»Großartig«, sagte Kati dankbar und erleichtert, »das ist nämlich der einzige Punkt, der mir Kopfzerbrechen macht. Alles andere dürfte kein Problem sein, ganz im Gegenteil! Bis jetzt kann ich nur sagen, daß Montelindo meine Erwartungen bei weitem übertrifft!«
»Wollen wir hoffen, daß es so bleibt«, lächelte Angelika Knobel, setzte ihre Sonnenbrille auf und trat in den gleißenden Sonnenschein vor der blau gestrichenen Haustür, »wenn Ihnen etwas fehlt, rufen Sie uns an. Die Telefonnummer steht auf der kleinen Liste neben dem Apparat. Ansonsten sehen wir uns am Montagmorgen.«
*
Den Rest des Tages verbrachte Kati glücklich in ihrem neuen Heim, wo sie barfuß über die Steinfußböden lief, den Inhalt ihres großen Koffers und der beiden Reisetaschen in die eingebauten Schränke räumte, die Dusche ausprobierte und Serafina beim Kochen zusah.
Es gab Fleischbällchen mit Reis in einer würzigen Soße, die einen verführerischen Duft verbreitete. Hübsches, buntes Geschirr wurde durch das weit geöffnete Küchenfenster auf eine breite, steinerne Fensterbank geschoben. Draußen, unter einem Ziegeldach öffnete sich der Innenhof, mit Hibiskus und wilden Orchideen und einem kleinen Springbrunnen. Der Eßplatz mit rundem Tisch und vier Stühlen befand sich praktischerweise gleich vor dem Küchenfenster.
Kati nahm Teller und Besteck, Schüsseln und Gläser entgegen und stellte benommen fest, daß nicht einmal ein Serviettenständer fehlte.
Sie kam sich vor wie Alice im Wunderland bis zu dem Moment, da Serafina freundlich und bestimmt ablehnte, sich zu ihr zu setzen.
Aber das Essen war so köstlich, die selbstgebraute Zitronenlimonade mit Minzeblättchen so erfrischend und Serafinas Miene so zufrieden, daß sich der kleine Schatten rasch wieder verzog.
Die Mittagsstunde verbrachte Kati auf ihrem Bett liegend und vor sich hin träumend, nachdem sich Serafina bis zum nächsten Morgen verabschiedet hatte.
Am späten Nachmittag besichtigte Kati ihren kleinen Vorgarten, goß ein paar üppige Fettpflanzen neben dem Eingang und ein paar Küchenkräuter in einem Blumenkasten.
Sie sah zu, wie die Sonne hinter einer weiß leuchtenden Kirche im Kolonialstil unterging und zuckte erschrocken zusammen, als ein Motorroller heranbrauste, eine Staubfahne hinter sich her zog und mit Getöse vor dem Nebengärtchen zum Stehen kam.
»Hallo«, sagte der Fahrer und wandte ihr sein staubbedecktes Gesicht zu, »sind wir vielleicht Landsleute?«
»Könnte gut sein«, erwiderte Kati, die Gestalt in Jeans und T-Shirt neugierig betrachtend, »ich komme aus Deutschland.«
»Ich auch«, erklärte der Rollerfahrer mit bemerkenswertem Gleichmut und blies sich ein Büschel glatter heller Haare aus der Stirn, die ebenso verstaubt waren wie seine Unterarme, »die meisten in dieser Wohnanlage sind Deutsche. Ein paar Amerikaner gibt es auch, und ab und zu kommen zwei Italiener von einer Baufirma. Bist du neu im Land?«
»Kann man sagen, ja. Seit gestern. Ich habe eine Stelle in der deutschen Schule. Und du?«
»In der Botschaft. Übrigens, ich bin Christof.«
Er streckte ihr eine ölverschmierte Hand entgegen, die sie herzhaft schüttelte.
»Trägst du keinen Helm?« fragte sie erstaunt.
Er fuhr sich unwillkürlich durchs Haar.
»Ach so – wegen dem Roller! Nein, das tut hier kein Mensch!«
»Solltest du aber«, meinte Kati, nickte ihm zu und griff wieder nach ihrer Gießkanne.
»Man merkt’s doch immer gleich«, seufzte Christof.
»Was?«
»Wenn man eine Lehrerin vor sich hat!«
»Paß auf, daß ich dich nicht begieße!«
»Mit dem bißchen Wasser in dem Kännchen kannst du mich nicht schrecken! Außerdem muß ich sowieso jetzt duschen. Also, mach’s gut. Wenn du mich erreichen willst, brauchst du nur gegen deine Wohnzimmerwand zu hämmern. Oder in deinem Patio nach mir zu rufen. Wie heißt du überhaupt?«
»Kati.«
»Aus Bayern?«
»Nein, vom Niederrhein.«
»Na dann, Kati, adios und guten Start in Montelindo! Samstags um fünf ist bei mir Happy Hour. Würde mich freuen, dich zu sehen.«
»Was genau ist das?«
»Eine gute tropische Sitte. Drinks, Musik, nette Gesellschaft. Wird dir bestimmt gefallen. Ist ein guter Ausgleich zur strengen Schulordnung.«
Er warf seine staubigen blonden Haare zurück, grinste sie an und schob seinen Roller ins Haus.
Kopfschüttelnd kehrte Kati zu ihren Pflanzen zurück. Der war ja richtig verwildert, der Typ!
Und so was arbeitete in der Botschaft! Diplomaten, dachte Kati, habe ich mir immer ganz anders vorgestellt.
Den Abend verbrachte sie mit Eintragungen in ihr Tagebuch und einem langen Brief an ihre Eltern und Geschwister mit begeisterten Schilderungen ihrer neuen Umgebung.
Die Versuchung, auch an Achim zu schreiben, ging vorüber. Gott sei Dank. Schließlich war sie hier, um ihn zu vergessen. Zu tief hatte er sie enttäuscht.
Daran ließ sich im Nachhinein nichts mehr ändern, so sehr er es auch darauf anlegte.
Nein, sie wollte unerreichbar sein und bleiben, ihm keine Zeile schicken und vor allem keine Adresse.
»Vorbei ist vorbei!« sagte Kati laut in die Stille ihres Schlafzimmers, wo man die Musik aus dem Nachbarpatio nicht hören konnte.
Auf ihrem Bett liegend legte sie ein Vokabelheft an und notierte sich alle spanischen Wörter, die sie heute gehört hatte.
Am nächsten Morgen kam Serafina schon früh, zeigte Kati den eingebauten Safe hinter der Küche, gab ihr den Schlüssel und legte ihr nahe, alle Wertsachen einzuschließen.
Dann machten sie sich gemeinsam auf den Weg zu den kleinen Geschäften und dem großen Einkaufszentrum, wo es von Menschen wimmelte, dann überquerten sie die breite Straße, besuchten die schöne, kühle alte Kolonialkirche, in der gerade eine Taufe stattfand, und kehrten zurück in die vergleichsweise ruhige Umgebung der Wohnanlage mit den schmalen, von Araukarien gesäumten Wegen und den gepflegten Vordergärtchen.
Auf Anraten Serafinas hatten sie eine Tageszeitung gekauft, fast so dick wie ein Buch, mit vielen, leicht verschwommenen, bunten Bildern und unzähligen Anzeigen. Nichts, so erklärte Serafina, bringt einem Menschen die neue Heimat und die Umgangssprache so nahe wie die Tageszeitung. Noch effizienter erschien ihr das Fernsehprogramm, aber in Katis Behausung in der Caille Santa Trinidad Nummer 12 gab es aus unerfindlichen Gründen keinen Fernseher.
Nebenan, bei Don Christof, teilte Serafina ihrer neuen Schutzbefohlenen mit, könne sie, wenn sie wolle, sicher ab und zu wenigstens die Nachrichten sehen. Er nämlich habe sich einen Apparat gekauft, noch dazu einen tragbaren, der leicht überallhin mitzunehmen sei. Sogar an den Strand. Allerdings nicht auf einem Motorroller.
Aber manchmal verfüge Don Christof über ein Auto von der Botschaft. Sollte Kati etwas zu transportieren haben, würde er das sicher gern für sie erledigen.
Kati bedankte sich für die Information, hoffte jedoch zuversichtlich, ohne Don Christofs Hilfe auszukommen, jedenfalls