»Keinem Menschen dürft Ihr etwas anderes sagen, denn wenn es nur ein Mensch erfährt, daß Ihr Euch mit den Brüdern verständigt habt, wenn auch nur eine lebende Seele eine Ahnung davon erhält, wenn irgend eine Klage zu dem Meister oder zu dem Kapitel dringt – dann werdet Ihr Schlimmes über Euch heraufbeschwören.«
Große Unruhe malte sich auf Jurands Zügen. Im ersten Augenblick war ihm die Angst der Komture, zur Rechenschaft gezogen zu werden, und daher deren Forderung, das Vorkommnis als Geheimnis zu betrachten, ganz natürlich erschienen, jetzt aber regte sich plötzlich der Argwohn in ihm, es könne dem allem noch eine andere Ursache zu Grunde liegen. Da er sich aber darüber keine Rechenschaft zu geben vermochte, erfaßte ihn eine entsetzliche Angst, eine Angst, die über die mutigsten Menschen zu kommen pflegt, wenn nicht sie selbst, sondern die ihrem Herzen am nächsten Stehenden von einer großen Gefahr bedroht werden.
Zuvörderst beschloß er indessen, die Abgesandte noch genauer auszuforschen.
»Die Komture wollen das Vorkommnis als Geheimnis betrachtet haben,« bemerkte er daher, »wie läßt sich aber das Geheimnis wahren, wenn ich für mein Kind de Bergow und all die andern freigeben soll?«
»Ihr sagt, Ihr hättet für Herrn de Bergow Lösegeld genommen und mit diesem Gelde die Räuber bezahlt.«
»Kein Mensch wird dies glauben, denn noch niemals habe ich Lösegeld genommen,« warf Jurand ein.
»Es hat sich auch noch niemals um Euer Kind gehandelt,« erklärte die Dienerin in klagendem Tone.
Abermals trat ein längeres Schweigen ein. Endlich ließ sich der Pilger, dessen Lebensgeister sich in der Voraussetzung wieder gehoben hatten, Jurand werde sich jetzt mehr Zwang auferlegen, also vernehmen: »So ist der Wille der Brüder Szomberg und Markwart.«
Die Frau aber hub wieder an: »Ihr sagt aus, der Pilger, welcher mit mir gekommen ist, habe Euch das Lösegeld gebracht, wir aber machen uns sofort mit dem edlen Herrn de Bergow und mit den andern Gefangenen auf den Weg.«
»Wie,« entgegnete Jurand, die Brauen runzelnd, »glaubt Ihr wohl, daß ich Euch die Gefangenen ausliefere, ehe Ihr mir mein Kind zurückgebt?«
»Ihr müßt Euch sogar noch zu etwas anderem verstehen, o Herr. Nach Szcytno müßt Ihr Euch begeben, wohin die Brüder Euere Tochter bringen werden.«
»Ich? Nach Szczytno?«
»Denn angenommen, sie würde aufs neue unterwegs von Räubern ergriffen, dann wären nicht nur Euer Gefolge sondern alle hier ansässigen Leute nur zu gerne bereit, die Brüder dafür verantwortlich zu machen. Deshalb sind letztere vornehmlich darauf bedacht, nur Euch selbst Euere Tochter auszuliefern.«
Jurand begann in der Stube auf und ab zu schreiten. Ihm ahnte, daß ihm ein Fallstrick gedreht werde, und schwere Sorge bemächtigte sich seiner. Doch, was sollte er thun? Die Kreuzritter konnten ihm irgend eine Bedingung stellen – er war machtlos ihnen gegenüber.
Plötzlich schien ihm indessen ein guter Gedanke zu kommen. Er blieb vor dem Pilger stehen, schaute ihn durchdringend an und wandte sich dann dem Weibe zu: »Gut, ich gehe nach Szczytno. Ihr aber und dieser Mensch, der das Gewand eines Pilgers trägt, Ihr bleibt bis zu meiner Rückkehr hier. Erst dann könnt Ihr mit de Bergow und mit den Gefangenen weiterziehen.«
»Ihr wollt den Ordensbrüdern keinen Glauben schenken, o Herr!« warf hier der Pilger ein, »wie sollen sie daher das Vertrauen in Euch setzen, daß Ihr uns und de Bergow nach Euerer Rückkehr entlaßt?«
Totenblässe überzog Jurands Antlitz und seine Züge verzerrten sich in einer Weise, daß es während eines Augenblicks den Anschein hatte, als ob er den Pilger an der Brust packen und ihn zu Boden werfen wolle – gleich darauf wurde er aber seiner Erregung wieder Herr, er atmete tief auf und sagte ruhig, allein in eindringlichem Tone: »Wer Ihr auch sein mögt, hütet Euch, meine Geduld auf allzugroße Probe zu stellen!«
Daraufhin trat der Pilger auf die Ordensschwester zu und sprach: »Redet weiter, wie Euch befohlen ward.«
»O Herr!« ergriff das Weib nun wieder das Wort, »wie würden wir uns erdreisten, an Euerem Eide auf das Schwert und auf Euere ritterliche Ehre zu zweifeln, aber Euch steht es wahrlich nicht zu, vor Leuten niedrigen Standes einen Eid abzulegen, und nicht eines Eides wegen sind wir zu Euch gesandt worden.«
»Was habt Ihr mir noch zu sagen?«
»Im Auftrage der Brüder erklären wir Euch: Ihr müßt Euch, ohne jemand davon in Kenntnis zu setzen, mit de Bergow und mit den Gefangenen nach Szczytno begeben.«
Bei diesen Worten zog sich Jurands ganzer Körper krampfhaft zusammen und seine Finger spreizten sich wie die Krallen eines Raubvogels aus; vor der Redenden stehen bleibend, neigte er sich zu ihr, als ob er ihr etwas ins Ohr flüstern wollte, und sagte: »Haben sie Euch auch zu wissen gethan, was ich befehle? Rings um Spychow soll mau Euere und de Bergows Glieder ausstreuen.«
»Eure Tochter ist in der Gewalt der Brüder und unter der Obhut von Szomberg und Markwart,« entgegnete die Ordensschwester mit Nachdruck.
»Räuber, Giftmischer, Henkersknechte!« brach Jurand los.
»Sie werden Rache für uns nehmen, denn ehe wir uns auf den Weg machten, haben sie also zu uns gesprochen: wenn er sich nicht zur Erfüllung all unserer Bedingungen versteht, wäre es besser, das Mädchen fände den Tod, wie ihn die Kinder Witolds gefunden haben. Doch Euch steht ja die Wahl offen!«
»Ihr müßt doch begreifen, daß Ihr in der Macht der Komture seid,« ließ sich der Pilger nun vernehmen. »Sie wollen Euch keine Kränkung zufügen, und der Starost aus Szczytno schickt Euch durch uns sein Wort, daß Ihr freies Geleite aus seiner Burg haben werdet. Das ist jedoch ihr Wunsch: für all das Schlimme, das Ihr ihnen schon angethan habt, sollt Ihr Euch vor den Kreuzrittern zur Erde neigen, sollt Ihr die Sieger um Gnade anflehen. Wohl werden sie Euch Verzeihung angedeihen lassen, zuvor aber sollt Ihr Euern stolzen Nacken beugen. Ihr habt sie der Verräterei und des Meineides geziehen – folglich fordern sie von Euch rückhaltloses Vertrauen. Euch und Eurer Tochter werden sie die Freiheit schenken – aber Ihr müßt darum bitten. Ihr habt sie mit Füßen getreten – deshalb müßt Ihr schwören, Eure Hände nicht mehr gegen die Weißmäntel erheben zu wollen.«
»Das ist der Wille der Komture,« fügte das Weib hinzu, »und ihnen schließen sich Markwart und Szomberg an.«
Eine tödliche Stille trat nun ein. Nur war es, als ob durch die Balken der Decke ein gedämpftes Echo dringe, das die schreckenerregenden Namen »Markwart – Szomberg« stets wiederhole. Und durch die Fenster ertönten die Rufe der Bogenschützen Jurands, welche auf den die Burg umgebenden Wällen Wache hielten.
Der Pilger und die Ordensschwester wechselten bald unruhige Blicke miteinander, bald schauten sie auf Jurand, welcher an die Wand gelehnt, völlig unbeweglich, mit gesenktem Haupte im Schatten eines Bündels Häute saß, das vor dem Fenster hing. Nur ein Gedanke fand in dem Gehirn des Gebieters von Spychow Raum. Wenn er nicht das erfüllte, was die Kreuzritter von ihm verlangten, erwürgten sie ihm das Kind, kam er indessen ihren Wünschen entgegen, war es immer noch zweifelhaft, ob er damit sich und Danusia rette. Er wußte sich keinen Rat, er sah keinen Ausweg. Im Geiste sah er schon die eisernen Hände eines Kreuzritters Danusias Hals umfassen, er kannte die Ordensbrüder genau und wußte, daß sie nicht davor zurückscheuen würden, seine Tochter zu ermorden, ihre Leiche innerhalb der Schutzmauern der Burg zu vergraben und einen Meineid abzulegen, um sich weißzuwaschen. Wer vermochte aber dann den Beweis zu liefern, daß sie von den Kreuzrittern entführt worden sei? Wohl hatte er, Jurand, die beiden Abgesandten in seiner Gewalt, er konnte sie vor den Fürsten führen, er konnte ihnen auf der Folter ein Geständnis abzwingen – aber Danusia befand sich in der Gewalt der Kreuzritter, und die Folter mochte ihr dann vielleicht auch nicht erspart bleiben. Ihn dünkte, sein Kind strecke ihm aus der Ferne die Hände entgegen, es flehe ihn um Rettung an … Wäre er sicher gewesen, daß sich Danusia in Szczytno befinde, würde er noch in der Nacht über die Grenze gegangen sein, hätte die eines Angriffes nicht gewärtigen Deutschen überfallen, die Burg genommen,