»Nein!«, brüllte Marshall. »Geh weg, Sue!«
Sue hörte nicht auf ihn. Das Mädchen warf sich auf ihn, wollte ihn mit dem eigenen, viel zu kleinen und dürren Körper schützen.
Marshall packte Sue mit beiden Händen, riss sie weg, um sich auf sie zu legen, sie zu schützen.
Funken sprühten, blendeten Marshall. Grelles, weißes Licht. Ein glühend heißer Wind.
Eine Hand griff nach seiner.
Sie gehörte Sid. Der dicke Junge beugte sich über John. Sein Blick war flehend. Er trug den selbst geschneiderten Raumanzug, den er nach Nevada Fields hatte mitnehmen wollen.
Sid González drückte fest zu.
Funken sprühten. Eine Welle grellen Lichts trug John Marshall davon.
Dann kam Schwärze.
Gnädige Schwärze.
17.
Thora drehte sich weg von Crest. Sein Befehl musste gegen ihre tiefsten Überzeugungen verstoßen. Mit der flachen rechten Hand klatschte sie auf den Oberschenkel. Der Knall war wie ein Peitschenschlag, der von den Wänden des Hangars zurückgeworfen wurde.
Ein schmerzend greller Lichtpunkt entstand vor ihr, wuchs zu einer gleißenden Miniatursonne an und entfaltete sich zu einem dreidimensionalen Panorama. Es war der Mond, gesehen aus einer Höhe von mehreren Kilometern, aufgenommen von einer Kamera, die mit hoher Geschwindigkeit über den Himmelskörper raste.
Mit Kratern übersäte Ebenen blieben zurück, schließlich ein schroffer Gebirgszug.
»Perry, das kommt mir bekannt vor!«, flüsterte Bull. »Das ist doch ...«
Die Kamerafahrt stoppte abrupt. Einige Augenblicke lang blickten sie auf die Mondoberfläche hinab, dann sprang sie dem Betrachter entgegen, als die Kamera sich dem Mond entgegenstürzte wie ein Raubvogel seiner Beute.
Es war die STARDUST.
Rhodan erkannte den Rumpf des Schiffs, der sich wie ein plumper Turm aus der Ebene erhob. In seiner menschengemachten Symmetrie stach er aus der Staub- und Felswüste heraus, die der Zufall in Milliarden von Jahren erschaffen hatte.
Am Schiff, inmitten einer Ansammlung von Werkzeugen, standen zwei Menschen in plumpen Raumanzügen und machten sich an einer Landestütze der STARDUST zu schaffen.
Es waren Eric Manoli und Clark Flipper, die in ihrer Verzweiflung, Gewicht zu sparen, damit begonnen hatten, Teile der STARDUST zu demontieren. Im Vakuum waren ihre Umrisse klar wie von einem Messer geschnitten.
Dann legte sich ein Schleier über das Bild. Rhodan war an einen heißen Sommertag auf der Erde erinnert, an das Flimmern von erhitzter Luft.
Das Bild machte einen Ruck und ...
... und die STARDUST erhob sich in den Himmel. Die STARDUST und die beiden Astronauten und die vielen Gerätschaften und Teile des Schiffs und der Mondboden in einem Umkreis von Dutzenden von Metern. Zurück blieb ein rundes, exakt geschnittenes Loch im Mondboden.
»Wieder so ein Energiestrahl. Sie will uns beeindrucken«, flüsterte Bull.
Rhodan schwieg. Bulls Beobachtung traf zu – ein Blick auf Thora, die ihre Arme angehoben hatte und den Transport mit Gesten ihrer Hände steuerte, genügte, um das zu erkennen.
Rhodan und Bull verfolgten, wie der Energiestrahl der Arkoniden die STARDUST in Minuten über die Strecke trug, für die sie mit ihrem Kettenfahrzeug beinahe einen Tag benötigt hatten. Dann öffnete sich eines der Hangartore. Der Boden unter den Füßen der Männer erzitterte, als das tonnenschwere Tor zur Seite glitt. Es gab den Blick auf den Krater frei, in dem die AETRON gelandet war. Der Luftzug, den Rhodan erwartet hatte, blieb aus. Ein unsichtbarer Energieschirm musste die Luft innerhalb des Schiffs zurückhalten.
Die STARDUST kam in Sicht. Wie von Geisterhand getragen schwebte das Schiff samt Mondboden, auf dem Ausrüstung und der Container des Lazaretts verstreut waren, in den Hangar und kam zwischen zwei 60-Meter-Beibooten zur Ruhe. Das Menschenschiff war winzig im Vergleich zu den Booten der Arkoniden. Es wirkte wie ein Spielzeug. Es war ein Eindruck, der durchaus zutraf: Im Vergleich zur AETRON und ihren Beibooten stellte die STARDUST ein besseres Kanu dar.
Die beiden Männer, die mit der STARDUST mitgerissen worden waren, richteten sich langsam auf. Clark Flipper ließ das Schweißgerät sinken, mit dem er eben noch eine Stütze des Schiffs bearbeitet hatte. Eric Manoli, der seinem Kameraden ein Werkzeug hatte reichen wollen, lockerte den Griff. Das Werkzeug krachte laut und hallend, als es auf dem Boden aufschlug.
Die beiden Astronauten registrierten es nicht. Wie Schlafwandler hoben sie die Köpfe, drehten sie sich um die eigene Achse, versuchten sie zu begreifen, was ihre Sinne ihnen mitteilten. Und was unmöglich war. Völlig unmöglich.
Bull schaltete den Funk seines Raumanzugs ein, räusperte sich und sagte: »Nein, Kameraden, ihr habt nicht den Verstand verloren.« Bull machte eine Pause, um den beiden Gelegenheit zu geben, seine Worte zu verarbeiten. Dann fuhr er fort: »Willkommen in der Zukunft!«
Sie hatten sich zu fünft in das enge Lazarett gezwängt, das die STARDUST zum Mond gebracht hatte: vier Menschen und ein Arkonide.
Rhodan, Bull und Flipper als nervöse Zuschauer, denen der Gedanke unerträglich erschienen war, im Hangar des Arkonidenraumers Däumchen zu drehen, während einige Schritte entfernt womöglich Geschichte geschrieben wurde. Manoli als Arzt, der nach kurzer Zeit sein Befremden abgeschüttelt hatte und den Arkoniden als das behandelte, was er im Grunde genommen war: als Patienten, der dringend seiner Hilfe bedurfte. Und schließlich der Fremde, Crest, der sich als überaus angenehmer Patient erwies.
Der alte Arkonide ließ geduldig über sich ergehen, was Manoli aufzubieten hatte. Blutentnahme, klassische Röntgenaufnahmen, weitere Blutentnahme, Entnahme von Rückenmarksflüssigkeit, Injektion von Kontraststoffen, weitere Blutentnahme und Analyse. Das Lazarett der STARDUST war weit über die Bedürfnisse ihrer Besatzung ausgestattet und für die Behandlung der Besatzung von Armstrong Base gedacht. Allerdings war es nicht auf die Behandlung einer Krankheit wie Leukämie ausgerichtet, sondern auf Unfälle.
Manoli schloss die Untersuchungen ab. Er vertiefte sich in die Ergebnisse, die ihm der Computer des Lazaretts aufbereitete – das Gerät hatte den Angriff der AETRON unbeschadet überstanden.
»Und?«, fragte Crest schließlich, als die Minuten sich hinzogen. »Was haben Sie herausfinden können?«
Manoli, auf dessen Display stets mehrere Fenster geöffnet waren, zwischen denen er in rasender Folge wechselte, wandte sich dem alten Arkoniden zu. »Sie sind ein erstaunliches Wesen, Crest«, sagte er. Der dünne Mann tippte mit dem Eingabestift auf die Handfläche, den er für gewöhnlich über das Display führte.
»Ich fasse Ihre Aussage als Kompliment auf«, antwortete Crest. Der Arkonide hatte sich im Bett aufgesetzt und die Hände um die Knie geschlossen. Es war eine zutiefst menschliche Geste.
»Auf der Erde könnten Sie glatt als Mensch durchgehen. Vielleicht nicht ohne gewisse Neugierde zu erregen, aber die Bandbreite unter Menschen ist groß. Auf jeden Fall«, Manoli runzelte die Stirn, »würde man Ihnen diese Erklärung eher abnehmen, als dass Sie ein Außerirdischer sind. Und ehrlich gesagt, könnte ich nach meinen Untersuchungen ebenfalls daran zweifeln. Der Metabolismus von Menschen und Arkoniden besitzt eine unheimlich anmutende Ähnlichkeit. Man könnte beinahe auf den Gedanken kommen, unsere Arten wären enge Verwandte.«
Es war ein unglaublicher Gedanke, aber Crest ließ sich nicht davon erschüttern. »Wir Arkoniden haben über die Jahrtausende gelernt, dass das Leben meist ähnliche Wege geht. Sosehr sich Leben tragende Sauerstoffplaneten auch zu unterscheiden scheinen, sind sie sich im Grunde genommen sehr ähnlich. Deshalb ist es nur folgerichtig, dass das Leben sich ähnelt.«
»Das leuchtet ein ...« Eric