»Mensch, Hans, das ist unsere Rettung. Wir verblöden hier doch, merkst du das denn nicht?«
»Kann ich so nicht bestätigen. Ich habe mich zum Beispiel in den letzten Wochen zu einem Experten in Sachen Fußball in den Vereinigten Arabischen Emiraten weiterentwickelt. Wer kann das schon von sich behaupten?«
Susanne schaute mich mitleidig an. »Ach, Hans. Vor einigen Wochen warst du noch geschäftsführender Gesellschafter der FKK-Wetterau GmbH und hast die Weltpresse auf dich aufmerksam gemacht. Und jetzt bist du nur noch ein fauler Sack, der nicht weiß, wie er den Tag rumkriegen soll. Und mir geht es nicht besser. Maniküre, Friseur, Massage, Sauna. Das ist mein Tagesablauf. Unser Geist bleibt auf der Strecke. Wir haben uns vom Luxus einlullen lassen. Unser Spirit ist binnen kürzester Zeit völlig verkümmert. Wir müssen wieder was auf die Beine stellen. Und dieses Landhotel ist die perfekte Grundlage für eine subkulturelle Erholungsoase. Glaub mir, es wird eine wunderbare Zeit!«
»Subkulturelle Erholungsoase?« Ich blieb skeptisch. Unsere FKK-Oase hatte mich schon an den Rand des Wahnsinns gebracht und ich war gar nicht so unglücklich darüber, dass ich diese Episode einigermaßen unbeschadet überstanden hatte. »Ich bin hier ganz zufrieden. Alles, was ich brauche, bist du, Susanne«, umschmeichelte ich meine Traumfrau.
»Wir müssen hier wieder raus, Hans. Raus aus dem Mikrokosmos der Suite 202 mit dem Zimmerservice für geistige Tiefschläfer und rein in den Makrokosmos universeller Erleuchtung.«
»Universeller Erleuchtung? Wovon redest du eigentlich?«
»Ich rede von dem, was uns fehlt. Was uns hier völlig abgeht. Von neuen Blickwinkeln. Von Ideen. Von Visionen.«
»Und das bekommen wir alles in einem Landhotel im Odenwald? Immerhin befinden wir uns hier in einem Luxushotel inmitten der Metropole Frankfurt am Main. Hier treffen die Kulturen aller Welt aufeinander. Und der Zimmerservice ist auch nicht zu verachten.«
»Morgen machen wir einen Ausflug in den Odenwald und schauen uns das Objekt aus der Nähe an. Vielleicht kommt ja der alte Hans wieder in dir zum Vorschein, wenn du erst mal ein wenig Luft von den neuen Möglichkeiten schnappst, die sich uns bieten. Und jetzt könntest du mir meine Zehennägel lackieren.« Susanne reichte mir das Gläschen mit dem dunkelroten Nagellack und legte ihre Füße auf meinen Oberschenkeln ab. Das war eines der vielen kleinen Rituale, die wir uns in Suite 202 angewöhnt hatten. Susannes Zehennägel waren meine Sixtinische Kapelle. Hochkonzentriert machte ich mich ans Werk. Michelangelo hatte einen würdigen Nachfolger gefunden. Ich begnügte mich bei meiner Malerei zwar mit kleineren Flächen und beschränkte mich bei der Farbauswahl meist auf ein schlichtes, aber stimulierendes Dunkelrot, die Arbeit an sich verzückte mich aber stets aufs Neue. Während ich pinselte, griff Susanne zum Telefon und bestellte beim Zimmerservice eine Flasche Schampus.
»Ich dachte, du willst dem einlullenden Zimmerservice lieber entsagen«, neckte ich Susanne und freute mich schon auf die weiteren kleinen Rituale, die wir in Suite 202 so gerne pflegten.
»Wir verabschieden uns aber mit einer unvergesslichen Nacht aus der Epoche der Dekadenz«, säuselte Susanne verheißungsvoll.
»Kein Nagellack und kein Schampus mehr im Landhotel?«, erkundigte ich mich sorgenvoll.
»Wir werden Hoteliers und den Zimmerservice ganz neu erfinden«, geriet Susanne in der parfümierten Luft der Suite 202 ins Schwärmen.
»Knisterndes Kaminfeuer anstatt arabisches Ballgeschiebe«, seufzte sie.
Ich unterbrach meine Pinselei und wollte protestieren, aber der Zimmerservice klopfte an der Tür und Susanne beorderte ihn herein. Unser Roomboy Jonathan schob ein Wägelchen mit der gekühlten Prickelbrause in unsere Suite. Jonathan kam aus dem Senegal, trug eine rote Uniform und war schwarz wie die Nacht.
»Darf ich einschenken, Madame?«, erkundigte sich Jonathan und lächelte Susanne vielsagend an. Susanne nickte, Jonathan füllte die Gläser und ich pinselte den letzten Zehennagel dunkelrot an.
»Wie gefällt dir mein Werk?«, fragte ich Jonathan und betrachtete mir zufrieden die zehn frisch lackierten Fußnägel auf meinem Schoß.
»Ah, heute ein trockenes Weinrot«, urteilte Jonathan fachmännisch. »Das passt ausgezeichnet zu Madame Susanne. Kleine Nuancen französischer Verführungskunst, ein leichter Akzent südamerikanischen Temperaments, eine Brise afrikanischer Wildheit und ein Hauch karibischer Exotik. Sie haben die Füße der Madame wieder meisterlich in Szene gesetzt, Herr Bremer.«
»Ach, Jonathan, ich werde dich vermissen«, seufzte Susanne.
»Wollen Sie unser Haus denn verlassen, Madame?«
»Ja, Jonathan. Wir müssen unsere Zelte hier abbrechen und weiterziehen. Ein Ruf aus dem Odenwald hat uns erreicht. Wir sind völlig erschöpft und müssen uns regenerieren.«
»Ja, das verstehe ich«, murmelte Jonathan. »So ein Leben in einer Suite kann schon anstrengend sein.« Jonathan schenkte Susanne Schampus nach, das erste Glas hatte sie schon geleert.
»Du sagst es, Jonathan. Aber im Odenwald werden wir die sexuelle Energie wieder finden, die uns hier verlorengegangen ist.«
Jonathan runzelte die Stirn. »Ist mir gar nicht aufgefallen, dass bei Ihnen da etwas verlorengegangen ist.«
»Noch mehr Sex im Landhotel?«, fragte auch ich überrascht.
Susanne hörte in ihrem Kopf nun wohl auch die Worte, die sie gerade von sich gegeben hatte. »Spirituelle Energie«, verbesserte sie sich.
»Spirituelle Energie ist gut«, bestätigte Jonathan. »In Afrika nennen wir es auch Voodoo.«
»Sexuelle Energie ist aber auch nicht verkehrt«, warf ich dazwischen und streichelte Susannes Füße.
»Wenn Sie heute Nacht vielleicht etwas leiser mit dieser Energie sein könnten«, bat Jonathan höflich. »Die Gäste aus Suite 201 und 203 und 205 und 206 haben sich schon wieder beschwert ...«
»Kleingeister«, zischte Susanne.
»Morgen beschweren sich bestimmt auch die Gäste von Suite 101 bis 888«, sagte ich mit einem schelmischen Grinsen voraus. »Aber du kannst sie ja dann beruhigen, Jonathan. Wir machen morgen einen Ausflug in den Odenwald. Dann herrscht wenigstens tagsüber Ruhe in unserer Suite.«
Jonathan antwortete mit der Andeutung einer Verbeugung. Die üppigen Trinkgelder, die ich regelmäßig an die Hotelangestellten verteilte, verschafften uns eine gewisse Narrenfreiheit im Frankfurter Hof. Als meine Hände langsam von Susannes Füßen weiter über ihre Waden streichelten, zog sich Jonathan zurück. Kaum hatte er die Tür hinter sich geschlossen, machten sich erste Energieströme unter meinem Kunstwerk bemerkbar. Fünf weinrot lackierte Zehennägel versprühten kleine Nuancen französischer Verführungskunst, einen leichten Akzent südamerikanischen Temperaments, eine Brise afrikanischer Wildheit und einen Hauch karibischer Exotik. Oder anders ausgedrückt: Susannes drückte mir ihren Fuß in den Schritt. Sie drückte aber nicht einfach nur, sie zauberte mir mit unheimlich viel Gefühl im Fuß äußerst angenehme Vibrationen in die Lendengegend. Dagegen waren die technisch brillanten Lupfer aus dem Fußgelenk von Al Ach Achmarain reinste Bauerntölpelei.