Die wichtigsten Novellen, Romane & Erzählungen von Wilhelm Raabe. Wilhelm Raabe. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Wilhelm Raabe
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027207619
Скачать книгу
alle die hohen Herrschaften haben über den Wachensteiner und seine Gemahlin gespottet und gelacht. Sie sind alle in der Trunkenheit gewesen, Männer und Frauen, und Herr Melander von Rhoda, des Fürsten Günstling, ist aufgesprungen und hat sich vermessen: er wolle binnen kurzer Zeit die Oberjägermeisterin auch in diese mitternächtigen Wüsteneien locken, und wolle machen, daß sie unter den Tollen und Ausgelassenen die Tollste und Wildeste sein solle. Wie haben da die anderen gejubelt und hin und wieder geschrieen! Wetten haben sie darauf gemacht, und der Kurfürst hat selbst mit dem Herrn von Rhoda gewettet um die Ehre seines treuesten Unterthans. Aber der Melander hat wie ein Teufel in sich hereingelacht und hat sein vorgenommenes böses Werk angefangen am anderen Tage; – sie haben ihm nämlich zur Ausführung desselben ein Vierteljahr Zeit gegeben, bis zum Anfange der Jagd in diesen Bergen. Auf dem kurfürstlichen Jagdschloß Riesenburg drüben an der Südseite des Gebirges haben sie dann das Gelingen oder Mißlingen des höllischen Vorsatzes nach ihrer Art feiern wollen. Was ist doch Verführung für ein fein Ding und doch – nach dem Tod – das gewaltigste. In die feinsten Ritzen und Spalten der Seele dringt sie ein; sie holt den Bauer vom Pfluge weg und den König vom Thron herab, sie beschleicht den Prediger auf der Kanzel und den Rechtskundigen auf dem Richterstuhl, der Jungfrau flüstert sie im Kirchstuhl ins Ohr und die Mutter reißt sie fort von der Wiege ihres Kindes. Was kann der Gewalt der Verführung widerstehen, wenn Gott nicht seine Hand dazwischen hält? … Als der Versucher zum erstenmal an die arme Luise von Wachenstein trat, da fand er sie über der Wiege ihres Kindes; er flüsterte in ihr Wiegenlied und sie brach es ab, um ihm zu lauschen. Da war sie verloren! … Ja, der Herr Melander von Rhoda war ein schöner Mann, wenn er auch nicht so schön war wie Herr Ulrich von Wachenstein; in Falschheit war des Weibes Sinn gesetzet und sie war nur so lange gut und brav, als die Verführung fern von ihr blieb. Doch ist die Sache nicht so schnell gegangen, aber endlich war die deutsche Sitte auf französische Art weggelacht, und der Rhodaer gewann seine Wetten; so daß der ganze kurfürstliche Hof ihn als einen Meister pries. Lange genug dauerte es, ehe Ulrich von Wachenstein daran glauben wollte, daß seine Frau eben ein solches Wesen, wie alle die anderen Damen am Hofe geworden wäre. Wohl gab es bald gute Freunde, welche ihm davon ins Ohr flüsterten; aber Melander und Luise trieben ihr üppig Spiel so im geheimen; und der Fürst sandte seinen Oberjägermeister so oft in die Ferne in allerlei Aufträgen, daß der ganze Sommer des Jahres Siebzehnhundertunddrei darüber hinging, ehe dem Ulrich das schreckliche Licht der Wahrheit ganz hell und klar leuchtete. Allmählich rückte nun der Herbst ins Land, und die Zeit der Jagden begann, die Zeit, wo der Kurfürst mit seinem Hofe nach der Riesenburg zu ziehen pflegte. Da ward der Oberjägermeister vorauf in die Berge gesandt, für das Vergnügen der hohen Herrschaften alles in Stand zu bringen. Da wurden die Bauern von ihrer Arbeit zusammengetrieben, um mit zu helfen im Walde; – es war dazumalen keine Lust, ein Bauer zu sein! … Nun war bis jetzt die Frau von Wachenstein niemals mit den anderen zur Riesenburg gezogen; still und sittsam hatte sie daheim gesessen bei ihrem lieblichen Kinde, und gar kein Verlangen hatte sie gehabt, an dem wilden lustigen Treiben im Walde teil zu nehmen. Jetzt war das aber anders geworden; der Herr Melander hatte ja sein Meisterstück an der Frau des Wachensteiners gemacht; – so verlangte jetzt Luise vom Herrn Ulrich, daß sie mit dem Kurfürsten und den anderen in den Wald ziehen möge, wie es einer vornehmen Dame zukomme. Da war alles Reden und aller Zorn des Oberjägermeisters vergeblich. Vergebens beschwor er sein verblendetes Weib bei ihrer Liebe, bei ihrem Kinde zu bleiben wie sie sei. Sie antwortete nur: sie sähe keinen Schaden daran, daß sie ihr Leben genießen wolle gleich allen anderen, sie habe nicht mehr Lust, eingeschlossen zu sitzen gleich einer Nonne. Und der Melander hat es einzurichten gewußt, das der Fürst sein Wörtlein hat dazu geben müssen, und wie solches ausgefallen ist, das könnet Ihr Euch wohl leichtlich vorstellen. – So hat der Wachensteiner zuletzt eingesehen, daß alles Reden und Bitten vergeblich gewesen ist, da hat er eine schreckliche Drohung ausgestoßen und hat sich auf sein Roß geschwungen und ist wild davongejagt gegen das Gebirge, sein schweres Hofamt auszuführen, und die armen Bauern haben zuerst seinen Zorn erfahren müssen. Zur Frau Luise ist aber noch ihre alte Amme getreten und hat ihre Knie umfaßt und hat die Dame, bei allem was heilig ist, beschworen, nicht zur Riesenburg zu fahren; aber da ist gerade der Herr von Rhoda gekommen, der hat mit seinen Scherzworten die letzten Gewissensbisse verjagt; mit den anderen Damen ist die Oberlandjägermeisterin in den Wald gefahren. Im ganzen Lande ist, bei allen Leuten, welche nicht Französisch verstanden und gesprochen haben, die Riesenburg verrufen gewesen, als ein Ort aller Sünden und Laster, welche die Menschen seit Adams Zeiten erfunden haben. Da ist der Becher aller wilden Lust übergeschäumt; – Ihr braucht nur heute noch dort durch die Säle zu gehen und die Bilder an den Wänden und Decken ansehen, so werdet Ihr schon erkennen, was für ein Leben man vor hundert Jahren dort, im Herbst, getrieben hat. – Wenn die hellen Fenster der Riesenburg nächtlich in den Wald hinausgeglänzt haben, dann sind wohl die Köhler und Holzfäller scheu hinangeschlichen bis an die Gartengitter und haben zwischen Grauen und Lust den Tönen gelauscht, die von dem Schlosse herübergedrungen sind. Sie haben auch gesehen, wie die schönen Herren und Damen in der Dämmerung auf der Terrasse und in den Baumgängen lustwandelten; – sie haben mancherlei gesehen. – Nun ist eines Tages eine große Jagd gewesen, und auf dieser Jagd hat der Oberlandjägermeister einem Gespräche seiner Frau und des Herrn von Rhoda gelauscht; darüber ist er totenbleich geworden und hat den Hirschfänger halb aus der Scheide gezogen, hat ihn aber wieder hineingestoßen, als besänne er sich eines anderen; – hat auch nichts gesagt, sondern seiner Pflicht obgelegen, als ob alles in seiner Seele in Ordnung sei. Die Jagd ist an diesem Tage herrlich ausgefallen, und alles auf der Riesenburg ist am Abend in der besten Laune gewesen. Da haben sie in dem großen Saale bei der Tafel gesessen – die kurfürstlichen Gnaden mit ihrem ganzen Hofstaat, und neben dem Herrn von Rhoda hat die Wachensteinerin gesessen mit glänzenden Augen, schön und stolz. Dem Herrn von Rhoda aber winkte der Kurfürst lächelnd zu, und alle andern thaten dasselbe; – er hatte alle seine Wetten gewonnen, an diesem Abend feierte er seinen Triumph. Der Wachensteinerin aber gegenüber war ein leerer Stuhl, welcher dem Oberlandjägermeister bestimmt war. Die ganze Tafelrunde lachte und spottete an diesem Abend viel über diesen leeren Sessel. Und die Musik erschallte, die Kronleuchter strahlten im Schein von vielen hundert Lichtern, und aller Glanz wurde durch die hohen Spiegel verdoppelt. Wo war der Oberlandjägermeister Ulrich von Wachenstein? Der lag im dunklen Forste in der Hütte eines armen Waldhüters, lang auf der Erde ausgestreckt vor dem Feuer, mit verhülltem Gesichte, und der alte Waldhüter saß neben ihm, und die Hunde lagen um ihn herum und wimmerten leise, wie die Hunde thun, wenn sie merken, daß ihrem Herrn schlecht zu Mute ist. Des Oberlandjägermeisters weißes Pferd aber war vor der Hütte angebunden und steckte von Zeit zu Zeit den Kopf in die Thür und blickte nach seinem Herrn hin. – Auf der Riesenburg dauerte das Festgelage fort; Mitternacht hatte es längst auf dem Schloßturme geschlagen, – die wilde Lust war auf das höchste gestiegen, als ein Diener dem Herrn von Rhoda etwas ins Ohr flüsterte. Dieser schaute überrascht

      auf, dann lächelte er, blickte über die glänzende, lichtvolle Tafel, nickte seiner Nachbarin zu und erhob sich leise und verließ den Saal. Es merkte kaum einer der berauschten Gesellschaft darauf; eine aber merkte darauf und das war die Wachensteinerin. Die überkam es auf einmal so seltsam, – kreideweiß ist sie geworden, und ihre Augen wurden ganz starr und gläsern, sie blickte grade aus, als könne sie durch die Wand sehen und mit einem mal schrie sie gell auf, und die ganze Gesellschaft sprang im höchsten Schrecken von den vergoldeten Sesseln. Draußen dicht vor den Fenstern des Festsaales war ein Schuß gefallen, – ein Pistolenschuß. Diener stürzten mit Windlichtern hinaus in die Nacht und – man trug die Leiche des Herrn Melander von Rhoda in den Bankettsaal. Auf den Stufen der Terrasse hatte man den Toten gefunden – die Kugel war ihm durch das Herz gegangen. Nun hat wohl ein jeder gewußt, wer den Rhodaer erschossen hat, gesagt hat es aber keiner, es ist allen zu Mut gewesen, wie den Leuten im Saal des Königs von Babel, als die Hand hervorkam und die unbekannten Zeichen an die Wand schrieb. Das lustige Getümmel der Damen und Kavaliere ist zerstoben, die Lichter sind erloschen, auf dem Teppich im Bankettsaal ist nur der tote Melander zurückgeblieben. In ihrem Gemache aber ist Luise von Wachenstein wie eine Wahnsinnige gewesen. Sie hat die ganze Nacht um Hilfe und Schutz geschrieen und hat drohende Gesichter in allen dunkeln Ecken gesehen und hat sich erst bei aufsteigender Sonne ein wenig beruhigt. Da hat sie nun geweint und gefleht: man möge sie nach Hause schicken, und man hat ihr willfahret. Um Mittag schon ist sie in ihrer Kutsche mit wenigen Begleitern abgefahren von der Riesenburg;