unüberwindlichen Sphärendifferenz zwischen Philosophie und Ökonomie bestimmt waren. Geist und Geld – reimt sich denn das, und ist es nicht in jedem Fall eine Mesalliance? Wer hätte es wagen wollen, sagen wir: einen Martin Heidegger bezüglich der ontischen Niederungen eines »Systems der Bedürfnisse« um Auskunft zu bitten? Und hatte nicht Platon bereits gelehrt, daß der Philosoph zwar über die Höhen des Himmels und auch die Tiefen der Erde Rechenschaft zu geben vermag, dabei zugleich aber »den Weg auf den Markt und zum Gerichtshaus nicht kennt«?5
1.1.2 Allerdings zeigt schon ein zweiter Blick, daß die Dinge schon deshalb so einfach nicht liegen, weil, wenngleich unter anderen Namen, die Themen der »Wirtschaftsphilosophie« viel tiefer in der Geschichte und auch im Denken der Philosophie wurzeln, als der prima-facie-Eindruck wahrhaben kann. Der gleiche Platon, der die Konzentration auf die Erkenntnis des Ewigen und die eigene Vervollkommnung empfahl, erweist sich bei näherem Zusehen als der erste systematisch verfahrende Vertreter einer »politischen Ökonomie«, die gerade aus der Distanz zu Handel und Wandel heraus die Gesetze und Rahmenbedingungen des Wirtschaftens in einem nach Gerechtigkeitsprinzipien eingerichteten Staat zu denken versucht – Platons Nomoi sind gerade in dieser Hinsicht das faszinierende Dokument einer ersten Annäherung an die Probleme des Eigentums, der Produktion und des Warentauschs, des Innen- und Außenhandels, die im Zeichen eines rationalen Kalküls steht. Es geht hier darum, Handel und Wandel jedenfalls nicht als Schicksal nur hinzunehmen, sondern verstehen und evaluieren zu können. Platons Schüler Aristoteles hat dann das gleiche Thema seinerseits aufgegriffen und unter anderem klar gemacht, daß die Ökonomie (deren Namen wir wesentlich ihm verdanken) im Rahmen einer Lehre vom Menschen als »politischem Lebewesen« (z˛øıon politikón) zu begründen sei. Ihr Ansatzpunkt ist die Nicht-Autarkie des einzelnen Menschen, die ihn auf Formen der Gemeinschaftsexistenz verweist, in denen jeweils auch die Gemeinwohlfrage zu stellen ist – ein Aspekt, der nach Aristoteles etwa die Verselbständigung eines »Finanzmarktes« verbietet, der sich von den realen Bedürfnissen aufeinander angewiesener Menschen abkoppelt und eben deshalb auch von jedem Gemeinwohlgedanken losgelöst hat. Auch wenn aus heutiger Sicht die antiken ökonomischen Strukturen, vor deren Hintergrund Aristoteles schreibt, als »unterkomplex« zu gelten