Er war schon so gut wie tot.
Ein Explosionsgeschoss schlug in den Schutzschirm aus der Technologie der Arkoniden ein, der sich über ihnen allen und der STARDUST spannte, und was immer genau dort oben vor sich ging, die Männer darunter spürten nichts.
Keine Druckwelle, keine glühende Hitzewelle, keine Flammen oder Schrapnelle, kein hoch spritzender und zerschmelzender Sand, der sich den Astronauten ins Fleisch fraß.
Nur gedämpfter Lärm und ein rötliches Glühen über dem Schutzschirm, gefolgt von Überschlagsblitzen – wie ein Wetterleuchten am fernen Horizont und unwirklich laut.
Wer einer derartigen Explosion so nahe stand, musste im nächsten Moment sterben oder gerade sein Leben verlieren, das war ein bis zu diesem Augenblick unumstößliches Gesetz. Nun stellte dieses umgestoßene Gesetz eines von tausend Details der neuen Wirklichkeit dar, die auf die Menschheit wartete.
Als der Knall verhallte, ergriff Rhodan das Wort. Nach außen hin blieb er völlig gelassen. »Warum wir nicht in die USA fliegen? Deshalb!«
Ein letztes Flimmern zuckte über die Schutzschirmkuppel. Dann tanzten nur noch einzelne glühende Funken scheinbar schwerelos in der Luft, ehe auch sie erloschen.
Im nächsten Augenblick raste eine Unzahl weiterer Explosivgeschosse heran und detonierte in und über dem Schirm.
Feuerflammen und zuckende Blitze.
Wer auch immer diesen Angriff befohlen hatte, ihm war wohl nicht klar, dass er so sein Ziel nicht erreichen konnte. Der Schutzschirm hielt.
Rhodan vermochte sich die Verblüffung auf der anderen Seite gut vorzustellen. Ihm ging es im Grunde nicht anders; er konnte nur staunen über die fortschrittliche Technologie der Arkoniden, die selbst die kühnsten Visionen der menschlichen Wissenschaft überstieg.
Mit einer Rakete zum Mond zu fliegen, die so zerbrechlich und gefährdet war wie ein rohes Ei inmitten eines Taifuns ... das war alles, was die irdische Weltraumtechnik trotz all der Milliarden an Geldmittel und der Kraft vieler genialer Köpfe zustande gebracht hatte. Die Arkoniden hingegen reisten schneller als das Licht in fremde Sonnensysteme. Und Rhodan ahnte, dass das nur die Spitze des Eisbergs war. Crest und erst recht Thora, die beiden Außerirdischen, die er kennengelernt hatte, schwiegen sich aus, was die Geheimnisse ihres Volkes anging.
Crest ... es wurde höchste Zeit, mit dem Arkoniden zu sprechen. Der Flug in der STARDUST zur Erde hatte ihn mitgenommen und seinen ohnehin geschwächten Zustand noch weiter destabilisiert.
So fortschrittlich dieses Sternenvolk auch sein mag, dachte Rhodan, gegen Krankheit sind seine Angehörigen nicht gefeit.
Wie schlecht es Crest wirklich ging, konnte er nur ahnen. Nach wie vor lag der Arkonide auf der Liege, die Thora für ihn in der STARDUST installiert hatte. Offenbar fand er nicht einmal die Kraft, sich auf die Füße zu erheben.
Und Thora? Sie verhielt sich noch immer kühl und distanziert. Doch durfte man die beiden Fremdwesen mit menschlicher Psychologie beurteilen? Dachten und handelten sie nicht auf eine fremdartige Weise, weil sie der Evolution eines weit entfernten Sternensystems und damit völlig anderen Bedingungen entstammten?
Wenn sich die Denk- und Lebensweise von verschiedenen Völkern auf der Erde schon so grundlegend voneinander unterschieden, wie musste es erst bei den Angehörigen einer Spezies sein, die von einem noch viel weiter entfernten Planeten stammte?
Wie fremd waren Amerikaner, Asiaten und Moslems einander; ganz zu schweigen von Völkern, die in selbst gewählter Isolation in den Tiefen der Regenwälder der Äquatorregion lebten. Und nun gab es Kontakt mit Wesen aus einem weit entfernten Sonnensystem, mit völlig fremder Mentalität, mit einer absolut andersgearteten Prägung durch Kultur und Umwelt.
Und doch, das spürte Perry Rhodan deutlich, gab es etwas, das Menschen und Arkoniden verband. Ein Band von Verständnis und ... Gefühl. Sie alle waren denkende, intelligente Wesen, die lebten. Musste man dieses Leben nicht achten, waren sie nicht allein deshalb miteinander verbunden?
»Perry?«, fragte Bull, genau wie vor Kurzem schon einmal.
Und wieder lächelte Rhodan, der Deserteur. »Ehe du nachfragst, ich hänge müßigen Gedanken nach, wie du es wohl nennen würdest. Also los, gehen wir zu Crest. Ich bin gespannt, wie er die Lage einschätzt.«
Reginald Bull deutete unbestimmt nach oben – zur energetischen Kuppel. »Der Schirm wird halten, davon bin ich überzeugt. Und wenn die ganze Welt sich zusammentut und tausend Granaten oder Atombomben darauf abfeuert.«
Rhodan schüttelte den Kopf. »Eine einzige Atombombe würde genügen«, sagte er hart. »Nicht, um den Schirm zu knacken, aber um auf der kompletten Welt Reaktionen hervorzurufen und ein atomares Chaos zu entfachen, in dem wir uns alle gegenseitig auslöschen. Hoffen wir, dass es so weit nicht kommen wird.«
»Hoffnung allein wird uns nicht weiterbringen, Perry!« Bull beugte sich verschwörerisch vor; ein Sonnenreflex spiegelte sich auf der vor Schweiß glänzenden Kopfhaut und wirkte, als würde eine kleine Flamme zwischen den kurzen roten Haaren züngeln. Dann endete der absonderliche optische Effekt. »Verstehst du denn nicht? Wir müssen handeln! Nehmen wir die arkonidische Supertechnologie und zeigen denen dort draußen, was eine Harke ist! Wir müssen die Machtblöcke zur Vernunft bringen, indem wir ihnen demonstrieren, was ...«
»Bleib ruhig«, unterbrach Rhodan. »Die Zeit wird kommen, und wir werden eine Möglichkeit finden, aber wir dürfen nichts überstürzen. Dies ist die Gelegenheit für die Menschheit, ihre Probleme zu lösen ... auch wenn sie noch nichts davon ahnt!«
»Die Machthaber wollen das aber gar nicht wissen«, gab sich Bull überzeugt. »Das müsstest du ihnen schon einprügeln.«
Dr. Eric Manoli, der schweigend neben ihnen im Schatten der STARDUST stand, nickte bestätigend. Clark Flipper saß etwas abseits am Boden, das Kinn auf beide Hände gestützt.
Rhodan ließ den Blick langsam über seine drei Begleiter schweifen. Eine wichtige und gefährliche Mission hatte sie zusammengeführt und in diese Lage gebracht; nun stellte sich die Frage, wer dieser extremen Belastungsprobe gewachsen war und wer scheitern würde. Die Antwort schien auf der Hand zu liegen, aber man durfte Clark Flipper keineswegs aufgeben. Er war ein Astronaut, genau wie die anderen, und durch tausend Prüfungen gegangen. Doch auch eine stabile Persönlichkeit konnte zerbrechen, wenn der Druck zu groß war.
»Dies alles bildet letztlich unser Tor zu den Sternen«, sagte Rhodan. »Die Arkoniden, das Geschehen auf dem Mond, die Begegnung mit Crest und Thora, und das ausgerechnet jetzt, wo die Erde einem Pulverfass gleicht, das schon an mehreren Enden brennt! Das ist kein Zufall!«
»Die große Chance, ja?«, rief Flipper zu ihnen herüber. »Frieden für alle? Hochtrabende Worte und gewaltige Pläne! Aber wie willst du sie umsetzen?«
Rhodan schwieg. Er ließ sich nicht in die Karten schauen. »Wir müssen abwarten.« Seine Stimme duldete keinen Widerspruch. »Egal, wie ihr die Lage beurteilt, in einem sind wir uns wohl einig. Dies sind historische Momente. Wir leben in aufregenden Zeiten, die alles verändern werden. Es fragt sich nur, in welche Richtung!«
»Ich bin bereit, dir zu folgen«, sagte Reginald Bull. »Ich vertraue dir.«
Rhodan ließ sich nicht anmerken, wie sehr die Worte seines alten Freundes ihn erleichterten. Natürlich wusste Bull genau, wie wichtig diese Unterstützung war – er hatte den Augenblick mit Bedacht gewählt und Rhodan konnte ihm nur zu seinem Taktgefühl gratulieren.
»Ich vertraue dir ebenfalls«, betonte Dr. Eric Manoli.
Clark Flipper schwieg.
Immerhin widerspricht er nicht, dachte Rhodan. Aber kam das Schweigen nicht einem Widerspruch gleich? »Ich gehe zu Crest«, kündigte er an. »Es gibt