Die wichtigsten Novellen, Romane & Erzählungen von Wilhelm Raabe. Wilhelm Raabe. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Wilhelm Raabe
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027207619
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aber ist seit der Sporenschlacht, der Schlacht bei Guinegast, welche der letzte Ritter, Kaiser Maximilian der Erste, den Franzosen abgewann, kein Herr von Rhoda gefallen.

      Ja, Severus, das Volk weiß solches recht gut, und mehr und mehr tritt ihm sein Wissen ins Bewußtsein, – Gott helfe weiter dazu! –

      Sever, es ist geschehen; plötzlich, urplötzlich, unbegreiflich ist es Licht geworden. Die Offenbarung ist gekommen; alles schwankt rings um mich her; – ich will deshalb so methodisch als möglich mein Tagebuch schreiben, das mag auch ein Hilfsmittel sein, daß ich nicht untergehe im Sturm und Taumel der Gefühle. O wäre doch jetzt der kühle Sever an meiner Seite!

      Einen Quandelpfahl einzuschlagen, einen Meiler aufzuschichten, ist der Platz am besten geeignet, wo schon einmal Kohlen gebrannt sind, mag es auch vor hundert Jahren geschehen sein. Das ist eine alte Köhlerlehre und eine wahre. Da unser schwarzer Freund auf der einen Stelle seine Arbeit vollendet hatte, so suchte er ein wenig tiefer im Walde einen anderen Platz auf, um daselbst von neuem sein künstlich Gebäude von Fichtenscheiten aufzubauen. Während des Prozesses des Verschwelens darf ein Kohlenbrenner seinen Meiler keinen Augenblick verlassen; Tag und Nacht muß er bei der Hand sein, daß nicht im Innern des mit Rasen bedeckten Haufens eine helle Flamme ausbricht, und seine Mühe und Arbeit vergeblich wird.

      Während der Aufrichtung eines neuen Meilers hat ein Köhler mehr Zeit, und so kam es denn, daß er heute am Nachmittag Ännchen und mich fragte:

      »Habt Ihr schon den Seigergrund gesehen?«

      Auf unsere verneinende Antwort meinte er:

      »O das müßt Ihr sehen! Habt Ihr das nicht gesehen, so habt Ihr nichts im Gebirg gesehen. Jetzt gleich wollen wir gehen, – wartet, ich will eine Fackel zurecht machen. Ohne die wär’s allzu gefährlich.«

      Wir folgten sogleich dem Voranschreitenden, der uns eine Berglehne hinauf und nach halbstündigem Marsche in eine tiefe Felsenschlucht hinab führte.

      Der Mann hatte recht, Sever, wer den Seigergrund nicht sah, der kennt das Gebirge nicht. Im Seigergrunde habe ich die Lösung der Geschichte vom Hufeisen am Thor des Trautensteins vernommen; im Seigergrund habe ich erfahren, weshalb das Bild im Betsaal dem Ännchen von Talavera gleicht; im Seigergrund habe ich erfahren, wer das Ännchen von Talavera ist; im Seigergrund hat das Ännchen – doch ich werde mich selbst verlieren, wenn ich auf diese Weise fortfahre! Höre, höre, Sever!

      Die Sonne strahlte vom unbewölkten blauen Himmel, – seit jenem Gewitter, von welchem ich schon berichtet habe, hatte es nicht wieder geregnet; dessenungeachtet war es so feucht in dem Seigergrunde, daß das Ännchen ihre Röckchen hoch aufschürzte, und ich die Hosen in die Stiefelschäfte stopfte. Üppige Ranken hingen von den moosigen Felsenmassen nieder, Vergißmeinnicht und andere, die Feuchtigkeit liebende, Pflanzen wuchsen prächtig zwischen den riesenhaften Steintrümmern; Eidechsen und Frösche sonnten sich auf Stellen, welche die Sonne traf, ein kleines Schlängelein schoß ringelnd dicht vor meinen Füßen hin und verbarg sich im hohen Grase. Die Schlucht war nicht breit, aber zu beiden Seiten war der Felsen ausgehöhlt, und das erstaunte Auge erblickte eine dunkle Grotte über der andern, aus welchen eiskalte Luftströme hervordrangen.

      Ännchen klammerte sich ängstlich an meinen Arm, wir standen vor einer schwarzen Höhle, welche in das Innere des Gebirges zu führen schien; – auch mir fröstelte bei dem schaurigen Anblick – das war der Eingang zur Hölle Dantes, – still, totenstill, – geheimnisvoll, schrecklich!

      »Das ist ein uraltes Bergwerk, verlassen zu einer Zeit, von welcher man nichts mehr weiß,« sagte unser Führer. »Zu beiden Seiten der Schlucht sind die Berge ausgehöhlt. Es ist nicht zu sagen, wie weit das hineingeht, es kommt einem ein Grauen an darüber. Eine halbe Stunde lang zieht sich der Seigergrund fort, und ununterbrochen werdet Ihr zu beiden Seiten diese Wölbungen und Stollenmündungen sehen. Nun will ich Euch ein wenig davon zeigen; aber sehet Euch vor, daß Ihr Euch nicht erkältet; es ist bitter kalt im Innern des Berges.«

      »Wollen wir hinein, Ännchen; oder wollen wir draußen bleiben?« fragte ich.

      »O, ich fürchte mich nicht; ich will Dir folgen, wohin Du gehst, Federigo!« sagte Ännchen, und wir traten seitwärts in eine der dunkeln Höhlungen.

      »Fürs erste brauchen wir die Fackel noch nicht,« meinte unser Führer. »Nun blickt aufwärts und unterwärts und zur Seiten, Ihr werdet Merkwürdiges genug sehen.«

      Sever, meine Feder erlahmt in der Schilderung dessen, was wir sahen. Jetzt aufrecht, jetzt gebückt krochen wir in das Eingeweide des Berges hinein. Jetzt fiel aus der Höhe durch eine Öffnung das Sonnenlicht in die Finsternis, und die Felsenwand, die es traf, funkelte magisch wie bedeckt mit Millionen von Diamanten. Jetzt wieder leuchtete nur ein schwacher grauer Schein wie aus weiter, weiter Ferne, – bald verengten sich die Wölbungen, bald dehnten sie sich zu mächtigen Hallen aus. In eine derselben, in welche wiederum durch eine Felsenspalte ein Sonnenstrahl fiel, stand der Köhler still und wies auf einen Stein, welcher sich von der Wand abgelöst hatte und ziemlich inmitten der Höhle lag.

      »Hier hat man sie gefunden,« sagte er, »oder vielmehr das, was noch von ihr übrig war. Die Füchse werden sehr bald den Weg zu ihr hineingefunden haben.«

      »Wen hat man gefunden? was hat man gefunden?« rief ich.

      »Nun erschreckt nur nicht, es ist schon hundert Jahre her! Die Wachensteinerin hat hier gelegen, oder ihr Gerippe; die Frau des Herrn von Wachenstein, einige Gebeine, ein goldner Ring mit dem Wappen von Wachenstein, einige Schnallen und ein Waidmesser, dessen Klinge von Rost zerfressen war. Haben sie Euch die Geschichte davon nicht erzählt drüben im Jagdschloß?«

      »Doch, doch!« rief ich mit heimlichem Schauer. »Aber daß es so zu Ende gegangen ist, haben sie uns nicht erzählt.«

      »Ja, ja,« lachte der Köhler, »wenn die da drunten bei ihrem Hufeisen angekommen sind, dann geht das Geschwätz durcheinander; sie haben die Geschichte allzu oft erzählen müssen, und das Hufeisen bleibt für sie doch immer das Merkwürdigste; für mich aber nicht.«

      »Erzähle uns diese Geschichte; erzähle sie uns hier an dieser Stelle!« rief Ännchen mit einem Eifer, den ich sonst durchaus nicht an ihr kannte. Sie stand gleich einem Engel des Lichtes in dem flimmernden Sonnenstrahl, welcher aus der Höhe in den schwarzen, unheimlichen Raum fiel. Ich konnte die Augen nicht von ihr abwenden, Sever; auch der Köhler blickte schweigend noch einige Augenblicke zu ihr herüber; es war so still um uns her, daß wir das Klingen der Wassertropfen hörten, welche durch das Gestein sickerten in einer noch tieferen Tiefe.

      »Der Herr von Wachenstein,« begann nun unser Führer, »war drunten im Lande Oberlandjägermeister und ist mit Vornamen Ulrich geheißen gewesen. Er war ein vornehmer, schöner Herr, und seine Frau, die an dieser Stelle gefunden wurde, war auch aus einem adeligen Geschlechte, und an dem Hofe des Fürsten drunten die schönste Frau. Das war dazumalen eine wüste Zeit; die was Rechtes sein wollten, mußten in allen Schanden und Sünden das Meisterstück gemacht haben und in französischer Art darüber lachen können, sonst lachte man über sie selbst. Das gemeine Volk, welches nicht Französisch konnte, war nur dazu da, das französische Lachen mit seinem Schweiß und seinem Blut zu bezahlen; – es ist ein teuer Ding, das französische Lachen, und ein gelehrter Mann hat mir mal gesagt, wenn es nicht gewesen wäre und noch wäre, so könnte die deutsche Nation König sein auf dem ganzen Erdball. Doch davon mögen andere besser reden; ich habe nur von der Frau von Wachenstein zu erzählen und von dem Herrn von Rhoda, so sie ins Verderben gebracht hat und schuld daran gewesen ist, daß ihr schöner Leib in dieser Höhle hat verkommen müssen. Der Herr von Rhoda, mit Namen Melander geheißen, hat das französische Lachen recht aus dem Grunde verstanden; er hat es in der Stadt Paris selbst gelernt und sein Hab und Gut als Lehrgeld dafür hingezahlt. So ist er aus dem welschen Land heimgekehrt an den Hof des Kurfürsten und hat sich bald so in dessen Gunst und Gnaden eingeschlichen, daß derselbe nichts ohne den Melander hat thun können. Damals ist unter dem Hofgesindel, den Fürsten mit eingeschlossen, unter den deutschen Speichelleckern und dem französischen und italienischen Abenteurervolk der Oberjägermeister Ulrich von Wachenstein der einzige ehrliche Mann und sein Weib Luise die einzige keusche Frau gewesen. Das hat nun alle