Um mês de amor. Miranda Lee. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Miranda Lee
Издательство: Bookwire
Серия: Sabrina
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788468759340
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Für einen Augenblick blieb er neben einem der gewaltigen Steinbrocken stehen. Wenige Sekunden später torkelte die verhutzelte Gestalt vom alten Mac Clesfield auf ihn zu.

      »Guten Morgen, Inspektor!« begrüßte er ihn lächelnd. »Na, sind Sie auf dem Weg zu unserem Herrn? Sicher wollen Sie sich ihm vorstellen. Sie tun gut daran. Der Graf gehört noch zu denen, die wert auf Etikette legen. Gehen Sie nur hinauf. Und seien Sie unbesorgt, er wird Ihnen ganz sicher nicht das Blut aussaugen.«

      Kaum hatte er seine kleine Ansprache beendet, da hallte auch schon sein widerwärtiges hohles Gekicher in den steil aufragenden Felswänden nach. Sein Grinsen verlor sich in den tiefen Falten seines Gesichts.

      Bei Tageslicht stellte Blake fest, was ihm in der Nacht gar nicht aufgefallen war: Der immerwährend volltrunken erscheinende Mediziner hatte ungewöhnlich wache Augen. Und da war noch mehr. Er konnte in ihnen Angst erkennen, eine panische Angst!

      Blake ging nicht weiter auf den alten Clesfield ein. Er entschied sich, einen seiner zahlreichen Tricks an ihm zu versuchen. Deshalb grüßte er Clesfield nur höflich und ging dann wortlos an ihm vorbei, direkt weiter hinauf zur Burg. Der Doktor würde schon aus freien Stücken zu ihm kommen, wenn es an der Zeit war; zumindest ging er davon aus.

      Etwa zehn Minuten später hatte Blake den Eingang der Festungsanlage erreicht. Donnernd schlug er den schweren Bronze-Klopfer gegen die Eisenbeschläge des Burgtores. In der gleichen Sekunde öffnete sich bereits die in das schwere Portal eingelassene Seitentür.

      Ein unangenehmer, eisig kalter Hauch umwehte den Kriminalbeamten.

      Nigel, der illustre und immer düster dreinblickende Lakai des Earl of Ross, stand vor ihm. Aus seinen tiefliegenden Augen warf er ihm einen tückischen Blick zu.

      Inspektor Blake hatte ein gut geschultes Gehör. Daher vernahm er aus weiter Ferne ein leises lang gezogenes Heulen. Es erinnerte ihn an einen eingesperrten Wolf. Das hallend schlagende Uhrwerk einer mächtigen Standuhr riss ihn aus seinen Gedanken und verkündete die zehnte Stunde des Tages.

      Ein ungemütliches Dämmerlicht herrschte in der weitläufigen Eingangshalle der alten Burg. Irgendjemand hatte die ohnehin schon wenigen und schmalen Fenster mit schweren, lichtundurchlässigen Vorhängen verdunkelt. Und die wenigen Kerzenleuchter gaben gerade einmal so viel an Helligkeit, dass man nicht über seine eigenen Beine stolperte. Nach dem ›Black Pudding‹ vom Frühstück, war es nun der starke Modergeruch, der dem Inspektor einen erneuten Anflug von Übelkeit bereitete.

      Ohne ein Wort an Blake zu verschwenden, schritt der bleiche Bedienstete des Burgherrn voran. Dem Kriminalbeamten blieb nichts anderes übrig als ihm über die breite steinerne Treppe hinauf zu folgen.

      Wieder drang das lang gezogene Heulen klagend durch die halbdunklen Gänge. Blake hatte sich davon kurz ablenken lassen und knallte mit der Fußspitze gegen eine der ausgetretenen Treppenstufen. Er fluchte halblaut:

      »Könnten Sie in Ihrem Prachtbau nicht für ein paar offene Fenster sorgen? Früher oder später wird sich noch jemand den Hals brechen!«

      Nigel war kurz stehen geblieben. Empört drehte er sich zu Blake um und erklärte:

      »Seine Lordschaft duldet kein Licht auf ›Caisteal Barrhaich‹, Sir. Mit Verlaub, Sir, auf dieser Treppe hat sich schon jemand den Hals gebrochen.« Er machte eine kurze Pause und es schien als würde er grinsen, als er hinzufügte: »Aber glücklicherweise war es nur ein gottverdammter Engländer, Sir!«

      Detective Inspector Blake schluckte.

      Was war das für ein Unmensch, dem der Tod eines anderen nicht das geringste auszumachen schien, sofern es sich dabei nicht um einen vollblütigen Schotten handelte. Es schien als seien über diesen Festungsbau die Jahrhunderte spurlos hinweggegangen, und man wähnte sich immer noch in der Zeit der Stammeskriege.

      Mittlerweile wurde das lang gezogene Heulen immer lauter.

      »Sagen Sie mal, haben Sie hier eine Hundezucht?« wollte Blake wissen. »Oder was heult da so?«

      »Seine Lordschaft ließ verlauten, es sei der Wind, der sich in den Kaminen verfängt«, antwortete das Faktotum des Grafen mit eisiger Grabesstimme.

      »Erstaunlich«, entfuhr es Blake unwirsch. »Und ich wollte gerade feststellen, dass es heute für diese Gegend ein bemerkenswert windstiller Tag ist.«

      »Wenn Sie meinen, Sir, dann ist es ein bemerkenswert windstiller Tag«, erwiderte Nigel ungerührt. »Weiter kann ich Ihnen dazu nichts sagen.«

      In Blake begann es zu Brodeln. Dieser Lakai ging ihm gehörig gegen den Strich.

      »Offensichtlich ist hier das Wort seiner hochwohlgeborenen Lordschaft Gesetz! Vielleicht können wir uns darauf einigen, dass hier die Windstille in den Kaminen heult?«

      Der Bedienstete des Grafen schien die Ironie in Blakes Worten nicht zu spüren, zumindest ließ er sich nichts anmerken.

      »Mit Verlaub, Sir, einverstanden.«

      Der Inspektor konnte nicht anders als ungläubig den Kopf zu schütteln.

      Inzwischen hatten sie das erste Stockwerk erreicht. Blake glaubte nicht richtig zu sehen, als er die fast zehn Fuß hohe, reich geschnitzte Holztür sah, die rechts und links von zwei Galgen flankiert wurde. Und als ob das nicht schon makaber genug war, hingen wenig einladend fertig geknüpfte Schlingen daran.

      Blake kam nicht umhin festzuhalten, dass seine Lordschaft einem eigenartigen Kult zu huldigen schien.

      Nigel klopfte dreimal und verharrte einen Augenblick. Dann öffnete er die knarrende Tür.

      »Der Engländer, Eure Lordschaft«, kündigte der Butler Blake mit geringschätziger Stimme an. Dann trat er zur Seite und ließ dem Inspektor den Vortritt.

      Blake fielen fast die Augen heraus. Er hatte sich zwar keine Vorstellung von dem Grafen gemacht, aber der Anblick, der sich ihm jetzt bot, übertraf alles.

      Die dürre, hochaufgeschossene Gestalt trug einen Kilt mit dem dunkelblauen Karomuster des Mackay-Clans. Aus dem Rock staken die dünnsten Beine, die der Detective Inspector in seiner über zwanzigjährigen Laufbahn je zu Gesicht bekommen hatte. Am Oberkörper trug der Graf ein schwarzes Wams mit hohem Kragen, der bis über die Kinnlade reichte.

      Das Gesicht wirkte wie ein eingefallen, wie ein Totenschädel, den jemand mit einem gelblichen Pergament bespannt hatte. In dem fast haarlosen Schädel schimmerten leicht rötliche Augäpfel. Die dürren Lippen bedeckten knapp ein kräftiges, gesundes Gebiss.

      All das registrierte Blake, während hinter ihm die Tür knarrend ins Schloss fiel.

      »Nigel, lassen Sie uns allein. Ich möchte ungestört mit unserem Gast reden.«

      Die Stimme des greisenhaften Grafen tönte wie eine Eisenglocke und strafte seiner scheinbaren Gebrechlichkeit Lügen.

      »Sehr wohl, Eure Lordschaft.«

      Blake erwartete ein neuerliches Knarren der Tür, aber es blieb aus. Als er einen kurzen Blick über seine Schulter schickte, ließ er sich seine Verblüffung nicht für eine Sekunde anmerken. Der Lakai war fort, wie vom Erdboden verschluckt.

      Der Inspektor sah sich um. Der Raum in dem er sich befand erinnerte ihn stark an einen Thronsaal, und er wirkte auf ihn sehr viel größer als er vermutlich war. Dazu trug auch die enorme Deckenhöhe bei, die er auf mindestens vier bis fünf Yards schätzte.

      Der Graf stand auf einer, über drei Stufen erreichbaren, hölzernen Empore. Er hatte ihm eine Schulter zugewandt und betrachtete mit verschränkten Armen eines der großen Wandgemälde. Das Bild wirkte düster und verbreitete eine unheimliche Kälte. Blake erkannte darauf einen steinernen Opfertisch unter freiem Nachthimmel, auf dem eine nackte Frau lag. Sie war an Händen und Füßen gefesselt. Um sie herum stand zwölf Personen in kuttenähnlichen Gewändern. Sie blickten zum Kopfende des Tisches, an dem ein in weiß gewandeter Mann mit einem Dolch stand.

      Für seinen Geschmack hatte Blake genug gesehen. In gewisser Weise passte das Bild ausgezeichnet zu den Galgen an