Die wichtigsten Novellen, Romane & Erzählungen von Wilhelm Raabe. Wilhelm Raabe. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Wilhelm Raabe
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027207619
Скачать книгу
Täubchen! Solchen Nebenbuhler zu haben hast du dir wohl nicht träumen lassen? Nieder mit dem Geusen! An den Galgen mit ihm!«

      Aus der Scheide flogen die Degen der Genuesen.

      »Schütze dich Gott, Myga!« schrie Jan Norris, seine Klinge schwingend. »Zurück, ihr welschen Schufte!«

      Den wilden Geusenschrei: Lieber Türk als Pfaff! ausstoßend unterlief der Steuermann der schwarzen Galeere die Klinge Leone della Rotas, – ein Stoß – mit einem Schrei drehte sich der Kapitän des Andrea Doria und taumelte; klirrend entfiel das Schwert seiner Hand, – zu Boden stürzte Antonio Valani. Über den Körper des Genuesen weg sprang der Wassergeuse, ein zweiter Hieb streifte jedoch nur leicht die linke Schulter des Leutnants. Matrosen der Galeone Andrea Doria drangen ihre Schiffsmesser schwingend die Treppen herauf. Ein wilder, blutiger Kampf entstand auf dem engen Raume; ohnmächtig lag Myga van Bergen am Boden. Spanische und albanesische Soldaten vermehrten das Getümmel, Lampen und Fackeln erloschen, glimmten am Boden, wurden wieder angezündet. Die wenigsten wußten eigentlich, was vorgehe, und als plötzlich der Ruf: Feuer! Feuer! durch das Haus tönte, löste sich der wirre Knäuel im panischen Schrecken und stürzte wieder die Treppe hinunter. Ein erstickender Qualm füllte alle Räume des Hauses; durch ihn hin schleppten die genuesischen Schiffsleute ihren zu Tode verwundeten Kapitän und den gefesselten Wassergeusen Jan Norris! Durch den Rauch trug Leone della Rota die bewußtlose Myga die Treppe hinab auf die Straße, wo bereits ein neuer Kampf auszubrechen drohte zwischen den Matrosen des Andrea Doria und den spanischen Soldaten, welche den erstern ihre Gefangenen entreißen wollten. Aber Trommelschlag verkündete die Ankunft eines höheren Befehlshabers, welchem Leone dann Bericht abstattete, so gut es die Betäubung, in welcher er sich befand, ihm gestattete. Der Don gab gravitätisch seine Meinung ab: es sei das beste, den verwundeten Kapitän, den Geusen und die Dirne auf das Schiff zu bringen, man habe dann morgen beim Verhör alles hübsch zusammen; – übrigens gehöre der Gefangene als Seeräuber jedenfalls an eine Rahe, also sei die Fortschaffung desselben auf die Galeone auch in dieser Hinsicht das Angemessenste. – – – –

      Gegen den Kai hinunter wälzte sich die Menge. Fackeln beleuchteten den wilden Zug und warfen ihren flackernden Schein auf den verwundeten Antonio, die ohnmächtige Myga und den gefesselten Jan Norris, welcher letztere sich stumpfsinnig von seinen wütenden Feinden fortschleifen ließ. Noch immer trug Leone della Rota die Myga im Arm, aber ohne zu wissen, auf welche Weise das gekommen war. Alles drehte sich in seinem Gehirn wie im Traum trug er seine leichte Last an Bord der Galeone.

      In der Kajüte bereitete man dem wunden Kapitän ein Lager. Ein Wundarzt kam, die Wunde des noch immer bewußtlosen Antonio zu untersuchen und den Kopf darüber zu schütteln. Myga van Bergen kauerte in einem Winkel der Kajüte, ohne daß sich für jetzt jemand um sie kümmerte. An den großen Mast fesselte man den Steuermann der schwarzen Galeere, und hohnlachend umgaben ihn die erbarmungslosen Feinde.

      Erst spät legte sich der Tumult in der Stadt, nachdem man das brennende Haus hinter der Hafenmauer gelöscht hatte. Früher ward es still an Bord der Galeone Andrea Doria. Regungslos lag Antonio auf seinem Lager, regungslos saß Leone bei ihm, regungslos kauerte Myga in dem dunkelsten, entferntesten Winkel. Man hörte auf dem ganzen Schiffe kaum etwas anderes als das Rauschen des Stromes, das Geräusch des Takelwerks im Winde und den Schritt der Wache, die mit geladenem Feuerrohr und glimmender Lunte auf und ab ging vor dem Gefangenen am Mast und ihn keinen Augenblick aus den Augen ließ.

      Um zwei Uhr morgens legte sich der Wind ganz und gar, so daß nun auch das Knarren des Takelwerks aufhörte. Es herrschte Totenstille an Bord der Galeone Andrea Doria – Totenstille, die urplötzlich durch einen Schrei und das Krachen eines Büchsenschusses um so schreckhafter unterbrochen wurde.

      Aus der Kajüte stürzte der Leutnant della Rota aufs Deck, aus seinen Kojen und Hängematten stürzte das Schiffsvolk.

      Die Stelle des Gefangenen am großen Mast war leer. Mit abgeschossenem Feuerrohr stand die Schildwache, wirre Blicke um sich werfend, unter den Fragen, den Flüchen der Offiziere und der Mannschaft.

      »Dort, dort! Über Bord!« entrang sich endlich ein heiserer Schrei der Brust des überraschten Mannes.

      »Wo? Wo? Wo?«

      An den Schiffsrand stürzte alles.

      »Die Boote hinunter! Schnell, Schnell!« klang die befehlende Stimme des Leutnants.

      Lebendig wurde es auf der Schelde, Lichter leuchteten durch die Nacht; aber die Nächte sind dunkel im November. Wohl fischte man einen stromab treibenden Leichnam auf, aber es war nicht der des Jan Norris. An beiden Ufern des Stromes hinunter flogen die Lärmsignale; aber vergeblich waren alle Bemühungen der von allen vor Antwerpen liegenden Schiffen ausgesandten Boote.

      Hatte sich Jan Norris gerettet? Hatte er den Tod in den Wellen gefunden?

      Wer konnte das sagen?

      Wie richtete sich aber Myga van Bergen in ihrem Winkel horchend auf, als sie vernahm, daß der Geliebte seine Bande gelöst habe und über Bord gesprungen sei!

      Auf dem Verdeck des Andrea Doria schritt Leone della Rota mit über der Brust gekreuzten Armen auf und ab und murmelte vor sich hin:

      »Wenn er es nur nicht gesagt hätte! Er wird sterben durch meine Schuld – o Antonio, armer Antonio! Vorausgesagt hat er es: ich Kapitän des Andrea Doria, er – er eine Leiche auf dem Meeresgrunde.«

      Der Leutnant stand still:

      »Doch, Leone – ist nicht vielleicht bald – vielleicht morgen – übermorgen dir dasselbe Los bereitet? Wer fürchtet den Tod? Tod ist Vernichtung; – hoch das Leben! – Da kommt die Sonne, frei atme ich wieder, – die blutigen Nebel fallen mir von den Augen! In feurigem Syrakuser will ich dem Morgen zutrinken, mag es auch der letzte sein, den ich schaue!«

      Der Schiffsjunge brachte einen vollen Becher des köstlichen Trankes.

      Leone della Rota hob ihn gegen den glühenden Sonnenball, leerte ihn auf einen Zug und warf das Glas weit in den Strom hinein, indem er den Fuß fest auf den Boden setzte:

      »Kapitän an Bord des Andrea Doria!« sagte er, und kaum vernehmbar setzte er hinzu: »Kapitän des Andrea Doria und Myga die Krone der Weiber von Flandern – mein – mein!« – – –

      Fieberträume

       Inhaltsverzeichnis

      Zum dritten Male seit der Nacht, in welcher die Besatzung vom Fort Liefkenhoek den Kanonendonner der schwarzen Galeere und der Immacolata Concezione und das Auffliegen des letztern guten Schiffes vernahm, senkte sich der Abend hernieder, windstill und ungewöhnlich warm. Wetterkundige behaupteten, es werde mit nächstem viel Schnee geben, und sie mochten recht haben. Nachdem die Sonne am frühen Morgen hell am ziemlich klaren Himmel aufgestiegen war, hatte sie sich gegen Mittag hinter schwerem, grauem Gewölk verkrochen. Dieses Gewölk hatte sich mehr und mehr zusammengezogen, und mit dem Abend senkte es sich immer tiefer herab auf die Stadt Antwerpen, auf Land, Fluß und Meer.

      Wieder befinden wir uns auf dem genuesischen Schiffe Andrea Doria in der Kajüte des Kapitäns.

      Die hängende Lampe wirft ihr rötliches Licht durch das Gemach, über die Waffen, die Karten an den Wänden, über den Boden, auf welchem die blutigen Tücher umherliegen, über das Lager, auf welchem Antonio Valani im Wundfieber stöhnt und phantasiert, über die am Fußende der Kissen kniende Myga van Bergen, über den Leutnant Leone della Rota, welcher neben dem Lager des sterbenden Freundes steht und wilde, seltsame Blicke von dem Verwundeten zu der entführten Jungfrau wandern läßt.

      Um Mittag hat Leone della Rota von dem Admiral Spinola und dem Gouverneur von Antwerpen mit Gleichmut die Bemerkung hingenommen, daß des Meergeusen Entkommen ein Teufelsstreich und er – Leone – schuld daran sei. Mit etwas weniger Gleichmut hat er vernommen, daß ihm – in Ermangelung eines Bessern – der Oberbefehl über die Galeone Andrea Doria für die Expedition des nächsten Morgens anvertraut sein solle.

      Nach