Seewölfe - Piraten der Weltmeere 55. Roy Palmer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Roy Palmer
Издательство: Bookwire
Серия: Seewölfe - Piraten der Weltmeere
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783954393725
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zu langsam weiterbrachte. Zweitens, weil das Marschieren eines Sonderkuriers des Stadtkommandanten von Cadiz ganz und gar nicht würdig war.

      Die Lösung des Problems ergab sich von selbst.

      Aus Richtung Barbáte näherte sich in einer dichten Staubwolke ein einzelner Reiter. Als er den Sargento und den daliegenden Hengst erblickte, verringerte er sein Tempo. Pereda kniff die Augen zusammen. Aus den Lidschlitzen gewahrte er, daß es sich um einen zivil gekleideten, nicht sonderlich großen Mann auf einem Apfelschimmel handelte.

      Es bestand die Gefahr, daß der Fremde sich zum Ausweichen entschloß. Man war nie sicher vor unliebsamen Überraschungen. Pereda setzte sich rasch den Helm auf. Er schwitzte darunter, aber er baute darauf, daß der Mann dort vor einem Unteroffizier Seiner Majestät Philipps II. von Spanien keine Furcht empfand.

      Pereda winkte ihm zu. Und dann tat er noch etwas. Er zückte die Radschloßpistole und legte auf den Hengst an. Er krümmte den Finger um den Abzug. Das Rad lief surrend ab. Die sprühenden Funken zündeten die Ladung. Krachend brach der Schuß. Pulverqualm stob hoch, die Kugel schlug dem Hengst in den Schädel. Das Tier wieherte und bäumte sich auf, dann lag es still.

      „Aus“, sagte Pereda.

      Er nahm den kleinen Schlüssel für die Pistole zur Hand und zog den Radmechanismus wieder auf. In aller Ruhe lud er mit Pulver, Verdämmungspfropfen und Bleikugel wieder nach.

      Der fremde Reiter zügelte den Schimmel vor ihm. Betroffen schaute er auf den toten Andalusier-Hengst. Er war ein untersetzter, dickleibiger Mensch mit etwas unterlaufenen Augen und Ansatz zu Hängewangen und Doppelkinn. Dabei war er höchstens erst Ende der Zwanzig.

      „Gott im Himmel“, sagte er. „War das denn nötig? So ein wunderschöner Hengst ...“

      „Er hatte sich den linken Vorderlauf gebrochen“, log der Sargento.

      „So? Das sehe ich aber nicht.“

      „Wer sind Sie, Mann?“ fragte Pereda arrogant.

      Aber noch eine Spur hochnäsiger erwiderte der übergewichtige Mann: „Pedro Ortuno de Alcala y Jimena, ältester Sohn des mächtigsten Adligen in dieser Provinz, Don Arturo Ortuno ...“

      „Schon gut“, schnitt Pereda ihm das Wort ab. „Sie stehen einem Spezialbeauftragten der Krone und des Stadtkommandanten von Cadiz gegenüber. Ich habe Meldungen von allergrößter Tragweite für Algeciras.“

      Ortuno saß ab und näherte sich mißtrauisch dem Tierkadaver. „Das mag stimmen. Aber zum einen verlangt mir das nicht den geringsten Respekt ab, zum anderen halte ich Sie für einen außerordentlich komischen Vogel, Sargento. Ich verstehe von Pferden ziemlich viel. Sehen wir doch mal, ob Sie diesen herrlichen Braunen zu Recht oder verantwortungslos und kaltherzig abgeknallt haben.“

      Er kniete neben dem toten Tier nieder, untersuchte es kurz und richtete sich empört wieder auf. Der Sargento saß auf dem Apfelschimmel.

      „Tut mir leid, Hochwohlgeboren“, sagte er. „Aber ich muß Ihr Pferd beschlagnahmen. Sie kriegen es später wieder.“

      „Das wagen Sie nicht.“ Ortuno griff zum Degen.

      Pereda hob nur die Radschloßpistole, spannte den Hahn und zielte auf ihn. „Ich an Ihrer Stelle würde hübsch vernünftig sein. Ich kenne mein Recht als Soldat. In Ausnahmefällen darf ich durchaus ein Reittier konfiszieren.“

      „Ich lege Beschwerde ein ...“

      „Tun Sie das. Adios.“

      Sargento Fausto Pereda preschte nach Südosten. Er ließ einen mörderisch fluchenden Ortuno zurück, der ihm die Pest an den Hals wünschte und ewige Blutrache schwor.

      2.

      Die Männer der „Isabella VII.“ hatten ihren Kapitän hochleben lassen, und es hatte eine Extraration Rum gegeben, mit der Hasard das Wiedersehen begossen hatte. Jetzt, nachdem sie Cadiz und damit das unmittelbare Feindgebiet hinter sich gelassen hatten, hatte er es sich und seinen Männern erlauben können, auf den Sieg anzustoßen. Und es war auch Zeit für eine schlichte, jedoch tief empfundene Äußerung gewesen.

      „Ich danke euch. Ihr habt mir das Leben gerettet.“

      „Jetzt hör aber auf“, sagte Carberry.

      „Das war doch nicht der Rede wert“, meinte Ben Brighton. „Wir sind schon durch dickeren Schlamassel gestampft, stimmt’s?“

      „Allerdings“, sagte Matt Davies. „Wäre doch ein Witz, wenn wir nach allem, was wir zusammen so durchgestanden haben, mit dem gegenseitigen Dankeschönsagen anfangen würden. Das gäbe ja kein Ende mehr.“

      „Ohne unseren Kapitän wären wir alle längst als Haifischfutter geendet“, fügte Gary Andrews hinzu. Er sagte das sehr ernst, und er wußte, daß es nichts gab, mit dem Philip Hasard Killigrews bedingungsloser. Einsatz für sie aufzuwiegen gewesen wäre. Er, Gary, trat geradezu selbstvernichtend für das Leben und Wohlergehen des Seewolfes ein, denn Hasard hatte ihn dem Teufel höchstpersönlich von der Schippe geholt – damals, vor dreieinhalb Jahren, südlich der Azoren.

      Hasard war froh und gerührt zugleich. Eine solche Crew gab es kein zweites Mal. Jeder Schiffsführer konnte ihn darum beneiden, selbst Francis Drake. Gleichzeitig wurde Hasard aber auch von Skrupeln geplagt. Seine Männer gingen für ihn durchs Feuer, schön und gut. Aber hatte er das Recht, ihnen in diesem Fall soviel abzuverlangen?

      Er hätte sich schwere Vorwürfe gemacht, wenn auch nur einer von ihnen bei dem tollkühnen Befreiungsunternehmen im Fort San Sebastian verletzt worden wäre. Denn solange es darum ging, den Spaniern Gold, Silber und Juwelen zu entreißen und diese Reichtümer der königlichen Lissy daheim in England zur Verfügung zu stellen, war jeder noch so tolldreiste Einsatz gerechtfertigt.

      Aber hier? Hatte er es sich letztlich nicht selbst zuzuschreiben, daß er von Zumarraga in die Falle gelockt worden war, daß man Gericht über ihn gehalten, ihn als falschen Iren Philip Drummond entlarvt und ihm den Stempel des Spions und Bastards aufgedrückt hatte? Im Grunde genommen war ihm das alles ganz recht geschehen. Man spürte nicht ungestraft seiner Vergangenheit nach, stöberte Geheimnisse und haarsträubende Ungerechtigkeiten auf, bohrte in längst vernarbten Wunden – alles hatte seinen Preis.

      Eben. Dies waren seine persönlichen Belange. Durfte er seine Mannschaft da mit hineinreißen? Benahm er sich ihnen gegenüber nicht unverantwortlich?

      Er geriet in einen echten Gewissenskonflikt. Vielleicht hätte er sein ganzes Vorhaben anders aufrollen und anpacken sollen. Allein. Die Crew hätte in England bleiben können, beispielsweise in Sheerness bei der „Isabella V.“, die er, Hasard, der Königin geschenkt hatte.

      Gewiß, die Männer hätten das nie und nimmer akzeptiert. Sie folgten ihrem Kapitän, notfalls direkt in den Schlund der Hölle. Aber Hasard empfand dieses Argument sich selbst gegenüber als ziemlich billige Rechtfertigung.

      Doch er konnte nicht mehr umkehren. An diesem Punkt seiner Ermittlungen angelangt, mußte er unbedingt weiterforschen und herausfinden, was sich noch alles mit dem Namen Godefroy von Manteuffel verband. Soviel wußte er inzwischen: Er war nicht der Sohn von Lady Anne Killigrew und deren Mann Sir John, diesem alten Schlitzohr und Halunken! Sie hatte ihn nur großgezogen. Lady Anne hatte in jener stürmischen, fatalen Nacht des Novembers 1556 die Hansekogge „Wappen von Wismar“ im Hafen von Falmouth überfallen, die Besatzung umbringen lassen und den schreienden, strampelnden „Bastard“ aus seiner Hängematte geholt und auf die Feste Arwenack gebracht – zusammen mit dem Wein, den sie aus den Frachträumen der Kogge hatte abtransportieren lassen. Lady Anne war sehr gut zu ihm gewesen. Er liebte sie wie eine leibliche Mutter. Aber er war eben doch nur ein „halber“ Killigrew.

      Und seine wahre Mutter? Oh, er kannte jetzt ihren Namen, aber er wünschte, niemals von dem Drama erfahren zu haben, das sich mit ihrem Schicksal verband. Sie, Graciela de Coria, hatte beim Auslaufen der „Wappen von Wismar“ aus dem Hafen von Cadiz damals im Oktober 1556 in letzter Minute verhindern wollen, daß man