Korbinian, der am Abend wieder in den Rehwinkel gekommen war, obwohl er durch die Frühjahrsbestellung viel Arbeit hatte, zog sie an sich. »Nun ist das eine erreicht, Franzi«, sagte er, »jetzt wird geheiratet. Wir brauchen uns nicht darum kümmern, dass das Trauerjahr für meinen Vater noch nicht zu Ende ist – und auch nicht darum, dass Uli erst vor Kurzem sein Grab gefunden hat. Wir beide gehören zusammen, und Stepherl kommt mit dir.«
»Aber was wird mit Vater, Korbinian?«, fragte Franzi. »Ich kann ihn doch nicht allein hier zurücklassen. Er würde Stepherl und mich zu sehr vermissen.«
Korbinian lachte. »Dich und Stepherl kann er auf meinem Hof besuchen. Wenn er Lust dazu hat, dann sogar täglich. Und du kannst mit Stepherl zu ihm gehen. Ich werde dich nie davon abhalten. Ich brauche eine Bäuerin auf dem Hof, und es kann keine andere sein als du. Für deinen Vater habe ich schon eine Regelung gefunden. Er sprach neulich von einer Kusine, die seit Kurzem verwitwet ist. Ich war bei ihr, und sie kommt gern herauf in den Rehwinkel, um deinem Vater die Wirtschaft zu führen. Sie ist noch so rüstig, dass sie ihm tüchtig unter die Arme greifen kann.«
»Das hast du für uns getan?«, fragte Franzi aufgeregt. »Du bist nicht mit Gold zu bezahlen, Korbinian. Wie konnte ich nur einmal auf dich verzichten wollen?«
Korbinian legte ihr den Zeigefinger auf den Mund. »Halt, davon wollten wir nie mehr sprechen. Seitdem ist so viel geschehen, dass das auch nicht mehr nötig ist. Und wenn ich mich um eine Wirtschafterin für deinen Vater bemüht hab’, so geschah das aus blankem Egoismus. Ich will dich endlich bei mir haben, Franzi. Die Geduld, die ich früher manchmal hatte, hab’ ich nicht mehr. Wir wollen eine kleine Familie sein mit Stepherl. Sobald wir verheiratet sind, suchen wir um eine Adoption an. Sie wird uns sicher bewilligt. Und danach, Franzi?« Korbinian lachte übermütig. »Danach bekommt Stepherl Geschwister. Der Stettnerhof und wir brauchen Kinder. Kinder von dir und mir. Ich sehe sie schon vor mir. Es werden Kinder sein, die viel von uns beiden haben und unsere Heimat so lieben wie wir. So wie wir nicht mehr aus unseren Bergen fort wollen, wird es auch bei ihnen sein.«
Franzi schmiegte sich ganz fest in Korbinians Arme. Wie geborgen sie sich bei ihm fühlte.
»Ja, gut, dann lass uns das Aufgebot bestellen«, flüsterte sie. »Ich werd’ ja auch erst richtig glücklich sein, wenn ich mit dir Tag und Nacht zusammen sein kann. Stepherl erholt sich jetzt langsam. Ich hoffe, mit einem gesunden Buben zu dir zu kommen.«
*
Trotz allem, was in der Familie passiert war, gab es auf dem Stettnerhof eine zünftige Bergbauernhochzeit, zu der viele Gäste eingeladen waren. Barbara, die auf dem Hof alt geworden war, hatte es sich nicht nehmen lassen, alles feierlich auszurichten.
Stepherl stand mit Josef Feistauer, den allein er als Großvater ansah, in der Kirche hinter dem Brautpaar. Als ihm die Zeremonie zu lang dauerte, zupfte er Josef Feistauer am Rock und wisperte: »Ist jetzt Onkel Korbi schon mein Papa?«
»Ja, Stepherl, und er wird dir ein guter Papa sein«, bekam er leise zur Antwort.
»So lieb wie meine Mama. Großvater, sie ist ja heute so schön.«
»Ja«, sagte Josef Feistauer, »meine Franzi ist die schönste Braut, die ich je gesehen hab’.« Der Stolz sprach aus seiner Stimme.
In Kutschen ging es zum Stettnerhof. Unter den Gästen war auch die Kusine Josef Feistauers, die bereits im Rehwinkel eingezogen war. Sie machte einen vertrauenswürdigen Eindruck und war froh, endlich wieder eine Aufgabe bekommen zu haben.
Vor dem Stettnerhof stand das Gesinde Spalier in Reih und Glied. Jeder hieß die junge Bäuerin willkommen.
Korbinian trug sie über die Schwelle, setzte sie in der Diele ab und sagte mit warmer Stimme: »Das ist jetzt dein und Stepherls Zuhause. Bring mir Glück, junge Bäuerin, und ich werd’s dir immer danken.«
Franzi küsste ihn. In ihren Augen stand das Versprechen, ihm eine gute und treue Frau zu sein.
Korbinian verdiente ihre Liebe wie kein anderer, denn er würde treu zu ihr halten, was auch passierte. Nur an seiner Seite, da war Franzi sicher, konnte es ein echtes Glück für sie geben.
Wie im Traum schlenderte Julia Wellner durch den schattigen Wald. Vögel jubilierten, Schmetterlinge gaukelten um Fingerhut und Glockenblume, irgendwo hämmerte ein Specht.
Plötzlich, wie aus dem Boden gewachsen, stand eine Gestalt vor dem einsamen Mädchen.
Julia erschrak, ihr Herz pochte wie wild. Doch dann lächelte sie erleichtert. Ein Förster! Die grüne Uniform flößte ihr sofort Vertrauen ein.
Doch das Gesicht des Mannes – er mochte Anfang dreißig sein – blieb starr. Ihr Lächeln löste darin keinen Widerschein aus. Wie finster er wirkte!
»Haben Sie die Tafeln nicht gesehen?«, fragte er in gebieterischem Tonfall, der Julia sofort in Opposition brachte.
»Tafeln? Was denn für Tafeln? Sie meinen doch nicht etwa die Schiefertafeln in der Baumschule?« Sie neigte ihr von blonden welligen Haaren reizvoll umrahmtes Gesicht ein wenig schräg und musterte den Forstmann herausfordernd.
Doch er schien keinen Sinn für Humor zu haben. »Glauben Sie etwa, die Verbotsschilder hätte ich nur zu meinem eigenen Vergnügen aufgestellt?«
»Verbotsschilder? Gibt es die hier auch?«, fragte Julia mit erhobener Stimme.
»Allerdings. Und was meinen Sie, warum ich sie angebracht habe?« Er musterte sie kühl.
Julia zuckte aufreizend gleichmütig die Achseln. »Vielleicht, um Ihre Existenzberechtigung nachzuweisen? Um zu patrouillieren und festzustellen, ob Ihre Verbote auch untertänigst eingehalten werden?«
»Lassen Sie den Unsinn. Es handelt sich um ein Wildschutzgebiet. Spaziergängern ist das Betreten untersagt.«
»Ach! Und ich dachte, die Wälder seien für alle da, als Erholungsgebiete, wie es so schön heißt, für die gestressten Großstädter.«
»Vor allem sind die Wälder für das Wild da, oder schlagen Sie vor, dass die Rehe und Hirsche zum Ausgleich in die Großstädte übersiedeln?«, fragte er ironisch.
»Ich habe noch keinen Hirsch und kein Reh vertrieben. Ich habe überhaupt noch kein Wild gesehen, Herr Förster!«
»Schluss der Debatte. Kehren Sie sofort um, und lassen Sie sich hier nie wieder blicken.«
Das hätte er nicht sagen sollen. Julia richtete sich zu voller Größe auf. Bevor sie antwortete, musterte sie den Herrn des Waldes eindringlich. Unverschämt gut sah er aus, dunkelhaarig, sonnenverbrannt, groß und breitschultrig. Die grüne Uniform stand ihm prächtig, trotzdem – er war ein Ekel!
»Und wenn ich mich hier wieder blicken lasse, dann erschießen Sie mich, ja?«, fragte sie gedehnt und lächelte spöttisch.
»Nein, dann legte ich dich übers Knie, du freches Ding.«
Damit drehte er sich um und ging gemessenen Schrittes davon, ohne sich noch einmal umzuschauen.
Julia hatte es buchstäblich die Sprache verschlagen. Das Blut schoss ihr ins Gesicht. Sie biss sich auf die Unterlippe, bis sie weh tat. Dieser unverschämte Kerl! Was bildete er sich ein? Sie war kein Teenager, sie war immerhin vierundzwanzig Jahre alt! – Dann lege ich dich übers Knie, du freches Ding …
Was hätte sie darum gegeben, wenn ihr in diesem Moment eine entsprechende Antwort eingefallen wäre. Doch sie war völlig durcheinander und fühlte sich plötzlich ganz hilflos, ihr fiel einfach keine Entgegnung ein, dabei war sie doch sonst nicht auf den Kopf gefallen. Sie einfach zu duzen! Als ob sie eine Göre wäre!
Julia ahnte nicht, wie unwahrscheinlich