Von neuem ertoste der Jubel der Gratulierenden; der Hauptmann Fasterling gab mir einen Rippenstoß und kratzte sich bedeutend hinter dem Ohr, als ich ihm bemerkte: »Teuerster Herr Hauptmann, solch eine Geschichte ist Ihnen doch nicht passiert, als Sie in Frankreich waren.«
»Ihr seid Schurken allesamt, inwendig und auswendig! Na, Gott führe es zum Besten!«
»Amen! Aus vollem Herzen!« rief ich und küßte meiner holden Cousine die Hand. »Haben wir es nicht gut gemacht, Sidonie?«
Die Kleine schaute errötend lächelnd auf ihren Vater und ihren Verlobten. »Zu Gegendiensten bereit!« sagte sie mir leise ins Ohr; der Hauptmann Fasterling aber stieg auf einen Stuhl und lud die anwesende Versammlung zu einem solennen Verlobungsmahl am Abend ein. Er war vollkommen nüchtern! –
Ich saß mit Weitenweber wieder allein in dem Studierzimmer meines Oheims, auf dessen Fußboden die vielen nassen, großen und kleinen, unförmlichen und zierlichen Fußstapfen allein noch Kunde gaben von dem fröhlichen Wesen, welches vor einigen Minuten hier geherrscht hatte. Die geleerten Flaschen standen noch in den Winkeln umher, der Stuhl, von welchem herab der Hauptmann seine Rede gehalten hatte, lag umgeworfen in der Mitte des Zimmers – der frische Hauch des Lebens, der durch das Haus Bösenberg geweht war, hatte viel Moderduft von dannen getrieben; ich streckte und reckte mich, ich atmete behaglich aus tiefster Brust auf.
»Weitenweber!«
»Rede, verständiger Jüngling Telemachos!«
»Wie gefallen dir Finkenrode und seine Bewohner?«
»Eine alte Jungfer, die in ihrem Kleiderschrank ein Nest von sechs jungen Kätzlein und ihre Lieblingskatze mitten dazwischen findet, kann sich nicht seltsameren Gefühlen hingeben, als ich.«
»Gib jetzt meinen Handschuh heraus, Weitenweber.«
»Nä« sagte näselnd der Chef-Redakteur des Kamäleons. –
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Rezept, um den Redefluß jüngerer und älterer Juristen in das gehörige Bett zu leiten: Man sorge, daß jeder ein Glas Zuckerwasser vor sich habe und erwähne beiläufig die lex Aquilia! – Weitenweber lehrte mich dies Mittel; Weitenweber hatte sich in den Strudel des Finkenrodener gesellschaftlichen Lebens gestürzt! Er verglich anmutig genug seine Gefühle mit denen des Affen, als dieser die Leiter hinab in den gefüllten Salon der Arche Noah stieg.
Wir feierten der Aufforderung des Hauptmanns gemäß die Verlobung Alexanders und Sidoniens; Weitenweber machte Visiten, quälte den Notar Rettig nebst Familie, peinigte den Pastor Primarius Wachtel und seine Angehörigen, elendete den Syndikus Mümmler und Landrat Tendler samt den Ihrigen; Weitenweber besuchte den alten Wallinger und schloß Freundschaft mit der Familie Nadra. Weitenweber strich gleich einer lebendigen Vogel-und Kinderscheuche durch die Stadt und um die Stadt, stieg auf die Kirchtürme und auf die Berge, kroch in die Keller des Rathauses und in das – Herz des Hauptmanns Fasterling – Weitenweber fand auch den Weg in das stille Stübchen des kleinen grünen Häuschens vor dem Burgtore: er erzählte den Frauen Geschichten – von mir – von mir! Alte, alte Geschichten! … Weitenweber wurde mir fürchterlich; ich begriff wahrlich nicht mehr, wie ich ihn mir jemals hatte nach Finkenrode wünschen können. Allmählich geriet ich jedesmal, wenn sein Schritt sich irgendwie hören ließ, wenn er den Mund öffnete, in eine nervöse Aufregung sondergleichen. Hätte ich den Wackern durch ein Zauberwort nach dem Kap der guten Hoffnung versetzen können, ich würde es ohne Bedenken mit Wonne ausgesprochen haben, und viele Leute in Finkenrode hätten jubelnd eingestimmt.
Es war nicht zum Aushalten! Wäre sein Mittagsschlaf nicht gewesen, ich hätte es auch nicht ausgehalten.
Neujahrstag!
Von dem Lehnstuhl des Oheims her tönte es: Trrrr – trrrr – trrrr! Ich saß, den Kopf auf beide Hände stützend, und ließ vor meinem Geiste noch einmal alles vorübergehen, was mir die letzten Monate dieses Jahres gebracht hatten: ich seufzte und ich lächelte – ich seufzte wieder und ich seufzte noch einmal –
Trrrrrrrr!
Der Himmel war dunkel und nebelig, die Fensterscheiben waren überfroren; trotz der frühen Tageszeit war das Gemach bereits in jenes träumerische Dämmerlicht gehüllt, in welchem sich der Geist so gern verliert, in welchem man so leicht alle klaren, bestimmbaren Gedanken aufgibt, um ein phantastisches Bild an das andere zu knüpfen, um eins jener lustigen bunten spanischen Schlösser aufzubauen, welches beim Erwachen zusammenfällt, wie ein Kartenhaus, wenn an den Tisch gestoßen wird.
Erwachend ans meinem Halbschlaf fand ich mich an der Tür, die Hand auf den Griff legend. Manche Glückwünsche hatte ich heute am Morgen abgestattet; sie hatte ich noch nicht gesehen!
»Trrrrr – rr – Max, bleibe bei mir! Geh nicht von wir, Max!«
Ich drückte den Hut mit dem Krampf der Verzweiflung auf die Stirn; mit einem Satz war ich draußen –
»Nimm mich wenigstens mit, Max!«
Ich stürzte, die Zähne zusammenbeißend, die Treppe hinunter. Ich stand in der Gasse!
Mit unsäglicher Lust atmete ich die scharfe, frische Luft ein und eilte dann schnellen Schrittes die Straße hinab, öfters über die Schulter zurückblickend, ob der Unhold mir nicht auf den Fersen folgte. Ein langes Wesen stiefelte zwar hinter mir her; aber ich hatte keine Ursache, mich zu entsetzen: der Herr Syndikus Mümmler und Weitenweber sind zwei ganz verschiedene Personen.
In dem Häuschen vor dem Burgtor trat meinem Glückwunsche Frau Agnes mit einem zierlich gefalteten Schreiben entgegen.
»Wir haben auch einen Brief bekommen, und dem Forstmeister von Altenbach hat der Bote ebenfalls einen gebracht.«
Ich entfaltete das Schreiben – ein Gevatterbrief aus dem Himmelreich!
»Hurra, ein fröhliches, fröhliches Neujahr!« rief ich, erst der Mama, dann der Cäcilie die Hände schüttelnd. »O das ist herrlich, das ist prächtig!«
»Käthchen und Konrad lassen die schönsten Grüße bestellen. Wir fahren mit dem Forstmeister,« sagte Cäcilie, »ich freue mich recht darauf!«
»O ich auch, ich auch!« murmelte ich, den lustigen Brief zum zweitenmal überfliegend. Wie strahlte der dunkle Wintertag! Wie leuchteten die Augen Cäciliens! Trotz dir, Weitenweber! Stelle das ganze Haus Bösenberg auf den Kopf und das Universum dazu! Diesen Brief kannst du mir nicht nehmen!
»Wann? Wann, Cäcilie? Wann fahren wir in den verzauberten, verschneieten Wald, wann fahren wir in das Himmelreich?«
»Sie haben ja zweimal den Brief gelesen,« sagte Cäcilie lächelnd. »Morgen früh um elf Uhr wird der Forstmeister mit seinem Schlitten uns abholen; es ist die schönste Schneebahn bis Rulingen. Wir fahren ins Pfarrhaus, und von dort holt Konrad uns ab in den Wald.«
»O herrlich! herrlich!« rief ich und fragte dann weniger laut: »Und die Mama nehmen wir natürlich auch mit?!«
»Die Mama muß das Haus hüten,« sagte die Frau Agnes. »Ich hoffe, der Herr Forstmeister und Sie, Herr Max, werden die Cäcilie recht beschützen und gut auf sie acht geben. Der Herr Forstmeister hat es mir schon versprochen.«
Ich versprach es ebenfalls und blickte dabei nach Cäcilie hinüber, welche still