Otto Ludwig
Zwischen Himmel und Erde
Veröffentlicht im Good Press Verlag, 2020
EAN 4064066113865
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Otto Ludwig (1813-1865) gehört zu den drei Großen des Jahres 1813. Neben dem titanischen Wesen Richard Wagners, neben Friedrich Hebbels grüblerischer aber den großen Wurf nie verfehlender Art steht der Sohn des Bürgermeisters aus dem thüringischen Städtchen Eisfeld wie einer, dem es nie recht gelingen wollte, was er sich zum Ziel gesetzt hat. Otto Ludwig konnte sich nicht an die Geschäftigkeit des neunzehnten Jahrhunderts gewöhnen und es plagte ihn doch ein unseliger Ehrgeiz, seiner Zeit gerecht zu werden. Er ist ein Heimatdichter von Grund aus und es trieb ihn doch in die großen Städte. Jahrelang versuchte er, sich in Leipzig, dann in Dresden heimisch zu machen. Aber er kam nicht darüber hinweg, daß die Leipziger Damen alle so übernächtigt aussehen, nicht wie Geschöpfe der Natur, sondern wie Kunstfabrikate. Bis er endlich in dem idyllischen Garsebach bei Meißen Linderung für seine seelische Unzufriedenheit und seine körperlichen Leiden fand. Emilie Winkler schuf dem nervösen Dichter das Heim, wie er es sich nur wünschen konnte.
Da setzten auch die ersten großen Erfolge ein. Sein Drama „Der Erbförster“ wurde in Dresden mit Erfolg aufgeführt und einige Jahre darauf erlebten seine Dorf- und Kleinstadtgeschichten „Heiterethei“ und „Zwischen Himmel und Erde“ schnell zahlreiche Auflagen. Das deutsche Volk war mit seinem Dichter zufrieden, nur er selbst strebte immer nach Höherem, er konnte sich wie Hebbel nichts zu Dank machen. Die Entwürfe häuften sich, viele davon hat er in einer üblen Laune selbst verbrannt. Er sagte, ich muß sie vernichten, damit die Gestalten meiner Pläne nicht mehr des Nachts an mein Bett kommen, mich zu quälen, denn mir bleibt keine Zeit mehr, ihnen ihre Gestalt zu geben. Aus dem schönen Jüngling, der mit vierundzwanzig Jahren in Hildburghausen und in seiner Vaterstadt bewundert wurde, war ein mißvergnügter Dichter geworden, aus dem jungen Musiker ein einsiedlerischer Denker, der des Nachts nach einem Spaziergang in den stillen Wald über dichterische Probleme nachdachte, über seinem Shakespeare träumte und in einer Welt lebte, die nicht die Welt seiner Gegenwart war.
„Zwischen Himmel und Erde“ läßt sich nicht so leicht in die deutsche Erzählungsliteratur einreihen. Der Reiz dieses Buches ist, wie Kleists „Michael Kohlhaas“, so innig mit der Persönlichkeit des Dichters verknüpft, so stark spricht uns aus dieser schlichten, im Tragischen wie im Idyllischen gleich vollendeten Erzählerkunst Otto Ludwigs Menschentum, seine Jugend und seine abgeklärte Lebenserfahrung an, so eindringlich deutsches Wesen überhaupt, daß wir uns schämen würden, danach zu fragen, aus welcher Schule heraus ist diese Kunst entstanden. Hinter dem Schicksal der Menschen unserer Erzählung, mit denen uns der Dichter schnell vertraut macht, als gehörten sie seit lange zu unserem täglichen Verkehr, steht eine Gerechtigkeit, die keine alltägliche, voreilig aburteilende und voreilig belohnende ist: Kehre dich nicht tadelnd von der Welt, wie sie ist, suche ihr gerecht zu werden, dann wirst du dir gerecht.
Aus dem Hintergrunde des mit inniger Liebe ausgemalten Schieferdeckerberufes heben sich zahllose Lichter und Schatten, außerordentlich fein gesehene Einzelzüge, ab. Man sieht ihm bisweilen in seine Arbeit hinein, empfindet die Mühe, aber auch die Sorgsamkeit und die Gewissenhaftigkeit des Künstlers. Und wenn das sonst gerade kein Lob für ein Kunstwerk ist, so ist es doch auch wieder in der deutschen Kunst, von Dürer angefangen, zu einem ihrer Hauptcharakterzüge geworden. Nur verknöcherte Ästheten können darüber nörgeln. Wir andern freuen uns, daß wir so Einblick in die Werkstatt der Liebe erhalten, aus der heraus jener Eifer und diese absichtliche Genauigkeit geboren ist. Mit den Werken unserer Dichter treten wir in eine Traumwelt von wunderbarer Versonnenheit ein, einer Unbekümmertheit gegen die Forderung des Fertigen und der Glätte des scheinbar Vollkommenen, wenn darüber die Forderung der Liebe und des persönlichen Verantwortungsgefühls steht.
Der alte, trotzige und mürrische Dachdeckermeister ist eine solche spröde Gestalt aus der Werkstatt Otto Ludwigs, ein Ebenbild des Erbförsters, eine Erinnerung an seinen eigenen Vater. Sein starres Prinzip, von seinen Kindern nie etwas zweimal und nie mit Angabe der Gründe zu fordern, aber auch nie etwas, das nicht vorher bei ihm selbst wohl überdacht wäre, ist nicht zum mindesten schuld an dem so verschiedenen Schicksal seiner beiden Söhne. Auch das Häuschen und der Garten, in dem kein Buchsbaumblättchen über das andere hinaussehen durfte, stimmen zu der sonderbaren Härte dieser Menschen, deren Schicksal zum großen Teile aus ihrer Umwelt (Zola ist hier vorgeahnt) heraus- und dann auch einen Augenblick wohl über sie hinauswächst.
Es sind des Menschen unausgesprochene Zweifel und geheime Leidenschaften, die ihn bisweilen wie ein Gewitter mit Hagel und Blitz überfallen. Dem Überwinder erst kommt die große neue Klarheit über den Wert des Lebens, eine Ewigkeitsperspektive, die nicht nur einen Helden, sondern auch einen Weisen aus ihm macht. Apollonius, der junge Träumer, ist eine der herrlichsten Figuren deutscher Dichtung, ein moderner Parzival vom Lande, den das trübste Schicksal nicht irre machen kann. An seiner reinen Leidenschaft für Christiane — an der Wahrheit muß sich der Argwohn und die Frivolität seines Bruders verbrennen, kann sich die Ängstlichkeit eines so zarten Frauengemüts, wie es in Christiane geschildert ist, aufrichten. Und dennoch bleibt eine Wehmut des Unerfüllten im Leser zurück, die uns nicht so bald von den Menschen scheiden läßt, wenn wir auch schon lange das Buch beiseite gelegt haben. Dann wiederholen unsere Lippen wohl unwillkürlich die letzten Worte des Dichters: „Der Mensch soll nicht sorgen, daß er in den Himmel komme, sondern daß der Himmel in ihn komme. Und in diesem Sinne sei dein Wandel: Zwischen Himmel und Erde.“
Dr. Wilhelm Mießner.
Zwischen Himmel und Erde
Erzählung von Otto Ludwig
Das Gärtchen liegt zwischen dem Wohnhause und dem Schieferschuppen; wer von dem einen zum andern geht, muß daran vorbei. Vom Wohnhaus zum Schuppen gehend hat man es zur linken Seite; zur rechten sieht man dann ein Stück Hofraum mit Holzremise und Stallung, vom Nachbarhause durch einen Lattenzaun getrennt. Das Wohnhaus öffnet jeden Morgen zweimal sechs grün angestrichene Fensterläden nach einer der lebhaftesten Straßen der Stadt, der Schuppen ein großes graues Tor nach einer Nebengasse; die Rosen an den baumartig hochgezogenen Büschen des Gärtchens können in das Gäßchen hinausschauen, das den Vermittler macht zwischen den beiden größern Schwestern. Jenseits des Gäßchens steht ein hohes Haus, das in vornehmer Abgeschlossenheit das enge keines Blickes würdigt. Es hat nur für das Treiben der Hauptstraße offene Augen; und sieht man die geschlossenen nach dem Gäßchen zu genauer an, so findet man bald die Ursache ihres ewigen Schlafes; sie sind nur Scheinwerk, nur auf die äußere Wand gemalt.
Das Wohnhaus, das zu dem