»Natürlich nicht. Es sind wirklich Leidende darunter, sogar in der Mehrzahl.«
»Na, Gott sei Dank, sonst würde ich ausreißen.«
»Etwa vor den unverstandenen Frauen?«
»Allerdings.«
»Na, hören Sie mal, ein Kerl wie Sie! Wetten, daß die Damen sich samt und sonders in Sie verlieben?«
»Da sei Gott vor!« hob Ralf so entsetzt die Hände, daß der andere amüsiert lachte.
»Tja, mein Lieber, man muß seinem Beruf auch Opfer bringen.« Er hakte sich bei dem Jüngeren ein. »Meine Füße sind müde, und mein Magen hängt schief. Also habe ich Sehnsucht nach einem weichen Lehnstuhl und einem guten, reichlichen Mahl.«
Beides sollte ihm in dem Haus werden, das sie bald darauf betraten und das auf Ralf einen fast beklemmenden Eindruck machte in seiner beinahe unnahbaren Vornehmheit.
Das Mahl servierte ein Diener, der in diese Pracht wunderbar hineinpaßte. Er war seinem Herrn ebenso treu ergeben wie die Dame, die sich an der Tafel einfand und dem Gast als »betuliches Haushuhn« vorgestellt wurde. Sie lachte dazu, die Fünfzigerin mit leicht ergrautem Haar, dem frischen Gesicht und den guten Augen.
Später stellte sich heraus, daß sie eine entfernte Base des Hausherrn war, die nach einem entbehrungsreichen Leben hier eine Stätte des Friedens gefunden hatte. Und da sie zu den Menschen gehörte, die dankbar und anhänglich sind, fand der Vetter in ihr eine ideale Betreuerin seines Heims und Herdes.
Nach dem vorzüglichen Mahl zog die Dame sich zurück, und die Herren gingen in ein lauschiges Gemach, das ganz mit dicken Teppichen ausgelegt war. Die Wände bedeckten Gobelins, um einen Marmorkamin standen tiefe, weiche Sessel, inmitten ein niedriger Tisch mit herrlichen Intarsien, und an der einen Schmalwand prunkte eine Bar. Die Kaffeemaschine summte, Mokkatassen standen bereit, und aus dem Kühler ragte ein Flaschenhals.
»So, mein Lieber, jetzt möchte ich das tun, was ich bereits andeutete«, schmunzelte der Hausherr. »Nämlich, mit Ihnen im besten Einvernehmen anstoßen.«
Was denn auch geschah. Dabei, bot der sonst so reservierte ältere Arzt dem jüngeren das trauliche Du an, was diesen geradezu verwirrte.
»Herr Doktor, womit habe ich das verdient?« fragte er, und lachend kam es zurück: »Das weiß ich selbst nicht. Aber was macht man schon gegen die Liebe auf den ersten Blick? Man kapituliert. Zuerst tat ich es bei Lenore, dann bei ihrem Ehegespons.«
Da mußte Ralf lachen, und sein Gastgeber nickte befriedigt. »Das habe ich gern, Lachen und Frohsinn zu Hause, nach all dem Jammer im Beruf. So was wünsche ich mir schon lange. Und wenn unser Täubchen erst hier sein wird, dann zieht es andere nach. Denn wo Tauben sind, da fliegen Tauben zu. Ja, ja, ich weiß, dein Gesicht ist nämlich ein einziges Fragezeichen«, besah der Mann sich schmunzelnd seinen Gast.
»Ist das vielleicht ein Wunder?«
»Bei deinem sonstigen Scharfsinn schon. Somit gebe ich denn den Kommentar: Wenn erst Lenore zwischen hier und dort pendelt, schließt sich Ilga ihr bestimmt an. Und unser Traudchen flattert hinterher, von wegen des Kombinierens. Und dann habe ich endlich das frohe Leben im Haus, nach dem ich mich immer sehnte. Kapiert?«
»Das schon. Aber deine Verwandten sind doch schon immer hier aus und ein gegangen?«
»Eben nicht. Sie erschienen selten, weil es ihnen hier zu ungemütlich war. Wie gern hätte ich gesehen, wenn Gunther Interesse für mein Werk gehabt hätte, um in ihm den Nachfolger haben zu können. Aber der Junge wird ein ebenso guter Tierarzt werden, wie sein Vater einer ist.«
»Ist Gunther dein einziger Neffe?«
»Ja, und Ilga meine einzige Nichte.«
»Vielleicht bringt sie dir durch Heirat den erwünschten Nachfolger.«
»Kann schon sein, daß sie sich langsam mit Doktor Hörse zusammenzankt«, war die lachende Erwiderung. »Aber darüber können noch Jahre vergehen. Also, du kannst dich drehen und winden, wie du willst, ich habe dich mir als Nachfolger in den Kopf gesetzt, und der kann manchmal hart sein wie Granit. Ich weiß, du hast Hemmungen, die jedoch Unsinn sind. Durch Lenores Erbschaft bist du sehr wohl in der Lage …«
»Lenore? Erbschaft?« echote Ralf. »Davon weiß ich ja gar nichts.«
»Na, nun schlägt’s dreizehn! Hat sie dir denn nichts davon gesagt?«
»Nein, das hat sie in ihrer Erregung wohl vergessen. Wen hat sie denn beerbt?«
»Ihre Mutter.«
Kurz gab er wieder, was er über die Angelegenheit wußte. Und je länger er sprach, desto mehr verfinsterte sich Ralfs Gesicht.
»Wieviel ist es denn?« fragte er.
»So um eine dreiviertel Million herum.«
»Das hat mir gerade noch gefehlt!« lachte Ralf hart auf. »Da dachte ich, mit meinem bißchen Geld mir meine Frau zurückzuerobern, indem ich ihr eine eigene Wohnung einrichte, und nun dies. Es ist, um auf die Akazien zu klettern.«
»Tu’s nicht, mein Sohn«, entgegnete der andere ungerührt. »Die Dinger sollen nämlich erbärmlich stechen. Freu dich lieber über den reichen Segen, den du als mein Nachfolger mal nötig brauchen wirst. Oder glaubst du etwa, daß ich dir das alles hier ringsum mal schenken werde?«
»Ich würde so ein Riesengeschenk gar nicht annehmen.«
»Vorläufig ist es ja noch nicht soweit«, meinte Reinhard pomadig. »Ich gedenke noch einige Jährchen zu leben mit meinen jetzt fünfundvierzig Jahren. Bis dahin zahle ich dir Gehalt, von dem ich dir allerdings die Verpflegung für dich und deine Familie, die sich hoffentlich bald vergrößern wird, abziehen muß.«
»Dann wird von dem Gehalt wohl nicht viel übrig bleiben«, warf Ralf trocken ein, und der andere lachte.
»Na, du, ich zahle anständig. Junge, was habe ich bloß für eine Mordsfreude, daß ich nun auch eine Familie haben darf. Denn zusehen und immer nur zusehen, das macht bitter.« Ganz leise war das letzte gesagt. Und was der junge Arzt darauf erwiderte, klang wie ein Schwur: »Du sollst nie mehr allein sein, Reinhard, das verspreche ich dir.«
*
»Es paßt gut, daß heute Sonntag ist«, sagte Reinhard, als er an Ralfs Seite den Wiesenpfad entlangschritt. »Da haben wir wenigstens Aussicht, die gesamte Familie anzutreffen, wenn wir so treulich vereint auf der Bildfläche erscheinen. Für meinen Bruder gibt es allerdings keinen Sonntag, wie für uns ja auch nicht. Wir Ärzte müssen ständig in Bereitschaft stehen. Da heißt es eben: werde nicht Arzt, wenn du nicht aus dem Beruf die Konsequenzen ziehen willst! – Doch, Hermann ist da. Ich erspähe ihn bereits auf der Terrasse im trauten Kreise seiner Lieben. Auch die Oberschwester ist dabei, hat also immer noch Urlaub.«
Fünf Minuten später standen sie dann vor den sechs Menschen, die nicht gerade geistreiche Gesichter machten, was dem kleinen Arzt ein amüsiertes Lächeln entlockte.
»Kinderchen, klappert nicht mit den Augen, ihr seht richtig. Ralf und ich – ich und Ralf. Ist denn das so verwunderlich?«
»Also, Onkel Reinhard, wenn du nicht deine Späße machen kannst, ist dir einfach nicht wohl«, wurde Ilga als erste mobil. »Steckst ganz so voller Ulk wie Wilmar.«
Erschrocken hielt sie inne, rot lief ihr Gesichtchen an. Doch die anderen waren taktvoll genug, ganz harmlos zu tun.
»Spaß muß sein, sagte die Katze und fraß den Spatz«, meinte Gunther pomadig und half so der Schwester über ihre Verlegenheit hinweg.
Inzwischen hatten die beiden Besucher Platz genommen, und nun bequemte Reinhard sich endlich zu einer Erklärung, die dann gewissermaßen wie eine Bombe einschlug. Alles rief und fragte durcheinander, nur Lenore saß mit erschrockenen Augen da. Niemand kümmerte sich um sie, alle sprachen auf die beiden Herren ein, bis sie restlos alles wußten.
»Wo