An den Wänden hingen Bilder, die ich alle sehr gut kannte. Da waren Ölgemälde, Frucht- und Blumenstücke von der Hand jener Tante, Kreide- und Kohlezeichnungen meiner Mutter, bemalte Daguerreotypen und außer der Madonna auf Milchglas noch ein unheimlich geschwärztes Bild mit viel Gold; ich weiß nicht, ob es Jesus Christus vorstellte oder irgendeine andre Gestalt aus der immer mit dem Gewölk von Schauern verhängten biblischen Geschichte ...
Denk ich an dieses Zimmer, das auf den Hof ging, wo sich der Brunnen befand und die ganz mit Wein bekleidete hohe, hohe Mauer ragte, seh ich Sonne. Sonne flutet durch meine Erinnerungen, spiegelt sich in den Scheiben, huscht über die Parketten und dringt in alle Winkel und Ecken. Das ganze Haus liegt in Sonne! Aber es ist nicht etwa eine hochstehende und beileibe nicht eine grelle und heiße Sonne, es ist Sonne, die durchs Fenster kommt, Sonne, die hier zu Hause ist, Sonne, die sich sehr artig benimmt, still und ohne irgend etwas vom Himmel an sich zu haben, Zimmersonne, Großmuttersonne ... Merkwürdig, daß keine Katze sich in ihr sonnte. In meiner Kindheit gab es doch Katzen. Ich sehe sie hoch oben auf dem schmalen Gange, der längs der Hofmauer zum Dachboden der Hausmeisterwohnung führte, hin und her schießen, ich sehe sie über den Hof huschen – aber zu dir kommt keine Katze, liebe Großmutter ... Und da fällt mir ein, daß du niemals ein Tier besessen hast, nicht einmal einen Vogel im Käfig, obwohl sie dir durchaus nicht unangenehm gewesen sind. Aber du hieltest sie immer in sauberer Entfernung. Ich sehe dich die Mundwinkel mit ein ganz klein wenig Ekel rümpfen, wenn dir Tiere etwas näher kamen. Erst an meinen Dackel hast du dich gewöhnt, aber zu Besuch ist er wohl äußerst selten zu dir gekommen. Es geschahen diese Zusammenkünfte außer Hause. Du warst da ein bißchen inkognito, jedenfalls nicht die Großmutter der Bibliothek, die Großmutter Zschokkes, Dumas, Kotzebues ...
Bücher
Als ich ein Bub war, schien es mir – ich war schon damals ein großer Bücherfreund –, als gäbe es Bücher für »alte« Leute und andre. Diese Klasse war ziemlich umfangreich. Dahin gehörten wohl die Bücher, die man in den Schaufenstern der Buchladen zu sehen bekam, Bücher, die man als Geschenk empfing, ferner die Bücher bei anderm jungen Volk. Die Bücher der »alten« Leute aber waren sozusagen veraltet, das heißt man hatte eigentlich keine andre Beziehung zu ihnen als die einer mit einem leisen Mißbehagen vor Moder und Wasserflecken verbundenen Hochachtung. Daß man ein lebendiges Verhältnis zu ihnen gewinnen könnte, schien ausgeschlossen. Goethe, Schiller, Platen oder gar Kleist standen in einer Reihe mit den ganz alten, etwa Klopstock – ein ungemein spaßiger Name! – und Kotzebue oder Nestroy. Lag es daran, daß diese Werke zumeist in älteren Ausgaben, jedenfalls in nicht ganz tadellos erhaltenen Exemplaren, vorhanden waren; daß man sich die Autoren, mit gepudertem Haar und rasiertem Antlitz, in der Westenkrause oder im breit umgeschlagenen Halstuch, nur als tote und verschollene Menschen denken mochte? Genug, es war eine andere Welt, eine Welt, die hinter Spinnweben und Staub lag, eine vergilbte Welt, die zu den schweren Großvaterstühlen »alter« Einrichtungen, zu den Glockenspieluhren und den Faltenhäubchen der alten Damen paßte, nicht zu den »Jungen« ... Wann sich dieses Verhältnis gewandelt hat, ist mir nicht erinnerlich. Die Schule, diese Mörderin der heimlichen Gefühle, der zärtlichen Verehrung, des staunenden Schweigens, dürfte in der üblichen rohen Weise hier Hand angelegt haben. Man kam an die alten Herren heran, sie wurden einem bekannt, wenn auch noch lange nicht vertraut, jedenfalls nicht jünger. Das kam erst viel, viel später, ganz gewiß nach der Schulzeit, als man langsam wieder bei sich selbst einkehrte und in die verträumten Winkel der Seele gelangte, in denen das harte Licht der Lehrjahre sich nicht aufzuhalten pflegt. Es muß ein großes Wunder der Seele sein, wenn im jungen Menschen etwa Goethe jung wird, wenn er heruntersteigt aus dem mattgoldenen Rahmen, der ihn bisher jenseits schnörkeliger Möbel festgehalten hatte in einer Höhe der Fremde und Kühle. Und spät erst kamen Tage, da lebte man mit Heinse, mit Platen, mit Swift, mit Fielding, als wären es Menschen, die man zum vertrautesten Umgang erwählt hätte. Nur ein paar Schriftstellern blieb die Distanz erhalten, die sie in Großmutters Nähe, weitab rückte von jungen Händen, jungen Gefühlen: Kotzebue und das ganze alte Theater, ein paar verschollene Romane, überhaupt, was aus der Zeit für die Zeit war und in der Zeit blieb und dort verstaubte. Denn es gibt ganz offenbar verstaubte Autoren, und nicht immer machen es die Jahre aus. Es gibt ja Menschen, die, wie man sagt, alt auf die Welt kommen. So kann ich mir heute noch nicht denken, daß Wieland jemals jung gewesen sein möchte ... Nicht minder merkwürdig ist es, wenn zu den alten Leuten die »jungen« Autoren kommen. Ich habe bei dir, Großmutter, Tolstoi und Gorki, Jakobsen und Flaubert gesehen. Mein Gott, weder