»Sei nicht böse!« bat dieser, »ich erhielt nichts, gar nichts!« – und ergriff der Mutter Kleid, als wollte er es küssen. Sie traten in das Stübchen; das will ich nicht beschreiben, nur so viel sei gesagt, daß dort ein Henkeltopf mit Kohlenfeuer stand, marito, wie er genannt wird. Diesen nahm sie in den Arm, wärmte sich die Finger und stieß den Knaben mit dem Ellnbogen. »Ja, gewiß hast Du Geld!« sagte sie.
Das Kind weinte, sie stieß es mit dem Fuße; es jammerte laut. – »Wirst Du schweigen, oder ich zerschlage Deinen schreienden Kopf!« und sie schwang den Feuertopf, den sie in der Hand hielt; der Knabe bückte sich mit einem Schrei zur Erde. Du trat die Nachbarin zur Thür herein, auch sie hatte ihren marito im Arme. »Felicita! Was thust Du dem Kinde?«
»Das Kind ist mein!« antwortete Felicita. »Ich kann es ermorden, wenn ich will, und Dich mit, Giannina,« und sie schwang ihren Feuertopf; die andere erhob den ihrigen zur Abwehr, und beide Töpfe schlugen so heftig gegen einander, daß Scherben, Feuer und Asche im Zimmer umherflogen; – – aber in demselben Augenblicke war der Knabe aus der Thür, über den Hof und aus dem Hause. Das arme Kind lief, daß es zuletzt nicht mehr athmen konnte; es hielt an bei der Kirche, deren große Thüre sich in voriger Nacht vor ihm aufgeschlossen, und ging hinein. Alles strahlte, der Knabe kniete an dem ersten Grabe zur Rechten nieder, es war das Grab Michael Angelo's, und bald schluchzte er laut. – Leute kamen und gingen, die Messe wurde gelesen, Keiner bemerkte den Knaben; nur ein ältlicher Bürger stand still, blickte ihn an – und ging dann fort wie die Andern.
Hunger und Durst plagten den Kleinen, er war ganz ohnmächtig und krank; er kroch in einen Winkel zwischen den Marmormonumenten und schlief ein. Es war gegen Abend, als er durch ein Zupfen geweckt wurde; er fuhr auf, und derselbe alte Bürger stand vor ihm.
»Bist Du krank? Wo bist Du zu Hause? Bist Du den ganzen Tag hier gewesen?« waren einige der vielen Fragen, die der Alte an ihn richtete. Sie wurden beantwortet, und der alte Mann nahm ihn mit sich in sein kleines Haus, dicht neben an in einer Seitenstraße. Sie traten in eine Schuhmacher-Werkstatt, die Frau saß eifrig nähend, als sie kamen. Ein kleiner weißer Spitz, so kurz geschoren, daß man seine rosenfarbene Haut sehen konnte, hüpfte auf den Tisch und machte vor dem kleinen Knaben seine Sprünge.
»Die unschuldigen Seelen kennen sich,« sagte die Frau und liebkoste Hund und Knaben. Letzterer erhielt Speise und Trank von den guten Leuten, und sie sagten, es solle ihm erlaubt sein, die Nacht bei ihnen zu verweilen; am nächsten Tage würde Vater Giuseppe mit seiner Mutter sprechen. Er erhielt ein kleines ärmliches Bett; für ihn aber, der oft auf dem harten, steinernen Fußboden hatte schlafen müssen, war es königlich prächtig; wie süß schlief er, träumend von den reichen Bildern und dem Metallschweine.
Vater Giuseppe ging am nächsten Morgen aus; das arme Kind war darüber nicht froh, denn es wußte, daß dieser Ausgang deshalb stattfinde, um es seiner Mutter wieder zuzuführen. Der Knabe küßte den kleinen muntern Hund, und die Frau nickte Beiden zu. –
Welchen Bescheid brachte Vater Giuseppe? Er sprach viel mit seiner Frau, und diese nickte und streichelte den Knaben. »Es ist ein herrliches Kind!« sagte sie. »Er kann ein hübscher Handschuhmacher werden, wie Du warst, und Finger hat er, wie fein und biegsam! Madonna hat ihn zum Handschuhmacher bestimmt!«
Und der Knabe blieb im Hause, die Frau lehrte ihn selbst nähen; er aß gut, schlief gut, wurde munter und begann Belissima zu necken, so hieß der kleine Hund; die Frau drohte mit dem Finger, schalt und wurde böse. – Das ging dem Knaben zu Herzen, gedankenvoll saß er in seiner kleinen Kammer. Diese hatte die Aussicht nach der Straße, in der Felle getrocknet wurden; dicke Eisenstangen waren vor den Fenstern, er konnte nicht schlafen; das Metallschwein erschien ihm stets in Gedanken, und plötzlich hörte er draußen: Klatsch, Klatsch. Das war gewiß ein Schwein! Er sprang an's Fenster, aber Nichts war zu sehen, es war schon vorüber.
»Hilf dem Signor seinen Farbekasten tragen!« sagte Madame am folgenden Morgen zum Knaben, als der junge Nachbar, der Maler, diesen und eine große, zusammengerollte Leinwand tragend, vorüberschritt. Der Knabe nahm den Kasten und folgte dem Maler, sie schlugen den Weg nach der Galerie ein und dieselbe Treppe hinan, die ihm seit jener Nacht, als er auf dem Metallschweine ritt, wohl bekannt war. Er kannte die Statuen und Bilder, die schöne Marmor-Venus und die, welche in Farben lebte; er sah die Mutter Gottes, Jesus und Johannes wieder.
Nun blieben sie vor dem Gemälde von Bronzino stehen, wo Christus in die Unterwelt hinabsteigt und die Kinder um ihn her lächeln in süßer Erwartung des Himmels – das arme Kind lächelte auch, denn hier war es in seinem Himmel! –
»Geh nun nach Hause!« sagte der Maler, als der Knabe schon so lange gestanden, bis jener während dessen seine Staffelei aufgerichtet hatte. –
»Darf ich Euch malen sehen?« fragte der Knabe, »darf ich zusehen, wie Ihr das Bild auf diese weiße Leinwand bringt?«
»Noch male ich nicht!« antwortete der Mann und nahm seine schwarze Kreide hervor. Schnell bewegte sich die Hand, das Auge maß das große Bild, und obgleich nur ein seiner Strich sichtbar wurde, stand Christus doch schwebend da, wie auf dem farbigen Bilde.
»Aber so gehe doch!« sagte der Maler, und still wanderte der Knabe heim, setzte sich auf den Tisch und – lernte Handschuhe nähen.
Aber den ganzen Tag waren seine Gedanken im Bildersaale, und daher stach er sich in die Finger, betrug sich linkisch, neckte aber dafür Bellissima nicht. Als es Abend wurde und die Hausthüre gerade offen stand, schlich er sich hinaus; es war noch kalt, aber sternenhell, gar schön und heiter. Fort wanderte er durch die schon öden Straßen, und stand bald vor dem Metallschweine, über welches er sich beugte, seinen blanken Rüssel küßte und sich auf dessen Rücken setzte. – »Du gesegnetes Thier,« sagte er, »wie habe ich mich nach Dir gesehnt! Wir müssen in dieser Nacht einen Ritt machen!«
Das Metallschwein lag unbeweglich, und die frische Quelle sprudelte ihm aus dem Rüssel. Der Kleine saß als Reiter auf ihm, da zupfte ihn Etwas an den Kleidern; er blickte zur Seite, Bellissima, die kleine kahlgeschorene Bellissima bellte, als wollte sie sagen: Siehst Du, ich bin auch da, weshalb setzest Du Dich hier her? – Kein feuriger Drache hätte den Knaben so erschrecken können als der kleine Hund an diesem Orte. Bellissima auf der Straße, und zwar ohne angekleidet zu sein, wie die alte Mutter es nannte! Was sollte daraus werden? Der Hund kam im Winter nur heraus, nachdem ihm zuvor ein kleines Lammfell übergezogen worden, welches für ihn zugeschnitten und genähet war. Das Fell, mit Schleifen und Schellen geschmückt, konnte mit einem rothen Bande um den Hals und unter dem Bauche festgebunden werden. Der Hund sah aus wie ein Zicklein, wenn er zur Winterzeit in diesem Anzüge Erlaubniß erhielt, mit Signora auszutrippeln. Bellissima war draußen und nicht angekleidet; was sollte daraus werden! Alle Phantasien waren verschwunden, doch küßte der Knabe das Metallschwein und nahm Bellissima auf den Arm; das Thier zitterte vor Kälte, daher lief der Knabe so schnell er vermochte.
»Mit was läufst Du da?« riefen zwei Polizeisoldaten, denen er begegnete und welche Belissima anbellte. »Wo hast Du den hübschen Hund gestohlen?« fragten sie, und nahmen ihm denselben weg.
»O, gebt mir ihn wieder!« jammerte der Knabe.
»Hast Du ihn nicht gestohlen, so magst Du zu Hause sagen, daß der Hund auf der Wache abgeholt werden könne!« Sie nannten den Ort und gingen mit Belissima fort.
Das war ein großer Jammer. Der Knabe wußte nicht, ob er in den Arno springen, oder nach Hause gehen und Alles gestehen sollte; sie würden ihn gewiß todtschlagen, dachte er. – »Aber ich will gern todtgeschlagen sein, ich will sterben, so gelange ich zu Jesus und der Madonna!« Und er ging heim, hauptsächlich um todtgeschlagen zu werden.
Die Thür war verschlossen, er konnte den Klopfer nicht erreichen, Niemand war auf der Straße, aber ein Stein lag da, und mit diesem donnerte er gegen die Thür. »Wer ist da?« rief es drinnen.