Ruhe ist die erste Bürgerpflicht!
oder so was – ich hab’s vergessen –, klappte seinen Pfeifendeckel zu, drehte sich langsam um und ging ins Haus zurück. Meine beiden Jungen brachte er mit, worüber ich seelenfroh war. ›Da, Mutter‹, sagte er, als er sie in die Türe schob. ›Heb sie mir auf‹, sagte er, ›wir brauchen sie einst mal.‹
Ich wußte damals nicht, was das heißen sollte; später erfuhr ich’s!«
Hier traten der alten Frau die Tränen in die Augen, und ihr Spinnrad hörte auf zu schnurren. Es herrschte eine tiefe Stille im Zimmer.
»Gut. Von nun ab bekümmerte sich mein alter Seliger um nichts mehr draußen, sondern ging wieder zu seinem Sägebock und sägte weiter, bis die Einquartierung kam. Herr meines Lebens, da hättet ihr den Mann sehen sollen! Das ganze Haus kam in Aufruhr; das beste, was Küch und Keller hielt, ward aufgetischt, und je mehr die kleinen gelben Kerle schwadronierten und sakermentierten, desto fröhlicher wurde mein Alter.
›Das ist die rechte Sorte!‹ rief er immer, sich die Hände reibend. ›Solche mußten’s sein! Wenn nur genug von ihnen da sind!‹
Französisch hatt’ er etwas von der Wanderschaft mitgebracht, und so waren sie bald die besten Freunde miteinander und auf du und du, daß die Nachbarn ordentlich die Nasen rümpften. Die aber gingen zu allen Depentatschonen und illuminierten und bekränzten ihre Häuser und so – das tat aber mein Gottfried nicht, und wenn er einen vom Rat der Stadt sah, zog er jedesmal richtig die Zipfelmütze herunter über die Ohren. Gut, da war ein Franzos zwischen den andern, der war von daher, wo sie halb deutsch, halb französisch sprechen, den konnt ich auch verstehen, und es war so gut, als wenn ich französisch gekonnt hätte. Was geschieht? Eines Abends sitzen sie alle zusammen, und mein Alter mitten drinnen, und kauderwelschten, daß einem Hören und Sehen verging, und saß ich im Winkel und strickte, und die Jungen spielten im Winkel. Spricht mein Alter auf einmal zu dem Deutschfranzos: ›Nun sagt mal, Kamerad, wie lange denkt ihr denn eigentlich noch in Deutschland zu bleiben?‹
Der Deutschfranzos stieß mit den andern den Kopf zusammen, und sie schnatterten was in ihrer Sprache. Dann lachten sie aus vollem Halse.
›Immer bleiben wir da!‹ sagt der Deutschfranzos. ›Wir sein einmal da; wir gehen nit raus wieder!‹
›Woui!‹ schrieen die andern und hielten sich die Bäuche. ›Nit raus, nit raus!‹
›Ne‹, sagt mein Alter, ›immer nicht. Ihr seid zwar da, und unsereins kann unserm Herrgott nur dankbar sein, daß er euch geschickt hat, aber immer –‹
›Nit raus, nit raus!‹ schrieen die Franzosen.
›Lasset euch handeln!‹ sagt mein Alter, ›ich biete zwölf Jahr – höchstens!‹
›Nit raus, nit raus!‹ kauderwelschten die wieder.
›Willem! Ludwig! Kommt mal her!‹ rief mein Alter jetzt die Jungen, die sogleich angesprungen kamen und sich an seine Kniee stellten.
›Richt euch!‹ rief mein Alter. ›Augen rechts! Seht mal, Jungens, die da – das sind Franzosen, die eigentlich hier nicht in unsere Stube gehören. Das kleine Annchen kann gar nicht schlafen vor ihrem Spektakel – und doch haben sie Lust, immer dazubleiben! Was meint ihr, Jungens – wenn ihr stark genug wäret?‹
Kuckten meine Jungen gewaltig wunderbar aus den Augen und die Franzmänner an und dann sich und dann meinen Alten!
›Das sich finden – ich groß werden – ich schon Pustebacks Theodor zwinge‹, sagte Willem, mein Kleinster. Ludwig, mein Ältester, sagte gar nichts, aber auf einmal rann ihm eine dicke Träne über die Backe, und sein Vater klopfte ihm auf die Schulter und sagte:
›Warte nur, mein Junge, du kommst zuerst.‹
Die Franzosen hatten ihren Heidenjubel; und besonders einer – sie nannten ihn Piär oder so – wußte sich gar nicht zu helfen vor Lachen. Mein Alter aber war sehr ernst geworden und sprach den ganzen Abend kein Wort mehr. Die andere Woche zogen die Franzmänner ab und lachten noch beim Abschied, als sie uns allen die Hand drückten und ordentlich sich bedankten für gute Bewirtung:
›Nit raus, nit raus!‹
›Wird sich finden‹, sagte mein Alter. ›Wird sich finden!‹ schrieen meine beiden Jungen.
Gut, nun kamen lange Jahre und immer andere Franzosen.
›Bald ist’s genug‹, brummte mein Gottfried. Und einmal zogen sie alle hinauf nach Norden, aber zurück kam keiner. Und dann fing’s auf einmal an zu rumoren im Lande, und an den Ecken klebten ganz andere Zettel, die mein Alter immer las und wobei er mit dem Kopf nickte. Er war die Zeit nicht viel zu Haus.
Da kam er eines Tages zurück und rief den Ludwig aus der Werkstatt, und sie kamen beide in die Küche zu mir. ›Sieh, Mutter‹, sagte mein Gottfried, ›‘s ist gut, daß dein Feuer brennt! Paß auf, Ludchen!‹ Damit zog mein Alter seine Zipfelmütze aus der Tasche und warf sie unter meinen Topf, daß sie verschwielte und das ganze Haus voll Qualm ward; dann ging er mit meinem Ludwig fort und kam allein und ganz still wieder.
Am andern Morgen zog ein Trupp schwarzer Reiter in die Stadt – auch durch das Wassertor. Einer kam zu Pferd hier in die Sperlingsgasse vor unser Haus und stieg ab – mir sank das Herz in die Kniee – es war mein Ludwig! –
›Adjes Mutter! Adjes, Vater!‹ rief er – ›behüt euch Gott, ‘s wird sich schon machen!‹ – und dann ritt er fort den andern nach, die schon durch das Grüne Tor zogen.
›Da geht’s nach Frankreich, Alte!‹ rief mein Mann, während ich heulte und jammerte. Aber es war noch so weit nicht.
Wir hörten lange Zeit nichts, bis eines Tages alle Glocken in der Stadt läuteten und auch im ganzen Land, wie sie sagten. Es war eine große Schlacht gewesen, und unsere hatten gewonnen, und mein Ludwig war – tot!
›Der erste‹, sagte mein Alter.
Wieder ging ein Jahr hin, und einmal kam das Kanonenschießen so nahe, daß die Leute vor das Tor liefen, es zu hören; natürlich liefen mein Gottfried und ich mit. Da kamen bald aus der Gegend her, wo es so rollte und donnerte, Wagen mit Verwundeten, Freund und Feind durcheinander, und immer mehr und mehr. Die wurden alle in die Stadt gebracht.
›Herr, mein Heiland!‹ mußte ich auf einmal ausrufen, ›ist das nicht der Piär von damals, von Anno sechs?‹
Richtig, er war’s. Mit abgeschossenem Bein lag er auf dem Stroh und wimmerte ganz jämmerlich. ›Den nehm ich mit‹, sagte mein Alter und bat ihn sich aus, und wir brachten ihn hier ins Haus – in Ihre Stube, Herr Wachholder. Da kurierten wir ihn. Als er besser wurde, hatte mein Mann oft seine Reden mit ihm. Einmal war der Franzos oben auf, einmal mein Alter. Da hieß es plötzlich, die Deutschen seien wieder geschlagen und der Napoleon abermals Obermeister. Mein Alter sah den Willem bedenklich an, als ginge er mit sich zu Rat; als aber in der Nacht die Sturmglocken auf allen Dörfern läuteten, wußte ich, was geschehen würde, und weinte die ganze Nacht, und am Morgen zog auch mein Willem fort mit den grünen Jägern zu Fuß, und Minchen Schmidt, die mit ihrer alten Mutter in Ihrer Stube drüben wohnte, Herr Strobel, weinte auch und winkte mit dem Taschentuch. Vorher aber führte ihn mein Alter noch an das Bett des Franzosen und sagte: ›Das ist der Zweite!‹ – Der Franzos schaute ganz kurios und bewildert drein und sagte gar nichts, sondern drehte sich nach der Wand.
Das Kanonenschießen kam nun nicht wieder so nah, und der Willem schrieb von großen Schlachten, wo viele tausend Menschen zu Tod kamen, aber er nicht, und die Briefe kamen immer ferner her, und auf einmal standen gar welsche Namen darauf. Die brachte mein Alter dem Franzos herauf, der nun schon ganz gut Deutsch konnte, und sagte lachend zu ihm: ›Nun, Gevatter! Nit raus? Nit raus?‹ Und der Franzos machte ein gar erbärmlich Gesicht und sagte, den Brief in der Hand: ›Das sein mein ‘Eimatsort, da wohnen mein Vatter und mein Mutter.‹ Mein Alter aber saß am Bett und rechnete an den Fingern: ›Eins, zwei, vier – acht. Acht Jahr, Gevatter Franzos! Warum habt Ihr dunnemalen meine Zwölf