In der germanischen Welt herrschten anfänglich dieselben Rechtsüberzeugungen. Der Fremde ist rechtlos96. Von der öffentlichen Gewalt organisierte oder autorisierte Raubzüge sind ruhmeswürdige Unternehmungen. Davon ist Sage und Geschichte voll97.
Das Christentum begründet dann zum erstenmale in der Geschichte eine internationale Friedensgemeinschaft98. An die Staaten tritt die Anforderung heran, in Anerkennung der Persönlichkeit des Fremden Angriffe auf ihn und sein Gut zu unterlassen und ihre Angehörigen an ihrer Verübung zu hindern. Das Wesentliche des Vorgangs ist aber nicht die Unterdrückung der Piraterie, sondern die Umkehrung des Verhältnisses von Krieg und Frieden. Aus der Regel wird eine Ausnahme, aus der Ausnahme die Regel. Die Abolition der Piraterie in Friedenszeiten ist eine bloße Konsequenz des Wandels der Gesamtanschauung99; in Kriegszeiten besteht sie nach wie vor100. Erst seit dem 14. Jahrhundert nimmt die Piraterie der Untertanen die Rechtsform der Kaperei an101. (Mit dieser nur der äußeren [pg 39]Erscheinung nach verwandt ist die Wegnahme fremder Schiffe auf Grund von Repressalienbriefen in Friedenszeiten, ein Institut, das als Ersatz der bisher zulässigen Selbsthilfe Privater gegen fremde Staaten und fremde Untertanen seit dem 14. Jahrhundert ausgebildet wird102.)
Die internationale Friedensordnung des Mittelalters und des Anfangs der Neuzeit beschränkt sich auf die Christenheit. Zwischen ihr und den mohammedanischen Staatswesen dauert das Verhältnis ununterbrochenen Kriegszustandes rechtlich und faktisch bis in das 16. Jahrhundert allgemein, bis in das 19. zwischen einzelnen Gliedern beider Kulturwelten fort103. Die in der älteren Literatur viel erörterte Frage, [pg 40]ob die Barbareskenstaaten als Piraten oder rechtmäßige Kriegsfeinde zu betrachten seien, hat eine einmütige Beantwortung nicht finden können104, weil die Fragestellung irreführend ist. Ihre Piraterie ist eine aus vergangener Zeit in das moderne Völkerrecht hineinragende Erscheinung, die sich seinen Begriffen nicht einfügt. Die Praxis hat weder das moderne Kriegsrecht auf die Barbaresken angewendet noch sie als Piraten behandelt; die Beziehung der feindlichen Mächte steht unter altem Fremdenrecht, jus postliminii nach der Lehre der romanistischen Wissenschaft105 und 106. [pg 41]Dieser Rechtszustand ist seit dem 16. Jahrhundert dadurch kompliziert, daß eine Reihe europäischer Mächte ihre Beziehungen zu den Raubstaaten vertragsmäßig regelte, andere einseitig ihnen gegenüber moderne Rechtsgrundsätze zur Anwendung brachten.
Innerhalb der christlich-europäischen Welt haben sich noch bis in die neuere Zeit Fälle faktischer Begünstigung der Piraterie durch staatliche Maßnahmen ereignet. Doch war man stets bestrebt, einen formellen Bruch mit den Prinzipien des jeweils geltenden Rechtes zu vermeiden107.
Über die Behandlung von Raubstaaten nach heutigem Rechte siehe unten § 12.
III. Die private Piraterie. Von der staatlich autorisierten Piraterie, einer alten Form des Lebens der Völker, ist von je die Piraterie als Unternehmen einer ohne alle Beziehung zu einem staatlichen Verbande auf eigene Faust handelnden Personenvereinigung unterschieden worden. Die Reaktion gegen die erste Form ist der Krieg108; die Bekämpfung der zweiten ist Aufgabe der Sicherheitspolizei und der Strafrechtspflege109.
Die Grenzziehung zwischen beiden Formen stößt auf [pg 42]keine theoretischen Schwierigkeiten. Die Grenze ist durch den Staatsbegriff gegeben. Die Entscheidung im Einzelfalle mag, da auch das private Unternehmen immer eine fest verbundene Personenmehrheit voraussetzt, einem Geschichtschreiber der Piraterie oft nicht leicht werden110. Der gesicherte Bestand des modernen Staatensystems ermöglicht sie ohne Mühe.
Aber so wahr es ist, daß gegen die nicht staatlich organisierte Piraterie nicht Krieg geführt wird, daß Piraten nicht hostes sind111, so sehr ist zu betonen, daß der Tatbestand niemals als ein nur krimineller erscheint. Das historische Piraterierecht enthält eine Reihe von Elementen, deren Heimat nicht das Strafrecht, sondern das alte Fremdenrecht ist, und bildet insoweit ein Analogon des Kriegsrechtes, das auch seinerseits ganz im Fremdenrecht wurzelt. Wenn es in der Literatur gang und gäbe ist, die Piraten als hostes humani generis zu bezeichnen, so ist dies in den meisten Fällen nicht mehr als eine Floskel; die vereinzelt sich findende Bestimmung des right of search gegen Piraten als eines war-right112 ist ohne Zweifel unrichtig; in beidem aber mag man Nachwirkungen alten positiven Rechtes erblicken.
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Das römische Recht erkennt Piraten nicht als hostes an (s. S. 42, N. 2). Der Sinn dieses Satzes ist, daß das jus postliminii ihnen gegenüber nicht gilt. Sie erwerben an den in ihre Hände gefallenen Sachen und Personen kein Eigentum. Der Inhalt des Satzes ist lediglich negativ, eine positive Bestimmung, daß sie nach Strafrecht und Strafprozeßrecht zu behandeln seien, enthält er nicht. So ist denn auch das Vorgehen der Römer bei ihren großen Expeditionen gegen die Piraterie lediglich durch Zweckmäßigkeit, nicht durch Rechtsgrundsätze bestimmt113. Ob und inwieweit in dem täglichen Kleinkampf gegen das Unwesen strafrechtliche Gesichtspunkte maßgebend waren, ist aus den Quellen nicht ersichtlich114.
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Im Seerechte des Mittelalters soll nach der gewöhnlichen Angabe der Literatur der Pirat rechtlos gewesen sein; jeder habe ihn angreifen, seines Eigens und Lebens berauben dürfen115. Eine solche vollkommene Rechtlosigkeit des Piraten aber hat, wenn überhaupt, nur vorübergehend und vereinzelt bestanden. Schon das Recht des 14. Jahrhunderts widerspricht der Lehre116. Welchen Sinn hätte es, Strafen festzusetzen und Gerichtszuständigkeiten zu bestimmen für Wesen, die einer Rechtspersönlichkeit nicht teilhaftig sind?
Seine Erklärung findet der so häufig ausgesprochene Satz darin, dass tatsächlich einige ältere Autoren die Rechtlosigkeit der Piraten als geltendes Recht darstellen117. Sie [pg 45]stützen sich dabei auf zwei Bestimmungen des kanonischen Rechtes, von denen jedoch der einen, c. 3 X V, 17 de raptoribus118, nur kirchliche Bedeutung zukommt, die andere, c. siquis 6 Causa 23 quaest. 3119, aber niemals in praktischer Geltung gestanden hat und stehen kann; und auf die auth. Navigia C. de furtis (c. 18 C. I. 6, 2), der in der Tat nur eine sehr viel engere Bedeutung zukommt (s. u. S. 46, N. 4 und oben S. 40, N. 3). Die Lehre ist eine der doktrinären und vorübergehenden Aufstellungen, die die Rezeption im Gefolge hatte.
In Wahrheit sieht das ältere Recht in dem Piraten ebensowenig einen Rechtlosen, einen Fremden oder Feind im alten Sinne, wie einen rechtmäßigen Kriegsfeind. Die im Piraterierecht tatsächlich enthaltenen kriegsrechtlichen Bestandteile sind vereinzelt und genau umgrenzt; das Verhältnis ist das, daß einem grundsätzlich polizeilichen und kriminellen Tatbestande einzelne Elemente kriegsrechtlichen Charakters anhaften. Folgende Punkte kommen in Frage.
1. Das Verbot der Piraterie schützt lange Zeit nur die Schiffe des eigenen und befreundeter Staaten. Zu den Feinden in diesem Sinne zählt man auch die Piraten. Fahrzeuge der „Feinde, Türken und Piraten“ können weggenommen werden120.
Eine spezielle Anwendung dieser Möglichkeit bildet die bei Gelegenheit der Regelung der Rückerstattungs- und Entschädigungsansprüche in zahlreichen älteren Gesetzen, auch den Hanserezessen, erwähnte Wiederabnahme geraubten Gutes durch Private.
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2. Auch nach dem Aufkommen der noch dem heutigen Rechte angehörenden Rechtsformen der Bekämpfung des Feindes zur See stehen Piratenschiffe feindlichen Schiffen gleich. Sie stehen wie diese unter Prisenrecht121.
3. Eine Recousse durch einen Piraten gibt ihm kein Recht auf einen Anteil122.
4. Am klarsten ergibt sich die Hinneigung des Piraterierechtes zum Fremdenrecht aus den Rechtsregeln über das Strandrecht, in denen altertümliche Rechtsanschauungen sich nicht nur in diesem Punkte erhalten haben. Dem Strandrecht sind ursprünglich alle Fremden mit Leib und Gut verfallen123. Die es im Laufe des späteren Mittelalters unterdrückenden kaiserlichen, kirchlichen und einzelstaatlichen Gesetze lassen es gegen „Feinde, Türken und Piraten“ bestehen124; die Bestimmung ist nicht eigentlich eine Ausnahmebestimmung gegen diese Personenklassen, sondern ein bloßes