»Und das Opfer, Sven Müller, hast du über den auch schon was rausgefunden?«
»Aber klar. Der war freier Journalist und Buchautor. Meistens schrieb er über brisante Themen aus Wirtschaft und Politik. Enthüllungsautor wurde er auch genannt. Hat unter anderem für den Spiegel, Stern und Focus geschrieben. Den Korruptionsfall bei der Marburger Baubehörde hat er vor drei Jahren aufgedeckt und letztes Jahr war er verantwortlich für den ruhmlosen Abgang von Staatssekretär Meier wegen der illegalen Waffenlieferungen nach Aserbaidschan.«
»Hat er auch aktuell an einem brisanten Thema recherchiert?«
»Das weiß ich nicht. Bevor so etwas publik wird, halten sich Journalisten ja gern bedeckt, verständlicherweise.«
»Klingt logisch. Und wenn es was aktuell Brisantes geben sollte, werden wir das am ehesten auf seinem Computer finden.«
»Wir?«
»Ich sagte doch: Computer. Das ist dein Hoheitsgebiet. Du weißt schon, Passwort knacken und so. Morgen früh fahren wir in seine Wohnung. Und die Wohnung von Sabine Lehmann schauen wir uns bei Gelegenheit auch noch an. Das war gestern mit der Spurensicherung alles so hektisch. Den Tatort betrachten wir uns noch mal in Ruhe.«
»Wir?«
»Keine Sorge, die hat bestimmt auch einen Computer.«
»Jensen hat aber was von Geständnis und Fall abgeschlossen erzählt, wenn ich richtig informiert bin.«
»Sie hat aber nicht gestanden, sondern geträumt.«
»Das ist natürlich ein Argument.«
»Dann treffen wir uns morgen früh um zehn Uhr in der Wohnung von Sven Müller. Wo ist die eigentlich?«
»In der Ginnheimer Landstraße 112. Eigentumswohnung.«
Siebels notierte sich die Adresse und verabschiedete sich von Charly.
Till saß vor der Kloschüssel und röhrte wie ein Hirsch. Aber der erhoffte Schleimausstoß hielt sich in Grenzen. Stattdessen flossen ihm vor Anstrengung die Tränen über die Wangen. Seine Bronchien fühlten sich wie geteert an und dieser Teer erwies sich als absolut resistent gegen die schleimlösende Medizin, die Johanna ihm seit zwei Tagen einflößte. Er gab auf und schleppte sich erschöpft in sein Bett zurück. Er schloss die Augen und überlegte sich, wer ihm diesen Virus übertragen hatte. Im Revier hatten in der letzten Woche fast alle geschnieft und gehustet. Aber nur er war so erbärmlich und kraftlos vor der Kloschüssel gelandet. Er tippte auf Staatsanwalt Jensen. Jensen hatte sich für drei Tage krankgemeldet. Dann führte ihn sein erster Weg ins Büro von Siebels und Till. Der Virus hatte ihn dermaßen niedergestreckt, das konnte nur von Jensen gekommen sein. Till sann auf Rache, als Johanna, seine Freundin und derzeitige Pflegerin, ins Zimmer kam.
»Na, geht es besser?«
»Ebola«, krächzte Till.
»Ebola?«
»Ja, der Virus. Kannst du den besorgen? Im Reagenzglas?«
»Lass mich mal Fieber messen.«
»Nein, Fieber ist vorbei.«
»Aber du fantasierst doch.«
»Ich muss mich rächen. An Jensen. Der hat mich angesteckt. Er hat den Virus in unser Büro geschleppt.« Till hustete beim Krächzen. »Ich kippe ihm den Ebolavirus in seinen Kaffee. Auge um Auge, Virus um Virus.«
»Aha. Ob das im Kaffee funktioniert, glaube ich aber nicht. Ebolaviren übertragen sich bei direktem Körperkontakt oder über Kontakt mit Körperausscheidungen infizierter Personen. Die findest du aber bestenfalls in Afrika.«
»Dann fahre ich halt nach Afrika.« Till schloss die Augen und schlief ein.
Dienstag, 03. Februar 2009, 10:00 Uhr
Siebels öffnete die Tür der Wohnung mit dem Schlüssel des Opfers. Gefolgt von Charly betrachtete er sich kurz die Räume. Er stellte sich vor, wie Sven Müller das letzte Mal in seinem Leben diese Zimmer genutzt hatte. Wie er seine Wohnung verließ, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, dass er sie nie wieder betreten würde, dass stattdessen zwei Beamte der Mordkommission in seine Intimsphäre eindringen würden.
»Da steht ja das gute Stück«, stellte Charly fest und ging in das Zimmer. Zweifelsohne ein Arbeitszimmer, vollgestopft mit Aktenordnern. Im Faxgerät lag ein Papier. Siebels nahm es heraus, während Charly den Rechner hochfuhr.
»Die Kopie einer Todesanzeige«, stellte Siebels mit dem Blatt in der Hand fest. »Detlev Wurmbach, geboren am 5. Dezember 1973, gestorben am 6. Januar 2005.«
»Zum Glück habe ich ein Entschlüsselungsprogramm dabei, der Rechner ist gut geschützt«, murmelte Charly vor sich hin.
»Das Fax ist vom Sonntag. Warum bekommt Müller an seinem Todestag eine vier Jahre alte Todesanzeige gefaxt?«
»Vielleicht hat es was mit seinen Recherchen zu tun? Wenn ich die Kiste hier gekapert habe, suche ich mal nach Wurmbach-Dateien. Wer ist denn der Absender?«
»Steht nicht drauf, nur die Faxnummer als Kennung. Aber das bekommen wir bestimmt schnell raus.« Siebels nahm ein leeres Blatt Papier vom Schreibtisch, schrieb etwas darauf und faxte es an den Absender der Todesanzeige.
»Was machst du denn da?«, wollte Charly wissen.
»Kontakt aufnehmen. Ich habe meine Handynummer notiert und um dringenden Rückruf gebeten.«
»Gute Idee. Jetzt bin ich richtig neugierig, wer sich da meldet.«
»Ich auch. Ich schaue mich mal in den anderen Zimmern um.« Siebels ging in die Küche. In der Spüle stand noch benutztes Geschirr und auf dem Küchentisch eine halb volle Weinflasche und ein Weinglas. Im Kühlschrank herrschte gähnende Leere. Siebels fragte sich, warum Müller nicht mit seiner Freundin Sabine Lehmann zusammengezogen war, und ging ins Schlafzimmer. Ein ungemachtes schmales Bett und bergeweise schmutzige Wäsche erwarteten ihn dort. An der Wand über dem Bett hing ein gerahmtes Foto. Sven Müller und Sabine Lehmann unter Palmen.
»Ich bin drin«, rief Charly vom Arbeitszimmer aus. Als Siebels hinter Charly stand, hatte der schon sein nächstes Erfolgserlebnis vorzuweisen. »Schau mal hier. Er hat über diesen Wurmbach ein kleines Exposé angelegt. Detlev Wurmbach, Diplom-Volkswirt, nach seinem Studium im Juni 2000 von Paulsen und Partner angeheuert. Sechsmonatiges Partnerprogramm absolviert. Im März 2001 eigenständiges Büro eröffnet. Seminarbesuche durchgehend von 2001 bis 2004. Stetig steigende Umsätze mit dem Beratungsbüro. Selbstmord im Januar 2005. Hinterließ Schulden von knapp 200.000 Euro.«
Siebels pfiff leise durch die Zähne. »Ziemlich hohe Schulden für einen jungen aufstrebenden Berater.«
»Vielleicht war das der Grund für seinen Selbstmord?«
»Sieht jedenfalls so aus, als hätte Sven Müller auch an anderen Partnern von Paulsen ein reges Interesse gehabt.«
»Ein Bi-Sexueller, der auf Paulsens Partner steht? Bizarr, bizarr.«
»Blödmann. Jedenfalls ist der Fall um einiges interessanter, als es Jensen sich vorgestellt hat.«
Plötzlich schrie ein Baby. »Was ist das denn?«, fragte Charly entsetzt. »Hier muss noch ein Baby in der Wohnung sein.« Kaum hatte er den Satz hektisch ausgesprochen, verstummte er kopfschüttelnd. Siebels hatte sein Handy aus der Tasche gezogen und nahm das eingehende Gespräch entgegen. Am Gesprächsverlauf erkannte Charly, dass es sich bei dem Anrufer um den Absender der Todesanzeige handeln musste. Siebels verabredete sich mit ihm für 18:00 Uhr in einer Kneipe an der Bockenheimer Warte.
»Nun erzähl schon«, drängte Charly, als Siebels das Gespräch beendet hatte.
»Andreas Wurmbach, der ältere Bruder von Paulsens verstorbenem Partner. Er wurde von Müller vor zwei Wochen kontaktiert. Mehr wollte er am Telefon nicht erzählen.«
»Und ich soll jetzt alles über Paulsen