»Sag mal, Mama, ist es wahr, daß dieses fremde Mädchen von Papa ein Reitpferd geschenkt bekommen hat? Anka hat so etwas erlauscht…«
»Aha…«, warf Philchen trokken ein. »Daher weht der Wind! Hoffentlich wird dein Reinhold seiner Tochter die vorwitzigen Ohren stutzen. Aber sprich nur weiter.«
»Tante Philine, daß du deine Spitzfindigkeiten nicht lassen kannst!«
»Genauso wenig wie du deine Mißgunst gegen das fremde Mädchen«, kam die Antwort prompt. »Aber damit du nicht länger um das herumzurätseln brauchst, was dir deine neunmalkluge Tochter zutrug, will ich dir verraten, daß das fremde Mädchen wirklich seit gestern glückliche Besitzerin eines Reitpferdes ist…«
»Aber, mein Gott, das kostet doch Geld!« jammerte Thea dazwischen. »Das kann das Mädchen von seinem Gehalt doch unmöglich bezahlen. Stell dir mal vor, was ein Reitpferd selbst schon kostet, und dann die Unterhaltung noch dazu. Damit kann man ja ein Kind ernähren und kleiden. Anka hat so manches nötig, aber man kann doch nicht verlangen, daß ihr Stiefvater…«
»Jetzt hör aber auf, Thea!« wurde das Gejammer nun selbst der nachsichtigen Mutter zuviel. »Für Anka zahle ich monatlich hundert Mark aus meiner Tasche, obwohl ich das gar nicht nötig habe. Denn ein Mann, der eine Witwe mit Kind heiratet, wird sich wohl denken können, daß er dieses Kind mit ernähren muß. Und soweit ich Reinhold beurteile, wird er das als selbstverständlich erachten. Nur deine Habgier, leider muß ich den krassen Ausdruck jetzt auch gebrauchen – sucht nach Gründen, um möglichst viel aus dem Portemonnaie deiner Eltern ziehen zu können…«
»Aber, Mama, welch eine vulgäre Bezeichnung!«
»Ach was, vulgär oder nicht! Jedem Menschen reißt einmal die Geduld, und meine war doch wahrlich langmütig genug. Vater hat sich mit Reinhold schon längst geeinigt, der von seiner Großzügigkeit wirklich beschämt war. Und wenn ich dir einen guten Rat geben darf, dann zeige diesem wahrhaft anständigen Menschen nie deine Mißgunst. Das könnte ihn nämlich abstoßen und dein erwartetes Eheglück beeinträchtigen.«
Man sagt den Menschen nach, daß sie manchmal vor Verblüffung den Mund zu schließen vergessen – und das war jetzt bei Thea tatsächlich der Fall. Was war denn plötzlich mit ihrer sanften, stillen Mutter los? In so geharnischter Stimmung hatte sie diese noch nie gesehen.
»Mama, was ist dir denn geschehen?« fragte sie ängstlich. »So spricht eine Mutter doch nicht mit ihrem Kind! Und ich war dir immer eine gute Tochter.«
»Ja, solange ich dir den Willen tat – und zwar aus Bequemlichkeit und Schwäche«, bemerkte Ottilie bitter. »Aber wenn jemand dem Tod so nahe war wie ich und dieser gewährt einem dann doch noch eine Frist, dann lernt man das Leben mit anderen Augen ansehen. Vor allen Dingen lernt man Gericht halten über sein Tun und Lassen – auch Unterlassen. Das möchte ich nun nachholen, solange mir noch Zeit dazu bleibt. Und so möchte ich es nicht unterlassen, dir zu sagen, daß deine Mißgunst abstoßend wirkt. Kämpfe also gegen sie an.«
Da ging Thea tiefgekränkt davon, und Philchen schmunzelte.
»Ottichen, du fängst an, mir direkt zu imponieren. Man sagt wohl: Ein Mensch von sanftem Charakter macht sich selbst und andere glücklich – aber ich bin vielmehr der Ansicht, daß zuviel Sanftmut den Charakter der anderen verdirbt.«
»Ach, weißt du, Philchen, so forsch wie ich tat, war mir gar nicht zumute«, seufzte Ottilie. »Es will nämlich gelernt sein, den Menschen seine Meinung zu sagen, was ich bisher unterließ, um sie nicht zu kränken. Nun, wenigstens Eike ist ganz nach meinem Sinn geworden. Es ist nur ein Jammer, daß er sich mit der Ehe sein Leben so verpfuscht hat.«
»Er kann es ja ändern, indem er einen dicken Strich darunter macht«, tröstete Philchen die betrübte Schwägerin. »Zwar wird es einen harten Kampf geben, aber er ist ja Manns genug, um ihn auszufechten.«
»Du denkst an Scheidung, Philchen?«
»Ja, Otti. Das heißt, wenn Ilona ganz gesund werden sollte. Im anderen Fall würde Eike ihr nie den Laufpaß geben. Das verträgt sich nicht mit seinen Ehrbegriffen.«
»Und das Kind, Philchen? Kinder sind immer die Leidtragenden, wenn sich die Eltern scheiden lassen.«
»Das trifft in diesem Fall gewiß nicht zu. Ute hat von ihrer Mutter so oder so nichts. Allerdings müßte sie dem Vater zugesprochen werden. Na, warten wir ab. Kommt Zeit, kommt Rat.«
*
Während die beiden Damen sich über ungelegte Eier den Kopf zerbrachen, wie der Bauer zu sagen pflegt, saß Eike dem Professor Lutz gegenüber, der ihn schmunzelnd betrachtete.
»Sie sehen gut aus, mein lieber Dr. Hadebrecht, so richtig erholt und ausgeruht. Ja, ja, solche Eheferien haben es in sich. Ich pflege sie oft geplagten Ehemännern zu verschreiben.«
»Ein menschenfreundliches Rezept«, zeigte sich nun auch auf dem rassigen Männerantlitz ein Schmunzeln. »Und wie lange werden die für mich noch dauern?«
»Einige Wochen bestimmt noch. Zwar geht es der holden Gattin erfreulich gut, aber ich möchte sie noch einige Zeit unter Beobachtung behalten. Sie fühlt sich ja auch recht wohl hier, seitdem sie mit der Dame das Zimmer teilt, die genauso wie sie über die Rücksichtslosigkeit ihres Eheherrn empört ist. Da können sie sich gegenseitig ihr Leid klagen, und darüber vergeht die Zeit recht angenehm. Na, gleich und gleich gesellt sich eben gern.«
»Sie meinen also, Herr Professor, daß meine Frau ganz gesund wird?«
»Unbedingt. Sie sollen mal sehen, wie wunderbar sie schon wieder auf den schlanken Beinchen steht. Nur die Sehnsucht nach dem ›Heißgeliebten‹ ist bisher ungestillt geblieben. Wollen Sie diese nun stillen?«
»Mir schon recht«, lachte Eike da sein warmes, sonores Lachen, das dem Arzt, der in seiner Praxis selten so etwas zu hören bekam, wie Musik klang. »Und ich verspreche Ihnen, Ihre Patientin nicht aufzuregen.«
»Das tut sie schon selber«, kam die Antwort so trocken, daß Eike wieder lachen mußte.
Wenig später betrat er an der Seite des Professors ein Zimmer – und schon prasselte eine Schimpfkanonade los, die man ihrer Ausdauer wegen bewundern mußte. Die ganze Wut, die sich während der Wochen in der temperamentvollen Dame angesammelt hatte, kam über das Haupt des mit Sehnsucht Erwarteten, so daß es selbst Ilonas Zimmernachbarin zu viel wurde.
»Na, hören Sie mal, das dürfte ich meinem Mann nun wahrlich nicht bieten!« bemerkte sie bei einer Atempause der Schelten, den mißbilligend. »Ich glaube, da würde es Ohrfeigen nur so hageln.«
Darüber lachte der Professor wie über einen Witz, indem er Eike rasch aus dem Zimmer zog, der nun ganz benommen neben ihm den langen Korridor entlangschritt.
»Stürmischer Empfang, nicht wahr?« zwinkerte Lutz ihm zu. »Hoffentlich hat der Herr Dr. jur. die Beweise notiert. Könnte ein nettes Aktenstück für Beleidigung geben.«
»Ppfff –«, stieß Eike den Atem durch die Lippen. »Wenn der übrige Gesundheitszustand meiner Frau so auf der Höhe ist wie ihr Mundwerk, dann kann sie wohl zufrieden sein.«
»Kann sie auch, sehr sogar. Aber Zufriedenheit ist nun mal ein zartes Pflänzchen, das nur spärlich gedeiht. Kommen Sie mit in mein Zimmer, und trinken Sie einen Kognak, den haben Sie bestimmt nötig.«
Als er getrunken war, sagte der Arzt sehr ernst: »Mein lieber Dr. Hadebrecht, nehmen Sie es mir bitte nicht übel, aber Sie sind zu schade für diese Frau. Nehmen Sie den Rat eines erfahrenen Mannes und Psychologen an – trennen Sie sich von ihr. Sonst werden Sie, und Ihre Familie mit Ihnen, nie zur Ruhe kommen. Und wenn Sie bei der Scheidung Ihres Kindes wegen Schwierigkeiten haben sollten, werde ich mich für Sie einsetzen.«
Die Männerhände fanden sich zu einem festen, warmen Druck, und dann brach bei dem berühmten Mann wieder der trockene Humor hervor, hinter dem sich so viel warme